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„Nicht gefährlich“?

■ Grüne aus Hamburg, Marseille und Brüssel wollen Atom-Tests juristisch stoppen Von Heike Haarhoff

„Die Europäische Kommission ist berechtigt, die geplanten französischen Atomversuche auf dem Moruroa-Atoll zu verhindern, aber sie sieht untätig zu.“ Diesen Vorwurf erhob Hiltrud Breyer, Mitglied der Bündnis-Grünen im Europäischen Parlament, gestern in Hamburg. Zusammen mit dem GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Alexander Porschke und Patrick Sauvage, Mitglied der französischen Grünen aus Hamburgs Partnerstadt Marseille, erläuterte sie, wie die für September vorgesehenen Atomtests im Südpazifik erfolgreich gestoppt werden könnten.

„Die Versuche“, so Breyer, „verstoßen gegen europäisches Recht, weil sie bisher weder bei der Brüsseler EU-Kommission angemeldet noch von ihr genehmigt wurden.“ Das sei aber im Euratom-Vertrag von 1958, der die europäische Zusammenarbeit auf dem Atomsektor regelt, verbindlich festgeschrieben. In Paragraph 34 heißt es: „Jeder Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet besonders gefährliche Versuche stattfinden sollen, ist verpflichtet, zusätzliche Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz zu treffen, er hat hierzu vorher die Stellungnahme der Kommission einzuholen.“ Die Zustimmung der Kommission ist auch dann erforderlich, wenn die Möglichkeit besteht, daß die Versuche Auswirkungen auf die „Hoheitsgebiete anderer Mitgliedstaaten“ – in diesem Fall die britische Pitcairn-Insel – haben.

Die Kommission drücke sich vor ihrer Verpflichtung, zu den Versuchen Stellung zu nehmen. Die Kommissare aus Brüssel sind in eine heikle Lage geraten: Beschließen sie, die Versuche seien „besonders gefährlich“, so ist der Konflikt mit Frankreich programmiert. Stufen sie die Tests aber als „nicht besonders gefährlich“ ein, dann bleibt erklärungsbedürftig, was eigentlich noch „besonders gefährlich“ sein soll. Vor dieser politischen Entscheidung scheuen die Brüsseler zurück; Hiltrud Breyer will sie dazu per Klage zwingen: „Jedes Mitgliedsland kann vor dem Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einleiten, falls die Versuche ohne Zustimmung der Kommission beginnen.“ Das Europäische Parlament könne der Kommission sein Mißtrauen aussprechen. Einen entsprechenden Antrag will Breyer mit den Europa-Grünen ins Parlament einbringen. Wird er angenommen – erforderlich ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit –, kann die Kommission einpacken.

Den Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Santer, forderte Hiltrud Breyer am 27. Juli in einem offenen Brief dazu auf, „die Regierung Frankreichs um eine Notifizierung der Versuche“ zu ersuchen. Dementsprechend sei man auch bei den französischen Atomtests Anfang der 60er Jahre in der Sahara vorgegangen. Skeptisch äußerte sich gestern der stellvertretende Leiter des Bonner „Informationsbüro Europaparlament“, Gerhard Moritz, gegenüber der taz: Er bezweifle, daß der Euratom-Vertrag bei der militärischen Atomkraft-Nutzung greife.

Die Grünen aus Hamburg, Straßburg und Marseille sind jedoch guter Hoffnung für einen Versuchs-Stopp. Den Boykott französischer Produkte lehnen sie ab: „Das trifft die Falschen und trägt nur dazu bei, daß sie sich mit dem Präsidenten solidarisieren“, sagte Patrick Sauvage. 60 Prozent der Franzosen hätten sich laut Umfragen gegen die Tests ausgesprochen. „Die Atomversuche sind die alleinige Entscheidung des Präsidenten“, betonte Sauvage. Im Wahlkampf habe Chirac hierzu keine eindeutige Position bezogen. – Hamburgs GALier stellten gestern einen Antrag vor, mit dem sie die Bürgerschaft für einen gemeinsamen Protest gegen die französische Regierung gewinnen wollen.

Am Samstag – 50 Jahre nach Hiroshima – rufen GAL, SPD und Greenpeace zur Anti-Atom-Demo auf. Treffpunkt: 11 Uhr, Klosterstern, via Französisches Generalkonsulat zum Rathausmarkt (Abschlußkundgebung 13 Uhr), Infos unter 391 578

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