„Toleranz ist Schwäche“

■ Mit Stammtischparolen machen Anwohner in Lichtenrade Stimmung gegen liberalen Jugendarrest

Eine „Werbung für Toleranz“ sollte der Tag der offenen Tür am Samstag in der Jugendarrestanstalt Kieferngrund in Lichtenrade sein. Doch der Anstaltsleitung und dem Staatssekretär für Justiz, Detlef Borrmann (SPD), flogen die Stammtischparolen der Anwohner gegen diese Art liberaler Justizpolitik um die Ohren. Sie fühlten sich von der Politik „verscheißert“, wie Reinhold S. erklärte, denn den Anwohnern sei der Einzug einer „Verwaltung“ in das Gebäude versprochen worden. Der Zorn entzündete sich vor allem an Beschwerden über die Lärmbelästigung durch die Insassen: „Wir werden mit Negativ-Einrichtungen überhäuft“, hieß es im gutbürgerlichen Lichtenrade, wo auch noch eine Jugend-U-Haftanstalt geplant ist. Den Vorwürfen ihrer Gäste hatte die Anstaltsleitung nicht viel entgegenzusetzen.

Reinhold S. hat seinen gepflegten Garten gleich nebenan: „Die Politiker wissen ja nicht, was hier jeden Abend abgeht.“ Seit acht Monaten dient das Anwesen als Jugendarrestanstalt mit dreißig Plätzen. Belästigt fühlen sich die Anwohner von abendlichem Lärm. In der Hausordnung der Anstalt ist „Nachteinschluß“ in Einzelzimmern spätestens ab 20 Uhr festgelegt. Dagmar Fiebiger, die Verwaltungschefin der Einrichtung: „In den Zimmern gibt es keine Fernseher und keine Musikanlagen. Wenn dann Einschluß ist, unterhalten sich die Jugendlichen über mehrere Fenster hinweg.“

Die Einrichtung und ihre pädagogische Richtung stößt bei den Anwohnern auf scharfe Ablehnung: Geld sei immer nur für Randgruppen da, „aber wenn mal 'ne Straße repariert werden müßte...“ Der Jugendarrest ist Reinhold S. ohnehin zu lasch: „Ich kenne ganz andere Zuchtmittel, aber wenn man das sagt, ist man ja gleich ein Nazi.“ Die Anstalt sei anscheinend zu tolerant, meint auch eine Nachbarin. „Aber Toleranz ist Schwäche“, erklärt Reinhold S.

Das sieht Peter Dasch als Jugendrichter und Vollzugsleiter anders: „Der Jugendarrest ist keine Strafe, sondern ein Erziehungsmittel.“ Der Arrest, in dem den Jugendlichen auch eine Lehrstelle vermittelt werden soll, dauert höchstens vier Wochen. Für Sascha (16), der seit fünf Tagen in Lichtenrade sitzt, eine bleibende Erinnerung: Nach dem Urteil des Jugendrichters ging es direkt zum Arrest. „Am Anfang habe ich nur dagesessen und hab' gedacht: Du hast echt Scheiße gebaut.“ Sascha hatte mit „Kumpeln“ zwei Männer überfallen.

Das abendliche Geschrei will Dagmar Fiebig in Zukunft besser unterbinden. Das ist für Günter L., ebenfalls aus der Gruppe der etwa zehn Anwohner, nicht genug: „Für mich sollten die einfach auf die Golanhöhen, aber nicht hierhin.“ Auch von der Polizei fühlt man sich im Stich gelassen, weil die „Zaungäste“ nicht gleich vertrieben würden: „Da kommen dann am Abend Familienangehörige zum Zaun und schreien mit ihren Kindern hin und her. Alles Ausländer, ich hör's ja an den Stimmen.“

Die Stimmung in Lichtenrade wird wohl noch schlechter werden. Denn nebenan haben die Bauarbeiten für die Jugend-U-Haftanstalt bereits begonnen. Adrian Prechtel