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Wenn Sansibar Flöte spielt

Auch am Indischen Ozean ging der real existierende Sozialismus baden. Auf Sansibar setzt man nun auf den Segen des Tourismus  ■ Von Hanne Schweitzer

Männer mit Hühnerkrallen statt Füßen, Frauen mit skelettierten Babys im Arm, kopulierende Fabelwesen und Boote mit zerfetzten Segeln – die Referentin des sansibarischen Kulturministeriums ist schockiert, als ihr Hashim seine Bilder zeigt. Hashim kann den Schock nachvollziehen. Ihm ist selbst nicht ganz geheuer bei dem, was er mit schwarzer Tusche zu Papier bringt. Wie alle Sansibarer ist der 24jährige praktizierender Muslim, sollte sich also kein Bildnis machen. Niemand aus der Familie kennt die „Magic-Zeichnungen“ des staatlich angestellten Künstlers der Zanzibar Art and Craft School. „Wenn mein Lehrer nicht mit dem Ministerium gesprochen hätte, wäre ich entlassen worden.“

Hashims Lehrer ist ein japanischer Künstler aus Tokio, der fließend Suaheli spricht. Im Auftrag und auf Rechnung des Field Service Japan hat er zwei Jahre auf Sansibar gelebt und in dieser Zeit fünf Sansibarer in Zeichnen, Holzdruck und Batik ausgebildet. Von der Unabhängigkeit des künstlerischen Tuns hat er auch gesprochen. Das führte zu Schwierigkeiten. „Im Kulturministerium möchte man natürlich lieber Bilder, auf denen Sonnenaufgang mit Palmen oder Fischerboote mit Meer zu sehen sind. Das ist verdaulicher, verträgt sich besser mit dem traditionellen Leben auf der Insel, und an die Touristen läßt es sich auch besser verkaufen.“

Weil aber die Republik Sansibar auf gute Beziehungen zu Japan angewiesen ist – schließlich ging der real existierende Sozialismus 1989 auch am Indischen Ozean baden –, steht Hashim dank der Fürsprache seines japanischen Lehrers noch immer mit 15 Mark pro Monat auf der Lohnliste des Kulturministeriums, das auch für den Tourismus zuständig ist.

Mit Tourismus kennt sich Jack aus. Der 23jährige Kenianer ist Spezialist für Makuti-Dächer und kann sich auf Sansibar vor Arbeit kaum retten. „Natürlich wissen Sansibarer auch, wie man Makuti- Dächer macht. Aber sie können den Weißen nicht sagen, wie viele Palmziegel für ein Dach erforderlich sind und wie lange es dauert, bis alles fertig ist.“

Mit einem derart entspannten Verhältnis zur Zeit haben die kroatischen, schwedischen, italienischen, amerikanischen, omanischen und indischen Investoren auf der Insel Schwierigkeiten. Schnell, schnell, schnell! Eine klimatisierte Bungalowanlage nach der anderen muß aus dem Boden gestampft werden, um Pauschalreisende auf die Insel zu holen. Mafia, Crack und Heroin sind auch schon da, Mombasa läßt grüßen.

Obwohl Grund und Boden der Republik Sansibar laut Verfassung noch immer in Staatsbesitz und unverkäuflich sind, sollen bereits 65 Prozent der Ostküste ausländischen Investoren gehören. Und damit weiße Touristen für 350 Dollar pro Tag (exklusive Champagner) ihre Ruhe haben, sind kleinere Inseln rund um Sansibar bereits off limits für Einheimische. Fischerboote dürfen nicht mal mehr bei Sturm dort anlegen.

Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit investiert 100.000 Mark in den Betrieb eines Unterwasserparks. Der Fischfang ist den Fischern dort nicht mehr erlaubt, weil das Riff geschont werden muß. Statt dessen können sich bildungswillige Schulkinder im Infozentrum (mit Makuti-Dach) der vorgelagerten Insel über das Treiben unter Wasser belehren lassen oder einen Blick auf die Ökohütten (mit Makuti-Dächern) werfen, in denen naturverbundene weiße Touristen wohnen, Tausendfüßler und Kanonenkäfer bestaunen oder sich nach einem Tauchgang am Riff erholen.

Sansibar – Zauberwort. Seeräuber, Sklavenhändler und Sindbad der Seefahrer.

Auslaufender Sozialismus und ausgelaugter Spätkapitalismus bestimmen seit der Wende die Tagespolitik der Inselrepublik, die gemeinsam mit der Festlandrepublik Tanganjika seit 1964 den Staat Tansania bildet. 1992 wurde die Verfassung geändert und eine Mehrparteiendemokratie eingeführt. Jetzt gibt es neben der sozialistischen Einheitspartei CCM (Chma Cha Mapinduzi) auch Oppositionsparteien. Aber die können bislang nur außerparlamentarisch agieren, die ersten Wahlen finden im Oktober statt.

Mister Mohammna war mal wieder im Gefängnis. Der geschulte Marxist und orthodoxe Muslim ist Generalsekretär der UPDP (United People Democratic Party). Die Mitgliederzahl der Partei gibt er mit fünfzehntausend an. Mister Mohammna saß zwei Wochen ein, weil er zum Wahlboykott und zu Streiks aufgerufen hatte, falls die tansanische Festlandsregierung nicht noch vor den Wahlen zu Gesprächen über eine neue Verfassung bereit sei. „Wir Sansibarer wollen nicht länger zu Tansania gehören. Wir wollen unsere eigene Fahne, wir wollen einen eigenen Sitz in den Vereinten Nationen.“ Zwangsvereinigung nennt er die Gründung des tansanischen Staates 1964. „Tanganjika hat uns damals ausgehungert, damit wir beitreten. Das war Annexion, niemand wurde gefragt. Und nachdem sie uns seit dreißig Jahren tyrannisch regieren und aus dem Handelszentrum Ostafrikas ein Armenhaus gemacht haben, verkaufen sie das Land jetzt an Ausländer. Und dann kommen diese Touristen hierher, gehen fast nackt durch die Straßen und verletzen unsere religiösen Gefühle.“

Sansibar. Fünfmal am Tag der Ruf des Muezzin. Und das nicht erst, seit Sansibar zur Hauptstadt des Oman wurde und der Sultan von hier die ostafrikanische Küste und den Sklavenhandel kontrollierte. Das war 1840. Die älteste, noch heute genutzte Moschee datiert aber aus dem Jahr 1107.

Im Vergleich zu dieser langen islamischen Tradition sind dreißig Jahre Sozialismus ein Fliegenschiß, allerdings einer, über den sich nicht hinwegsehen läßt.

Die Häuser in der Altstadt sind so verrottet, daß bei jedem Sturm (der fast immer aus Mozambique kommt) zwei, drei davon zusammenbrechen. Der Durchschnittslohn beläuft sich auf 20 Mark im Monat, aber mindestens 30 sind nötig, um eine Familie zu ernähren. Die Landwirtschaft liegt so darnieder, daß Kartoffeln und Reis auf die fruchtbare, wasserreiche Insel eingeführt werden müssen. Wer krank ist, kann sich zwar kostenlos ins Krankenhaus legen, bloß Medikamente, um Malaria, Tuberkulose, Elephantitis oder Lepra zu behandeln, gibt es dort keine. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 48 Jahren, es werden so viele Kinder geboren wie sonst nirgendwo in Afrika. Die Vetternwirtschaft blüht, private Zeitungen sind verboten, Presse, Radio und Fernsehen sind fest in Regierungs-, sprich: CCM-Hand. Strom oder fließendes Wasser gibt es außerhalb der Touristensiedlungen nur in Sansibar-Stadt und in Chake Chake auf der Nachbarinsel Pemba. Dort allerdings nur 14 Tage im Monat.

„Wenn ich meine Arbeit behalten will, muß ich CCM wählen.“ Hashim sieht nicht sonderlich begeistert aus, als er das sagt. „Die neuen Parteien würden das, was ich male, nicht akzeptieren können. Sie denken traditioneller.“

Um ihre potentiellen Rivalen bei der Arbeit zu behindern, läßt sich die CCM einiges einfallen. So ist fast die Hälfte der 2.330-Quadratkilometer-Insel „aus Gründen der Staatssicherheit, der Ordnung und der Harmonie“ für Veranstaltungen der Opposition gesperrt. Parlaments-, sprich: CCM-Mitglieder lassen sich öffentlich darüber aus, welchen Oppositionspolitiker man am besten erschießen sollte.

Die herrschende Nomenklatura fürchtet vor allem die CUF (Civil United Front). Achmed Sheriff Hamad ist Generalsekretär dieser Oppositionspartei, deren Mitgliederzahl er selbst mit etwa 240.000 angibt. Auch er ist geschulter Marxist und orthodoxer Muslim. „Die Landverkäufe beunruhigen die Bevölkerung.“ Dann schiebt er den Satz nach, den weiße Investoren auf Sansibar fürchten wie die Kopfmalaria. „Wenn wir die Wahlen gewinnen, werden wir uns einige dieser Verträge genau ansehen müssen.“

Erklärtes CUF- Ziel ist die Installierung von drei Regierungen. Eine für Sansibar, eine für Tanganjika und eine für Tansania. Danach sollen Gespräche über eine neue sansibarische Verfassung aufgenommen werden. „Ein schwer zu erreichendes Ziel. Die Armee unterstützt die CCM, und die Wahlkommission ist nur mit CCM-Mitgliedern besetzt. Wir haben deshalb um internationale Wahlbeobachter gebeten.“

An der eigentlichen Crux dieser Wahl können die aber auch nichts ändern. „Als die Mehrparteiendemokratie 1992 eingeführt wurde, glaubten wir, daß wir auf beiden Seiten der vereinigten Republik Parteien gründen könnten. Das ist nicht der Fall. Das Gesetz erlaubt die Gründung einer Partei nur, wenn es sich, wie bei der CCM, um eine vereinigte tansanische Partei handelt. Jede neue Partei muß also auf den Inseln und auf dem Festland vertreten sein. CUF und UPDP haben in Tanganjika zwar jede Menge Unterstützung, weil dort 30 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, die unsere Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützen, aber wenn die CUF die Wahl in Sansibar gewinnt und die CCM auf dem Festland, wird Tansania unregierbar sein. Die Interessenlagen in beiden Republiken sind viel zu unterschiedlich.“

Wenn Sansibar Flöte spielt, tanzt Ostafrika. Diese Einschätzung der ehemaligen britischen „Schutzherren“ hat sich noch nicht überlebt: Der sansibarische Funke ist auf das Festland übergesprungen. In Daressalam gehen Demonstranten auf die Straße und werden verhaftet, weil sie für die Unabhängigkeit Tanganjikas eintreten. „Einheit, Gleichheit, Freiheit“ – 28 Jahre nach Verkündung der Arusha-Deklaration hat sich ihr Geist verabschiedet.

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