: "Blavatzkys Kinder" - Teil 33 (Krimi)
Teil 33
Deger amüsierte sich, wenn er Veröffentlichungen der Bioethiker las. Die drehten und wanden sich wie Würmer, jonglierten mit Wörtern und erfanden neue. Köstlich! Alles nur, damit mehr Organe zur Verfügung standen und die Menschen sich mit immer neuen Todesdefinitionen abfanden. Die einen brauchten eine Ethik als Alibi. Andere brauchten keine Ethik, sie machten einfach, was sie wollten. Das Ergebnis unterschied sich wenig. Deger wandte seine Aufmerksamkeit wieder Gates zu.
„... im Foyer der Pittsburger Uniklinik gibt es eine Holzwand mit eingebautem Monitor. Unter diesem befindet sich ein Knopf, mit dem man einen Videofilm in Gang setzen kann. Ein Film heißt ,Dan's gifts‘, Dans Geschenke. Die Bilder zeigen einen kleinen Jungen. Neben seinem Bild läuft eine lange Liste. Auf der steht, was von diesem offensichtlich für tot erklärten Jungen zum Wohle anderer Patienten abgeschöpft werden konnte: Herz, Leber, Pankreas, Lungen, Nieren, Knochen und noch mehr.“
Gates goß sich eine neue Tasse Kaffee ein, kippte Zucker und Milch hinein und rührte um.
„Sie sehen, meine Freunde, man beginnt, uns ernsthaft Konkurrenz zu machen. Man hat nun angekündigt, sogar mit Selbstmördern zu kooperieren. Man verspricht ihnen die Versorgung ihrer Familien und einen schmerzfreien Tod zu einem abgesprochenen Zeitpunkt.“
Natürlich ging es der US-Organisation wirtschaftlich hervorragend. Eine ernsthafte wirtschaftliche Konkurrenz war nicht in Sicht.
* * *
„Miriam, Daniel Reuter hier. Ich weiß, es ist spät und ungewöhnlich, aber könnten Sie vielleicht noch heute abend in meine Bank kommen?“
„Warum?“
„Bitte, vertrauen Sie mir. Ich habe etwas gefunden, das ich Ihnen zeigen möchte ... Nein, bitte jetzt“, drängte Reuter und setzte hinzu: „Ja, in der besagten Angelegenheit. Halbe Stunde? Gut, ich warte auf Sie.“
Bei Paul ging niemand ans Telefon. Verdammt, Miriam wäre lieber nicht allein nachts in die Bank gegangen. Sie packte ein Tonband, einen Block und etwas zu schreiben ein, verknotete ihre Turnschuhe, schlug die Wohnungstür zu, ging müde die Treppen hinunter und schloß ihr Fahrrad auf.
* * *
Daniel Reuter war ein Mann, der sich mit Vergnügen um Finanzen kümmerte. Seine Stärke lag in der Analyse von Wirtschaftsdaten und in der Fähigkeit, sie strategisch anzuwenden. Meistens machte er Vorschläge, die sein Bankvorstand nicht begriff und zurückwies.
Seine Filiale hatte er so gut organisiert, daß nur selten Streß herrschte – meistens nur dann, wenn die Zinsen unerwartet stiegen und alte und neue Kunden noch schnell Kreditverträge abschließen wollten. Zur Zeit war es ruhig, und er fühlte sich unausgelastet.
Seit er Miriam und Robert im Wald aufgegabelt hatte, war er nicht mehr ganz bei der Sache. Es kribbelte in seinem Magen. Er hatte hin und her überlegt, wie er an Informationen über den Lebenshof herankommen konnte.
Am ersten Abend hatte er grübelnd vor seinem Schreibtisch gesessen und Papiere vollgekritzelt. Bei welcher Bank hatte der Lebenshof sein Konto? Unter welchem Namen war das Konto eingetragen? Dazu brauchte er den rechtlichen Status des Hofes. Eine GmbH? Ein eingetragener Verein? Weder der Anruf beim Handelsregister in der zuständigen Kreisstadt noch der beim Amtsgericht am nächsten Tag hatte etwas ergeben. Also eine natürliche Person, folgerte er am zweiten Abend. Wer? Seine Sekretärin hatte er gebeten, als freie Journalistin unter anderem beim Archiv der örtlichen Zeitung anzurufen. Sie hatte sich die Informationen über den Lebenshof an einen kleinen Fax- und Copyshop in der Nähe der Bank faxen lassen.
Die fotokopierten sieben Fax- Seiten lagen in dieser Nacht vor ihm. Ein Bericht über den Vortrag einer Gertrud Eibner, die von dem „Leiter des Lebenshofes“, einem gewissen Gottfried Schulte, begrüßt wurde. Ein Foto zeigte die beiden beim Händeschütteln. Er konnte die Gesichter nicht erkennen, die Qualität des Faxes war zu schlecht. Einen Monat vorher hatte er ein Wagner-Konzert gegeben. Auch die Musiker hatte Schulte für ein Foto demonstrativ begrüßt und war diesmal in der Bildunterschrift als „Vorsitzender des Lebenshofes“ bezeichnet worden.
Also Schulte, Gottfried Schulte. Er saß am Computer und rief die erste Bank auf, die ihm einfiel, und tippte den Namen ein.
Nach drei Stunden entfaltete sich vor ihm der Kontostand, den er gesucht hatte. Merkwürdig regelmäßig. Er fand die Spur eines anderen Kontos und dort auffällig viele Überweisungen aus dem Ausland.
* * *
Das größte Büro im ersten Obergeschoß des linken Schloßflügels war etwa bis Schulterhöhe mit Eiche getäfelt, darüber spannte sich eine mit Ornamenten bedruckte mattgelbe Stofftapete. Schwere dunkelrote Samtgardinen rahmten die drei hohen Fenster ein. An den Wänden standen einzelne Bücherregale in Höhe der Holztäfelung der Wand. Zwischen ihnen blieb ausreichend Platz für etwa sechs gerahmte Bilder. Der größte Rahmen barg eine penibel gezeichnete Deutschlandkarte von 1937. Ein handretuschiertes und handcoloriertes Foto zeigte einen fleckenlosen Adolf Hitler. Aus einem dritten Rahmen sah eine etwa fünfzigjährige Frau mit schwarzem, nach hinten gebundenem Haar aus großen Augen auf den Betrachter herab. Für ein weiteres Foto hatte sich eine Gruppe SS- Offiziere in Uniform und mit schweren Wintermänteln vor einer unbekannten Landschaft zur dreireihigen Gruppe postiert.
Fortsetzung folgt
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