Sanssouci: Nachschlag
■ Ben Beckers "Sid & Nancy" im Ex & Pop - ein Kinderstück
Zu oft mußten Mutter Monika Hansen und Ziehvater Otto Sander sie von der Polizeistation abholen, damals. Ben Becker lacht. Der Punk war jung und wild, er selbst 14, 15, seine Haare rot, die Lederjacke und die Jeans zerfetzt. Schwester Meret war auch manchmal dabei, „so als kleines Punkmädchen“. Die beiden genossen die Freiheiten Berliner Künstlerkinder. Heute ist Ben noch immer ein Punk. Darauf besteht er, auch wenn er im Anzug auf den Filmball geht. Er ist Schauspieler, Schwester Meret der Liebling der Feuilletonisten. Sie wohnen zusammen und betätigen sich gern als Allroundkünstler.
Da erinnert man sich gerne der vergangenen Zeiten, der wilden – und macht die Idole von damals zu den Bühnenfiguren von heute. Für Sid und Nancy endete die Liebe im Drogenrausch. Das war 1978 im New Yorker Chelsea Hotel. Der „Sex Pistols“- Bassist starb 1979 an einer Überdosis Heroin, 17 Stunden nachdem er auf Kaution das Gefängnis verlassen hatte. Eine Heartbreak-Story, eine Punk-Legende! Nun, Tätärätä und Tusch, wird sie nachgestellt auf der Bühne der Szeneabstürzkneipe „Ex & Pop“. Das Ambiente stimmt. Das Stück allerdings kommt auf Krücken daher. Dabei könnte es so cool sein, selbst bei 50 Grad in dem winzigen Schuppen. Alexander Hacke von den „Einstürzenden Neubauten“ spielt den Urpunk, von Autor und Regisseur Ben Becker wohl eher aufgrund dessen Lebenserfahrung besetzt und nicht wegen herausstechender Veranlagung zum Schauspielfach. Er rollt mit den Augen, greift in die Saiten, sagt einen einzigen präzisen Satz („Ich bin Bassist“), und das war's dann schon. Schnupfen und fixen kann er auch, ansonsten gibt er Meret Becker als Nancy kaum Widerpart. Schon gar nicht, als er sie bedrohlich verprügeln soll.
Meret Becker selbst ist wohl eher eine Filmschauspielerin. Zu selten gelingt es ihr, den Spannungsbogen über mehr als einen Filmtake zu halten. Dennoch gehören ihr (neben dem knallharten Einstieg von Ben Becker als rassistischer Bulle) die wenigen einprägsamen Szenen. Wie die, in der sie vom Geliebten wissen will, ob er sie mit Benzin übergießen würde. Wenn sie mit der Mutter telefoniert, ist sie dann wieder ganz die liebe Tochter. Überhaupt steckt sie voller Kindheitssehnsüchte: sie kuschelt den Teddybär – und killt ihn. Später fliegen die beiden Engel blutverschmiert davon, durchs Fenster sehen wir sie noch. Das war noch ganz schön. Aber sonst?
Sid & Nancy im „Ex & Pop“: Das ist kein frecher Punk, kein wildes Theaterhappening, sondern eine Studie über die verlorene Kindheit. Das weiß auch Becker. Ein „Kinderstück“ habe er geschrieben, kein punkiges „Rockgrusical“, wie der Spiegel irrtümlich ankündigte. Doch leider ist das Kinderstück mit jeder Zeile zu nah am Klischee. Von frecher Anarchie keine Spur. Petra Brändle
„Sid & Nancy“, bis 31.8., täglich außer Montag, 20.30 Uhr, Ex & Pop, Mansteinstraße 14, Kreuzberg
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