Unterm Strich

Es muß an der Erziehungsanstalt gelegen haben: Hermann Nitsch, österreichischer Performer, sammelte seine Erfahrungen an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien. Herausgekommen ist ein Orgien Mysterien Theater, bei dem nackte Freiwillige auf noch nackteren Pferden ritten. Wer runterpurzelte, mußte mit roter Farbe besudelt knöcheltief in Tiergedärmen waten. Dies alles und mehr wird als Teil einer Retrospektive im Wiener Künstlerhaus auf Video dokumentiert. „Ich wollte nie provozieren“, gestand Nitsch, der wegen einiger seiner Aktionen zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde, „ich wollte die Welt darlegen, wie ich sie sehe.“ Und das Glück liegt je bekanntlich auf dem Rücken der Pferde.

Das Brücke-Museum in Berlin hat Ernst Ludwig Kirchners Werk „Artistin; Marcella“ (1910) erworben. Der Kauf, den das Museum als „sensationell“ bezeichnet, wurde mit Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin ermöglicht. Eines der letzten sich noch in Privatbesitz befindlichen Spitzenwerke Kirchners konnte damit nach Berlin geholt werden, teilte das Museum am Dienstag mit. Das Bild aus der Dresdner Schaffensphase des Künstlers zeigt die 15jährige Marcella im gelb-schwarzen Trikot. Wenn den Berlinern jetzt auch noch die Solidaritäts- Skatspiel-Aktion gelingt, um das entsprechende „Skatspieler“-Bild von George Grosz zu erstehen, kann die zeitgenössische Kunst bald ganz ins Depot.

Der Berliner Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) ist jetzt „Zukunftsminister“. Hassemer hat die Schirmherrschaft für die Aktion „Nachrichten in die Zukunft“ übernommen. Ab Samstag abend kann jeder beim 3. Westöstlichen Diwan einen Gegenstand, an dem sein Herz hängt mit einem erklärenden Text dazu abgeben. Die Sammlung wird in zehn Jahren wieder ausgepackt und im Deutschen Historischen Museum ausgestellt. Beutelratten, Guppys und Zwergkaninchen sind allerdings wg. Geruchsentwicklung nicht erwünscht.

Und nun zu „Nachrichten aus der Vergangenheit“: Die Feierlichkeiten zum 800. Todestag Heinrichs des Löwen haben am Mittwoch in Braunschweig begonnen. Während einer Andacht wurde der 800 Jahre alte Marienaltar im Dom St. Blasii zum ersten Mal vor einem größeren Publikum geöffnet. Die neun Zentner schwere Altarplatte aus Marmor mußte dabei mit Hilfe eines kleinen Kranes angehoben werden. Domprediger Joachim Hempel entnahm der mittleren der fünf Bronzesäulen eine Reliquienkapsel, die auch die Weiheplakette von 1188 enthielt. Für die Menschen vor 800 Jahren seien diese Reliquien „Vehikel des Glaubens“ gewesen – also durchaus den Dingen vergleichbar, die demnächst im Beisein von Herrn Hassemer in Berlin verscharrt werden. Die Kapsel und die Dokumente wurden zum Abschluß der Andacht in eine Vitrine überführt.