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„Immer politisch verhalten“

Off-Kinos in Berlin, Folge 4: Babylon Mitte weiter im Foyer  ■ Von Thomas Winkler

1993 gesellte sich zu den altersschwachen Toiletten, einer defekten Heizung und platzenden Rohren auch noch eine sich absenkende Zwischendecke. Seitdem ist das Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz eigentlich kein Kino mehr. Der Saal wurde gesperrt, und die Betreiber witzelten: „Dann spielen wir halt im Foyer.“ Was als Scherz begann, ist nun schon seit Jahren Dauerzustand. Das Provisorium bietet 67 Plätze. Als das Babylon im Jahre 1929 als Volkskino und Pendant zur benachbarten Volksbühne eröffnet wurde, faßte der Saal 1.200 Zuschauer. Seitdem hat das Kino eine beispiellose Geschichte hinter sich, die immer eng verknüpft war mit der Zeitgeschichte.

Noch im Jahr der Eröffnung mußte auf die Erfordernisse des Tonfilms umgerüstet werden. Erhalten aus der Stummfilmzeit sind Bühne, Orchestergraben und die Philips-Orgel — weltweit die einzige Film-Orgel — die noch an ihrem Originalplatz steht. Nach der Machtergreifung druckten Kommunisten im Babylon Flugblätter und richteten ein Waffenlager ein. 1938 wurden die jüdischen Besitzer zum Verkauf gezwungen. Eine Tafel im Foyer erinnert an den Filmvorführer Rudolf Lunau, der eine Widerstandszelle gründete. Nach Kriegsende diente das Babylon als Versammlungsraum der Sowjets. 1948 wurde es wiedereröffnet und fungierte als wichtigstes Premierenkino der DDR, bis in den 60er Jahren die neugebauten Kinos International und Kosmos diese Aufgabe übernahmen.

Seitdem verlor das Babylon nicht nur seine Bedeutung, sondern verfiel auch zusehends. Zuletzt hatte der Saal nur noch 400 Plätze. Der Rang, auf dem früher Walter Ulbricht seinen ganz speziellen Sitzplatz hatte, war schon seit Jahren gesperrt. Dafür entwickelte es eine besondere Bedeutung für den Ostberliner Underground: Halbillegale Lesungen, Konzerte anderer Bands wie Feeling B und natürlich das „Camera“-Programm, das, bestückt vom staatlichen Filmarchiv, manchen sonst nie zu sehenden Schatz zeigen konnte, begleiteten die letzten Jahre der DDR. Doch auch seit 1989, darauf legt Cornelia Klauß, die Programmgestalterin, Wert, hat „das Kino immer versucht, sich politisch zu verhalten“.

Doch erst einmal hatte man mit ganz profanen Problemen zu kämpfen. Interne Strukturen mußten aufgebaut und Mitarbeiter entlassen werden. Allein einen Film zu bekommen war plötzlich ungemein kompliziert, denn vorher gab es ja nur das Filmarchiv der DDR und den staatlichen Progress-Filmverleih. Schon 1990 sagte Kultursenator Roloff-Momin dem Verein „Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V.“ zu, daß man das Haus als zweites kommunales Kino neben dem Arsenal in Schöneberg erhalten wolle. Nun hat der Verein fünf Festangestellte. Eine zusätzliche Stelle finanziert das Arbeitsamt. Ein Drittel des Budgets, etwa 300.000 Mark, kommt vom Senat, der Rest muß selbst erwirtschaftet werden. Was um so schwieriger ist, weil der Zuschauerschnitt seit dem Umzug ins Foyer von ungefähr 100 auf 35 gesunken ist.

Hohe Zuschauerzahlen sind ohnehin nicht das erste Ziel des Babylon. Das Kino soll „ein Profil entwickeln, das sich vom Arsenal absetzt. Was nicht heißt, daß man nicht zusammenarbeitet“, wie Klauß es formuliert. Das Kino „soll in den Osten auswirken“, ohne dabei ausdrücklich „Ost- Wünsche zu befriedigen“. Der Schwerpunkt DEFA ergibt sich da wie von selbst. Zum einen soll schlicht die Präsenz von DDR-Filmen, die in normalen Kinos so gut wie nie zu sehen sind, aufrechterhalten werden, zum anderen geht es um Aufarbeitung. Deshalb zeigte und zeigt das Babylon Dokumentarfilme, die von der DEFA überproportional produziert wurden, und bietet die Möglichkeit zur Diskussion über Stasi, Mauer und Tresorfilme. Und immer wieder finden deutsche Filmemacher im Babylon die Möglichkeit, ihre Filme zu zeigen und sich anschließend mit dem Publikum auseinanderzusetzen. So liefen „Beruf Neonazi“ und „Der Stau“ hier, bevor sie einen Verleih fanden.

Klauß will „bestimmte Traditionen erhalten, die es im Haus schon immer gab“. Dazu gehört natürlich der osteuropäische Film, auch wenn das Stammpublikum ihn eine Zeitlang „einfach nicht sehen wollte“. Das hat sich wieder geändert. Was allerdings immer noch nicht läuft, ist zum Beispiel amerikanisches Genre-Kino. Eine ernsthafte Beschäftigung mit Howard Hawks oder gar mit dem Genre Western fand nie statt. Der Hauptgrund dafür ist natürlich, daß diese Filme selten den Weg durch den Eisernen Vorhang schafften, aber Klauß sieht auch ein „anderes Rezeptionsverhalten“.

Für den Osten wichtige Filme waren z.B. Bertoluccis „1900“. Und Fassbinder und Buñuel werden immer wieder gern gesehen. Die Ostler „haben mit den Filmen viel intensiver gelebt“, schließlich starteten zu DDR-Zeiten oft nur zwei neue Filme pro Monat. Das „Bedürfnis, eigene Probleme durch Film zu bewältigen“ war und ist wesentlich verbreiteter, die Beschäftigung mit Kino immer noch „sehr viel ernsthafter. Das kann man zwar nicht verallgemeinern, aber es gibt eine andere Erwartungshaltung.“

Ihre eigenen Erwartungen, was die Zukunft des Babylons betrifft, sind trotz aller Probleme optimistisch, denn das Kino hat „eine Art innerer und äußerer Stabilität gewonnen“. Zwar schätzen Gutachter die Kosten für eine vollständige Rekonstruktion des Kinos auf 20 Millionen, aber Klauß hat schon „in viel verzweifelteren Situationen gesessen“. Immerhin wurde nun endlich die Eigentumsfrage geklärt, die in den letzten Jahren Investitionen, die über die allernötigsten Instandsetzungsmaßnahmen hinausgingen, verhinderte. Die Nachkommen der jüdischen Alteigentümer haben im Januar ihren Prozeß gewonnen, sich „aber noch nicht gemeldet“. Niemand weiß, ob sie das Geld mitbringen, das unter Denkmalschutz stehende Haus zu erhalten. Den Betreibern bleibt nichts als abzuwarten. „Ich habe so viele Katastrophen hier erlebt“, grinst Cornelia Klauß, „das wird das Haus auch noch überleben.“

Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg- Straße 30, Mitte

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