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Ein Lehrpfad durch die Industriegeschichte

■ Auch das Bauhaus in Dessau beteiligt sich an der Expo 2000: Das Chemiedreieck von Bitterfeld soll als Beispiel für den Wandel einer Region dargestellt werden

Berlin (taz) – „Wir wollen eine Ausstellung der Wirklichkeit“, sagt Rolf Kuhn. Der schwarzgekleidete Professor mit beeindruckender Haar- und Barttracht leitet das Bauhaus in Dessau. Vor drei Jahren kam ihm die Idee, die durch die Industrialisierung am meisten geschundene Region Deutschlands rund um Bitterfeld zum „Industriellen Gartenreich“ aufzubauen. Inzwischen laufen in Dessau die Vorbereitungen für die Weltausstellung Expo 2000 – die Gegend um das Chemiedreieck der Ex-DDR ist zum Korrespondenzstandort von Hannover geworden.

„Wir werden keinen Pfennig in eine Ausstellungshalle stecken“, versichert Kuhn. Nichts soll entstehen, was später nicht mehr gebraucht wird. Vielmehr wollen die Leute vom Bauhaus und in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt den BesucherInnen in fünf Jahren ausschließlich Projekte vorführen, die so oder so entstehen sollten. Ohne die Expo wären sie allerdings zum Teil erst später aus den Fördertöpfen des Landes bedient worden, räumt man in Dessau ein.

„War die mitteldeutsche Industrieregion früher ein international geachteter Motor der Industrialisierung, so wird sie heute erneut zum Motor: Diesmal sind Pionierleistungen bei der Bewältigung der Folgen der Industrialisierung zu erbringen“, erläutert Jens Hendrix, einer der Mitarbeiter am Projekt, der sich wie seine KollegInnen voll Begeisterung in die Arbeit stürzt. Der Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft bringe einen riesigen Berg von Problemen, aber auch Chancen mit sich. Der Kreis rund ums Bauhaus will keine Patentrezepte für Umwelt, Arbeiten, Verkehr und Wohnen präsentieren, sondern versteht das Ausstellungskonzept als ein „erstes tastendes Tun im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung“.

Zum Beispiel der Tagebau Golpa-Nord: Wo früher Jahr für Jahr 2,6 Millionen Tonnen Braunkohle aus der Erde gerissen und in Vokkerode verfeuert wurden, verlagern Arbeiter heute Abraum, um die steilen Böschungen abzustützen. Später soll das elf Quadratkilometer große Loch geflutet werden. Nach dem Willen der Ausstellungs-OrganisatorInnen können die BesucherInnen im Sommer des Jahres 2000 auf einem „Lehrpfad der industriellen Wandlung“ die verschiedenen Phasen dieser Entwicklungsgeschichte nachvollziehen. Auch die Rekonstruktion von Werkssiedlungen, Altlastensanierung sowie Müll- und Abwasserentsorgung sollen zu Ausstellungsobjekten werden.

Die OrganisatorInnen haben sich allerdings auch vorgenommen, frühere Zustände der Region erfahrbar zu machen. Schließlich nahm im Dreieck Bitterfeld-Wittenberg-Dessau auch die Reformation mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen ihren Ausgang, und zahlreiche Parks zeugen von der Landschaftsgestaltung der Aufklärung. Insgesamt etwa 40 Projekte haben die Expo- Leute in Sachsen-Anhalt im Visier.

Während in Hannover mit 40 Millionen BesucherInnen gerechnet wird, gehen die AusstellungsmacherInnen in Dessau von einem wesentlich geringeren Andrang aus. Um die Umwelt zu schonen, sollen die Interessierten mit einer wiederbelebten Regionalbahn zu den einzelnen Exponaten gebracht werden. Annette Jensen

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