: Das Prinzip Entschleunigung
■ TU-Pädagogen wollen mit eigenen Fahrkursen einen neuen Typ Autofahrer erziehen: defensiv, leise und benzinschonend, Autofahren nur im Notfall
Es sind nur noch 50 Meter bis zur roten Ampel. Hatice Kujak legt den Leerlauf ein und nutzt den Schwung, um mit ihrem Wagen bis zum weißen Haltestreifen vorzurollen. Dann stellt sie den Motor ab. Als es grün wird, startet die 22jährige Fahrschülerin erneut und schaltet schnell bis in den vierten Gang hoch; aber nicht, um die Reifen quietschen zu lassen und ihren mobilisierten Konkurrenten Auspuffabgase ins Gesicht zu blasen, sondern damit ihr Wagen möglichst leise durch den Verkehr gleitet – denn je höher der Gang, desto niedriger die Drehzahl. Das wiederum produziert weniger PS- Lärm und Schadstoffe.
Neben Hatice sitzt Lothar Taubert. Er ist Pädagogik-Diplomand an der Technischen Universität und gleichzeitig Fahrlehrer bei diesem ungewöhnlichen Projekt. „Wenn du siehst, daß einer so aggressiv losfährt, dann laß ihn halt vor“, empfiehlt Taubert kumpelhaft, als es beim amerikanischen Abbiegen an der Kreuzung Nürnberger Straße/Ku'damm etwas eng wird. Lothar Taubert hat nichts von der ruppigen Art, mit der Fahrlehrer häufig ihre Schüler malträtieren, wenn sie einen klitzekleinen Fehler machen.
Hatice ist eine von 24 FahrschülerInnen, denen TU-Pädagogen seit Anfang Juli defensives und umweltbewußtes Autofahren beibringen. Die SchülerInnen im Alter zwischen 18 und 22 Jahren werden in einer eigens an der „Arbeitsstelle für verkehrspädagogische Forschung und Lehre“ eingerichteten Fahrschule unterrichtet. Die ehrgeizigen Pädagogen haben sich nicht weniger vorgenommen, als eine neue Generation von Autofahrern zu erziehen – bei 47.837 Berlinern, vor allem Jugendlichen, die allein 1994 einen Antrag auf Fahrerlaubnis gestellt haben, ist das Potential groß.
„Wir wollen die jungen Leute zu verantwortungsvollen Autonutzern ausbilden, die nur im Notfall auf das Auto zurückgreifen“, sagt Taubert. Ab Oktober beginnen die TU-Pädagogen mit einem deutschlandweit einzigartigen Modellversuch: Schülern aus der 11. Klasse einer Gesamtschule soll das behutsame Autofahren beigebracht werden.
Für den theoretischen Unterricht und die praktischen Fahrstunden hat das Fahrschulteam ein Konzept ausgetüftelt, das sich wechselseitig ergänzen soll. Die Fahrschüler sollen sich mit dem Auto beispielsweise auf der Straße selbst die Geschwindigkeit suchen, die sie sich als Anfänger zutrauen. Über die Erfahrung, daß sie dadurch den Autostrom behindern, die Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer und über ihr individuelles Recht auf Langsamkeit wird dann in der Theoriestunde diskutiert. Um den hohen Ansprüchen an den sozial- und umweltgerechten Autolenker gerecht zu werden, müssen die Schüler allerdings auch mehr büffeln als herkömmliche Fahrschüler, in 18 anstelle der gesetzlich vorgeschriebenen zwölf Theoriedoppelstunden.
„Hier lernt man sehr intensiv“, stellte Hatice fest. Zur Theorie gehört auch ein „Hörspaziergang“, der den Schülern verdeutlichen soll, welche Kosten und Nebenfolgen der Autoverkehr verursacht – allein im letzten Jahr starben 149 Menschen im Berliner Verkehr. „Wenn ich mich nachts auf die Straße stelle und mit der Phonzahl kreische, die ein Auto erzeugt, dann würde ich doch in einer Viertelstunde in der Klapsmühle landen“, verdeutlicht der mit der Ausbildung betraute Diplompsychologe Michael Walz die Einschränkungen, die ohne Klagen durch den Straßenverkehr hingenommen werden.
Die Entwöhnung der autoverrückten Deutschen von ihrem liebsten Spielzeug wird sehr schwierig werden, wissen Taubert und Walz. Ob sie wenigstens ihre Fahrschüler langfristig zu einem zurückhaltenden und ressourceneinsparenden Fahrstil bewegen können, wissen sie allerdings nicht. „Am Ende haben wir unser Tor schon geschossen, wenn unsere Schüler ökonomischer fahren, allein um Geld zu sparen“, gibt sich Taubert pragmatisch. Ole Schulz
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