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"Einfach abgehauen"

■ Mindestens 5.000 Kinder und Jugendliche leben auf der Straße. Hilfsangebote ohne moralischen Zeigefinger

Zora ist 17 und kommt aus Regensburg. Vor einem Jahr ist sie von zu Hause abgehauen. „Solange ich denken kann, hat meine Mutter mich geschlagen. An meinem 16. Geburtstag hab' ich meine Sachen gepackt und bin nach Berlin getrampt.“ Seitdem lebt sie zusammen mit 25 anderen Kids in einem besetzten Haus in Ostberlin. „Ohne Strom und ohne Wasser, aber wir sind wie 'ne richtige Familie“, berichtet Andy, der aus Köln stammt und vor zwei Jahren sein Elternhaus nach einem handfesten Streit mit seinem Vater verlassen hat.

Andy und Zora gehören zu den etwa 5.000 Straßenkindern, die hier gegenwärtig leben. Die beiden haben noch Glück, weil sie wenigstens in der Nacht ein Dach über dem Kopf haben. Andere Kids schlafen im Park, im Winter in Notübernachtungen oder in öffentlichen Toiletten. Sie sind vor der Gewalt der Eltern geflohen, vor sexuellem Mißbrauch oder vor allzu strengen Heimordnungen.

Einige verstehen ihr Aussteigerleben allerdings auch als „Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft“. So wie Grüni zum Beispiel, die so heißt, weil sie grüne Haare hat. Sie hat ihre Ausbildung in der Verwaltung abgebrochen. Jetzt bettelt sie sich vor U-Bahnhöfen ein paar Mark zusammen, schimpft auf den Staat und all die Ungerechtigkeiten in der Welt.

Die genaue Zahl der Kinder und Jugendlichen, die auf der Straße leben, kenne niemand genau, berichtet die zuständige Referentin beim Jugendsenat, Inka- Maria Ihmels. Die Tendenz sei allerdings steigend, weil nach der Wende vor allem Kids aus den neuen Bundesländern in der Großstadt untertauchen. Das gelingt den meisten auch, weil Eltern nur selten Vermißtenanzeigen aufgeben. Zudem ändern die meisten Straßenkinder ihr Outfit, um sich vor dem Zugriff der Behörden zu schützen.

Der Senat finanziert etliche Projekte, in denen Straßenkinder wie Zora, Andy oder Grüni unterschiedliche Hilfen erhalten. Im Klik, dem „Kontaktladen für Straßenkinder in Krisen“ in Berlin- Mitte, können die Kids ihre Wäsche waschen, sich duschen oder „einfach mal abhängen“, wie Sozialarbeiter Hans Gruidl sagt. Das Klik wurde von Studenten der Katholischen Fachschule für Sozialarbeit in Karlshorst vor einem Jahr gegründet. Jetzt wird das Projekt vom Senat und aus Spenden finanziert.

Andere Anlaufstellen heißen Treberhilfe, Subway, Gangway, Villa Störtebeker oder Die Bleibe. Niemand, der hier Schutz sucht, muß seinen Namen angeben. „Wir akzeptieren in erster Linie die Lebensform der Kids, ohne mit dem moralischen Finger zu drohen“, sagt Hans Gruidl vom Klik. „Straßenkids wollen in aller Regel nicht in feste Einrichtungen eingebunden werden“, weiß auch Frau Ihmels. Die Zahl der niedrigschwelligen Angebote müsse daher erhöht werden. Bewährt hätten sich beispielsweise mobile Busse, in denen Sozialarbeiter den Kindern vor Ort Hilfen anbieten.

Wer sein Straßenleben aufgeben und in eine Jugendwohngemeinschaft ziehen möchte, erhält ebenfalls tatkräftige Hilfe von den Betreuern. Nicole gehört zu diesen Ausnahmen. Ein halbes Jahr lebte sie auf der Straße, jetzt hat die 16jährige einen WG-Platz bekommen. „Wir werden von 'ner Sozi- Tante betreut, aber die ist voll okay“, erklärt sie. Weil sie wieder eine feste Adresse hat, bekommt sie Jugendhilfe, eine Art Sozialhilfe für Minderjährige. „Ich krieg' 620 Mark. Da muß ich wenigstens nicht mehr schnorren.“ Monika Herrmann, epd

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