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Diepholzer Depressionen

■ Wissenswertes über Diepholz i.w.S. und besonders Diepholz i.e.S. inklusive eines Seitenhiebes gegen die T.I.C. Infosäule /Arno Schmidt: „Der Himmel bleibt unbeteiligt“

In Wuppertal heißt Diepholz Ennepetal. Das Ennepetaler Autokennzeichen (“EN“) hat eine ähnliche Bedeutung wie der Aufdruck „Fahrschule“ auf schlingernden und hoppelnden Kraftwagen: Es ermahnt Wuppertaler Autofahrer, mit dem Ärgsten zu rechnen. Hinzu treten die Ennepetaler umhäkelten Toilettenpapierrollen und die Ennepetaler Eingeborenen-Eigenschaft, Parkplätze zu verstopfen. Auch Bremer rechnen angesichts von „DH“ mit dem Ärgsten. Diepholz, das ist für Bremer das ganz Andere, ein unerklärliches und beängstigendes Land jenseits der Ochtum. Schon in Brinkum bricht Bremern der Schweiß aus, dabei ist das erst der Anfang.

Was Bremer nicht wissen: „DH“ steht für „Diepholz i.w.S.“ (= im weiteren Sinne). Es gibt aber darüberhinaus ein „Diepholz i.e.S.“ (= im engeren Sinne). Es handelt sich dabei um eine Ortschaft, die weder bei Bremen noch bei Hannover, nicht einmal bei Osnabrück und auch nicht am Dümmer liegt. Allerdings liegt Diepholz i.e.S. bei Aschen, Dickel und Jacobidrebber, bei Wetschen und sogar dicht bei Sankt Hülfe! Wer nun, von Bremen kommend, dieses spezielle Diepholz sucht, wird es gewiß nicht finden. Schon in Brinkum weisen alle Schilder nach Syke. Wer unbeirrbar auf der B 51 bleibt, wird all die gebieterischen Schilder nicht lange ignorieren können, die ihn nach links weisen wollen (Syke) oder nach rechts (Vechta). Selbst die kartoffelhaltige Erde scheint zu rufen: „Tu's nicht! Fahr' nicht geradeaus!“ Nehmen wir also den Zug!

Der unerforschliche Fahrplan der Bundesbahn führt Züge auf, die Diepholz nicht nur streifen, sondern dort halten. Dazu gehören ein leidgeprüfter Zug aus Greifswald sowie ein welthaltiger Interregio aus Luxemburg. Phantastisch! Erwartungsgemäß ist die Bahnhofsgaststätte seit Jahren geschlossen. Niemand käme auf die Idee, daß es im Bahnhof eine Bahnhofsbuchhandlung gibt. Und doch ist es wahr! Diepholz ist ein Ort, der mit mehreren solcher Überraschungen aufwartet, so daß als Dummbatz, Schwertrottel und Wicht anzusehen ist, wer Diepholz nicht kennt. Was nicht besagt, daß es dem, der Diepholz kennengelernt hat, besser geht als vorher. Es geht ihm schlechter!

Diepholz nämlich ist ein Ort ohne jegliche Identität. Das ist insofern ein kühner Satz, als Diepholz natürlich doch eine Identität hat: als Sitz der Kreisverwaltung. Ohne diesen Sitz wäre Diepholz ein Dorf, das man im Umkreis von drei Kilometern für seine Gänsebraten kennt. Mit diesem Sitz ist Diepholz ein Dorf von papierner Bedeutung, dessen Stolz ein Bankenviertel ist. Würde Diepholz der Kreisverwaltungssitz entzogen, es würde sogleich im Erdboden versinken (Diep = Dip = Moor).

Ein Satz, den ein gewisser H. D. A. Sonne 1817 notierte, hat an Gültigkeit nichts verloren: Die Diepholzer seien „redlich, gutmütig, aber roh, eigensinnig, abergläubisch, den Quacksalbern ergeben und von der Lotteriesucht eingenommen.“ Sie lebten „größtenteils auf der Diele, die Familie setzt sich in einem Kreis ums Feuer herum“. Keine feineren Küchengewürze, kein fremder Luxus, „kurz: Sitten und Cultur verrathen es, daß dies der Teil des Königreichs ist, welcher am weitesten von großen Städten entfernt und am unbekanntesten mit Verkehr und Sitten der Nachbarn ist.“ Noch um die Jahrhundertwende wird Diepholz als „kleiner, reizloser Marktflecken an der Hunte“ beschrieben: „Es gab nichts finstereres und bedrückenderes als diese riesige Tiefebene im Norden, sandig, feucht, von Moor durchzogen, fast ohne Vegetation, nur ewig Weiden, Tannen und traurige Birken“.

Nun, Diepholz vollführt culturelle Klimmzüge, hat ein Kino namens „Neues Central“ mit handgeschriebenen Hinweisen zu den Filmen (“macht Spaß!“). Es existiert innerhalb der in die Ödnis des Stadtrands gelegten Kreisberufsschule ein sog. „Stadttheater“ und nebenan eine Discothek „Palace“ (dienstags Ladynight). Ja, manches erinnert direkt an Bremen: einen „Bürgerpark“ hinter dem Bahnhof gibt es für den Schützenverein; einen Philosophenweg; Stadtwerke. In der Tat besitzt Diepholz ein Wasserschloß, das aber immer wieder zerstört wurde und heute das Amtsgericht beherbergt. Durchreisende finden es erst gar nicht.

Völlig gebricht es Diepholz an einem Image. Diese Imagelosigkeit nimmt den Besucher schon wieder für das Städtchen ein, weil selbst die windigen Imagemacher Diepholz offenbar meiden. Diepholz ist nichts als ein Kreisverwaltungssitz, der alle, die wegen Kreisverwaltungsangelegenheiten gezwungen sind, hier Halt zu machen, ordentlich abkassieren will. Zu diesem Zweck werden Passagen und Geschäfte in der Einkaufsmeile aufs postmodernste aufgemöppelt, und hier findet man auch eine äußerst trostreiche Einrichtung für die Automobilisten des Kreises: eine Fußgängerzone, die von Autos befahren werden darf. Zur Nachmittagsstun-de fahren Jungdiephol-zer im offenen Audi-Cabriolet hier auf und ab.

Es gibt keine Ansichtskarten von Diepholz. Es gibt im Buchhandel keine Bücher über Diepholz. Hartnäckigeergattern in der Sparkasse das letzte Exemplar von „Unsere Heimat auf Geldscheinen“ (“Notgeld erzählt“) oder das ruhmreiche „Da kommt man fremd in eine kleine Stadt“ von Klaus Seehafer (“Diepholz im Spiegel der Literatur“), enthaltend einen Briefwechsel von Goethe (!) mit einem Diepholzer (!!). Diepholz unternimmt nicht den aussichtslosen Versuch, auf Tourismus zu setzen. Sollte sich das scheue Wild doch einmal anläßlich einer Reifenpanne oder des „4. Diepholzer Schloßturmfestes“ (12. August ab 10 Uhr) hierher verirren, strandet es mit Sicherheit an der „T.I.C.- Infosäule“. Das ist ein Computer, auf dem „Hallo Diepholz“ steht und der auch über Bad Schussenried, Enzklösterle und Cottbus alles weiß. Über Diepholz weiß er unter „Wissenswertes über Diepholz“: „Von wesentlicher Bedeutung: Erhalt des Kreissitzes bei der Gebietsreform 1977“. Sehenswert sind: altes Rathaus, neues Rathaus, Nicolai- Kirche, älteste Straße. Unter Empfehlung „Was unternehme ich in Diepholz?“ liest das scheue Wild: „Tagesfahrt nach Hildesheim“. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, daß alle Empfehlungen vor zwei Monaten aktuell waren.

Die T.I.C.- Infosäule meldet übrigens unter „Übernachtungsmöglichkeiten“ Fehlanzeige. Das widerspricht allerdings dem Augenschein. Zumindest gibt es innerstädtisch das mit Plastikklinkern vollverkleidete „Hotel Hannover“ und die in Prospekten angepriesene „Begegnungsstätte Soldatenheim“. Viel zu tun für die Fördergemeinschaft mit dem beschwörenden Namen „lebendiges Diepholz“. Sie hat bisher folgenden Slogan kreiert: „Diepholz hat den Schloßpark und den Müntepark und viele kostenlose Parkplätze.“

Wenn sie ums Feuer auf der Diele sitzen, lesen die Diepholzer ihr „Kreisblatt“, den Spiegel ihrer kleinen Welt. Sie lesen von Schweinepest, einem Unfall mit Schweinelaster, von einer Krankenschwester namens Knochenhauer, vom neuen „Liberalen Frühschoppen“ (Thema der ersten Veranstaltung: „Sozialhilfe – besser als arbeiten?“). Wollen wir annehmen, sie lesen auch Arno Schmidt. Und dies also ist Diepholz (kritisch vorm Stadtplan): Lange Straße, Bahnhofstraße, Schloß, ähä. Zwei Bauchfreundinnen stöckelten vom Tanz nach Hause und trällerten schwipsig die Schlager. Baulichste Schönheiten: nischt wie quadratisches Fachwerk und 'Gott segne dieses Haus', aber sehr sauber, das muß mann sagen, auch feines Ziegelpflaster. (...) Fern im Norden loses Gewebe aus Schall: ein Zug (Taschenuhr: grundsätzlich: 10 nach 4). Der große See schien zarten Qualm und Wolkenkeime zu senden; aber der Himmel blieb immer noch unbeteiligt.

Burkhard Straßmann

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