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Im Kosovo droht ein neuer Konflikt

Die Regierung in Belgrad will Krajina-Flüchtlinge in der Region ansiedeln. Die albanische Bevölkerungsmehrheit protestiert heftig und spricht von serbischer Kolonisierung  ■ Von Erich Rathfelder

Im Kosovo steigen die Spannungen. Anlaß dafür sind die Pläne der serbischen Regierung, Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemals serbisch besetzten Gebieten in Kroatien im Kosovo anzusiedeln. Eine Vorhut von 600 dieser Flüchtlinge sollen zunächst in Hotels, Ferienhäusern und Schulen untergebracht werden. Insgesamt sollen nach diesen Plänen 16.000 serbische Flüchtlinge nach Kosovo kommen, was schon jetzt zu scharfen Protesten der Führung der albanischen Bevölkerungsmehrheit in dieser Region geführt hat.

Ein Vertreter der albanischen „Demokratischen Liga des Kosovo“ sprach von einem „gefährlichen Schritt“. Die serbische Führung verfolge damit das Ziel, die demographische Zusammensetzung des Gebietes zu verändern und eine „Kolonisierung“ durchzuführen. In Belgrad dagegen wird darauf verwiesen, daß der Kosovo nach wie vor zu Serbien gehöre und es möglich sein müsse, serbische Flüchtlinge dort anzusiedeln.

Für beide Seiten geht es um die eigene Existenz: Für die 90 Prozent Albaner – etwa zwei Millionen Menschen – ebenso wie für die Serben, die ein Wegbrechen Kosovos auf alle Fälle verhindern wollen.

Der Kosovo hat für Serbien zwei wichtige Bedeutungen: Erstens ist der Geschichtsmythos an die Niederlage der Serben gegen die Türken im Jahre 1389 auf dem Kosovo Polje, dem Amselfeld, geknüpft. Zudem wird der Kosovo als serbisches Herzland (des Mittelalters) angesehen, obwohl es spätestens seit 1680 keine serbische Bevölkerungsmehrheit in dieser Region mehr gegeben hat. Zweitens geht es für die Serben um handfeste wirtschaftlichen Interessen in dieser Region. Die umfangreichen Braunkohlevorkommen werden hier verstromt, Serbien bezieht einen großen Teil seiner Elektrizität aus dem Kosovo. Reiche Erzvorkommen im nordöstlichen Teil der Region werden von serbischen Firmen ausgebeutet. Ohne die Rohstoffe des Kosovo wäre die Wirtschaft Serbiens noch mehr in der Krise, als sie es ohnehin schon ist.

Auch die albanische Seite argumentiert mit der Geschichte und meint wie die Serben ihre Interessen der Gegenwart. Für sie bedeutet die Ausbeutung der Bodenschätze durch die Serben Raub im Kolonialherrenstil. Auch der serbische Geschichtsmythos wird von seiten der Albaner relativiert. Sie behaupten nämlich, das älteste Volk auf dem Balkan zu sein, die direkten Nachkommen der antiken Illyrer. Der Kosovo sei lange vor der Ansiedlung der Serben von Albanern bewohnt gewesen.

Obwohl Nationalisten den Anschluß an Albanien forderten, wurde der Kosovo nach den beiden Balkankriegen vor dem Ersten Weltkrieg von den Siegermächten Serbien zugesprochen. Aufgrund der Unterdrückung mußten schon in den dreißiger Jahren Zehntausende von Albanern das Land in Richtung Türkei und Albanien verlassen, in den fünfziger Jahren wiederholte sich der Exodus, da der jugoslawische Innenminister Ranković hier die Geheimpolizei wüten ließ. Erst mit der Verfassung von 1974 wurde dem Kosovo Autonomie innerhalb der serbischen Teilrepublik Jugoslawiens verliehen, erstmals wurde in den Schulen in albanischer Sprache gelehrt, in Pristina wurde eine Universität gebaut. Nach dem Tode Titos 1980 forderte die albanische Unabhängigkeitsbewegung den Status einer Republik im ehemaligen Jugoslawien.

Diese Bewegung wurde blutig niedergeschlagen. 1990 wurde auf Betreiben des serbischen Präsidenten Milošević der Autonomiestatus ausgehöhlt, die Serben übernahmen wieder vollständig die Macht in der Region. Hunderttausende Albaner wurden aus dem Staatsdienst und Staatsfirmen entlassen, Arbeitsplätze gab es nur noch für die Serben. Unter der Regie des Schriftstellers Ibrahim Rugova schufen die Albaner eine Untergrundstruktur, wählten ein Parlament und einen Präsidenten. Im Unterschied zu Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina haben sie jedoch in dem nun entstandenen Apartheitssystem ihren Widerstand passiv und ohne Gewalt zum Ausdruck gebracht. Der seit 1990 bestehende Status quo wird nun durch die Einwanderung von Serben aus der Krajina gestört. Die Geduld der Albaner könnte sich dem Ende zuneigen. Aber immer noch hat Serbien 60.000 Soldaten im Kosovo stationiert.

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