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Grüner Abschied von Gewaltfreiheit

■ Joschka Fischer vorsichtig für militärische Intervention in Bosnien: Heftige grüne Reaktionen

Berlin (taz) – Joschka Fischer stellt das Prinzip der Gewaltfreiheit bei den Grünen in Frage und hat damit einen heftigen Streit ausgelöst. In einem dreizehnseitigen Papier über die „Katastrophe in Bosnien“, das der Fraktionschef der Bündnisgrünen seinen Parteikollegen vorgelegt hat, spricht er sich für eine stärkere militärische Intervention in Bosnien aus. Seit gestern diskutieren die Grünen erneut heftig die alte Frage: Wie stellt sich die Partei angesichts des bisherigen Scheiterns politischer Lösungen zu einer militärischen Intervention in Ex-Jugoslawien?

Laut Fischer gibt es nur zwei Alternativen. Entweder man befürwortet einen militärischen Schutz der Schutzzonen, „wissend auch um die ganze Unzulänglichkeit der westlichen Bosnienpolitik und ihrer Risiken“. Oder man lehnt militärischen Schutz ab. Dann allerdings müsse man auch konsequent sein und den Abzug der UN-Blauhelme befürworten. Fischers Position: „Ich bin der Überzeugung, wir müssen angesichts der Lage der dort eingeschlossenen Zivilbevölkerung für den Schutz der UN-Schutzzonen sein.“

Kerstin Müller, Fraktionssprecherin und Mitverfasserin eines Papieres, in dem sie sich jüngst gegen einen militärischen Einsatz ausgesprochen hatte, begrüßte gegenüber der taz gestern die neuerliche Diskussion, kritisierte allerdings den springenden Punkt: „Wenn Fischer von dem Schutz der Schutzzonen spricht, dann muß er auch genau sagen, wie er sich das vorstellt.“ Erst dann könne man inhaltlich diskutieren. „Eine Kriseninterventionstruppe? Luftangriffe?“ Auch stimme nicht, daß alle politischen Lösungen gescheitert seien. „Das Energieembargo ist nie konsequent durchgeführt worden“, so Müller.

Schärfer äußert sich Angelika Beer, sicherheitspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, in ihrem Interview mit der taz: „Das Vorgehen Fischers hilft weder den Menschen in Bosnien noch unserer Partei.“ Es gebe keinen Beleg dafür, daß Menschenrechte durch Militäreinsätze verteidigt würden. Christian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative sagte, Fischers Eintreten für einen militärischen Schutz der Schutzzonen sei zwar als Ausdruck der Hilflosigkeit verständlich, aber Fischer sei ein „Träumer, wenn er glaubt, daß die westlichen Staaten zum Schutz von Schutzzonen außer Sarajevo bereit seien“.

Kritik auch seitens des Komitees für Grundrechte und Demokratie: „Ein kriegerischer Einsatz“, so die Mitarbeiterin Elke Steven, „trägt nur zu einer Verschärfung bei und verhindert jeden möglichen Dialog.“ Die Situationsbeschreibung Fischers, wonach sich die Menschen in Deutschland voller Entsetzen abwenden und nichts tun würden, sei – vor allem auch bezogen auf die Grünen – falsch. „Gerade dort engagieren sich sehr viele für humanitäre Projekte in Ex-Jugoslawien.“

Der Frankfurter Multikulturdezernent Dany Cohn-Bendit begrüßt Fischers Vorstoß. „Wir werden uns in Zukunft einer militärischen Intervention dann nicht mehr grundsätzlich verweigern, wenn humanitäre Gründe dafür sprechen“, sagte er in einem Interview mit der taz. Ähnlich die Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer, in der Bild-Zeitung: „Den jetzigen Zustand, daß UNO-Schutztruppen unbehelligt angegriffen und überrannt werden können, halte ich für unerträglich.“ Dennoch sieht sie die Grünen weiterhin als „pazifistische Partei“.

Der außenpolitische Sprecher der CDU, Karl Lamers, bezeichnete Fischers Papier als relativ „mutigen Schritt“, kritisierte jedoch, daß Fischer „immer noch solidarischen Schutz und Unterstützung für die Soldaten unserer Partner“ verweigere – so sei er noch nicht regierungsfähig.

Am 16. September werden sich die Bündnisgrünen auf einem kleinen Parteitag in Berlin der Neubestimmung ihrer Außenpolitik widmen. Abgeschlossen werden soll die Debatte auf einer Bundesdelegiertenkonferenz Anfang Dezember in Bremen. Julia Albrecht, Christian Rath

Seiten 4, 10 und 11

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