: Was bringen die Chaostage? Umfrage unter Punks in Berlin
„Pumuckl“ (15) aus Berlin: „Ich hab' nur gehört, daß da ziemlich randaliert wurde. Mir war es zu riskant, nach Hannover zu fahren. Weil ich noch nicht sechzehn bin, hätten die mich ohnhin sofort in Polizeigewahrsam genommen. Die Krawalle find' ich aber gut, weil den Bullen gezeigt wird, daß sie mit uns Punks nicht immer machen können, was sie wollen – normalerweise schikanieren die uns, wann immer sie können, kontrollieren ständig unsere Ausweise. Wenn die mir das ganze Geld gegeben hätten, das der Polizeieinsatz gekostet hat, dann müßte ich nicht mehr schnorren, könnte normal leben und mir eine Wohnung leisten. Im Moment lebe ich auf der Straße, aber nach den Ferien gehe ich wieder zur Schule und ziehe in eine WG.“
Pajasso (21) aus Berlin: „Ich war nicht da. Denn ich habe das Glück, immer als erster Ärger mit der Polizei zu bekommen. Das Ganze sollte ja ein freies, unkommerzielles Fest sein, auch wenn's immer schwarze Schafe gibt, die Paletten mit Bier im Supermarkt abziehen. Ich glaube, das Chaos ist sowieso da: Jeder hat das Chaos in seinem Leben vorprogrammiert und weiß nicht, was morgen passiert. Wenn sie die Chaostage verbieten wollen, dann verleugnen sie auch das Chaos in uns allen. Ich kann mir gut vorstellen, daß uns viele lieber in Arbeitslagern sehen würden, als unsere Freizeit genießend. Dabei jongliere ich täglich, um Geld zu verdienen und tue alles Mögliche zur Erheiterung der frustrierten Bevölkerung.“
„Rumpelstilzchen“ (18) aus Nürnberg: „Ich war bei den Chaostagen, um Leute kennenzulernen, zu feiern – und nicht wegen der Randale. Wir waren schon eine Woche vorher da und hatten 'ne geile Party. Wir haben uns sogar mit den Bullen gut unterhalten. Am Donnerstag hat dann der Streß angefangen: Die Arschlöcher haben uns wie ein Viehtransport mit Spalier zum Georgenplatz getrieben – die Punks haben sich das gefallen lassen. Dann ist die Polizei vorm Sprengel, dem Besetzergelände, aufmarschiert, und wir haben mit Barrikaden eine Räumung verhindert. In der Nacht habe ich in der notdürftig eingerichteten Ersten Hilfe im Sprengel ausgeholfen. Da kamen Leute mit Platzwunden, inneren Verletzungen und Beinbrüchen.“
Freddy (32) aus Itzehoe: „Eigentlich sind die Chaostage immer ein friedliches, lustiges Beisammensein gewesen. Ich bin seit Jahren dabei – jetzt ist daraus Mord und Totschlag geworden. Wenn die Bullizei nicht angefangen hätte, uns zu provozieren, wäre das aber nicht so eskaliert – es waren 'ne Menge friedfertige Punks in Hannover. Von einer Deeskalationsstrategie habe ich nichts gemerkt. Ich habe gesehen, wie diese Freizeit-Rambos mehrmals ohne Grund losgeknüppelt haben. Es war damit zu rechnen, daß es Krawall gibt. Daß die mich nicht abgehaftet haben, wundert mich auch. Für die Millionen, die dort verschleudert wurden, würde ich Fortbildungskurse für aggressive Polizisten veranstalten oder noch besser: Haschisch an Arme verteilen.“ Fotos: David Reed
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