piwik no script img

Mein wunderbarer Plattenbau

Hoppla, wir leben noch! Ob Puhdys, Oktoberklub, Ernst Busch, Franke-Echo-Quintett oder Theo Schumann Combo – das Ostlied wird wieder nachgefragt. Alles nur gestaut? Oder kommen jetzt die Liebhaber und Historiker?  ■ Von Anke Westphal

1. Don't believe the hype!

Radebeul-West – das klingt schwer nach fünf Jahren Verbannung. Unter dem Stichwort „Radebeul“ verzeichnet der Reiseführer „Kunstland DDR“ (VEB Seemann Verlag, 1979) immerhin zwei Renaissanceschlösser, ein Heimatmuseum, eine staatliche Puppensammlung und ein Indianermuseum. Kein Wort über Karl May, in dessen Villa „Bärenfett“ das „Indianermuseum“ residierte, und schon gar keins über Radebeul- West, eine graue Siedlung an der Peripherie Dresdens.

Und doch ist es in die Archive eingegangen. Theo Schumann, Chef der zwischen 1965 und 1972 in der DDR äußerst erfolgreichen Theo-Schumann-Combo, entzündete 1964 seine Phantasie an diesem entlegenen Nest.

„Radebeul-West“ ist zu hören auf „L'Amigamore“, einer Compilation mit instrumentaler DDR- Tanzmusik aus den sechziger Jahren. Der Sound ist modern und „gepflegt“, noch keine Spur der späteren Versuche, Ost-Psychedelia zu erfinden. Das Tanzorchester Günter Gollasch klingt in etwa so, wie es heißt, Vorbild für Bands wie die Sputniks waren die „westlichen“ Shadows oder Duane Eddy mit seinem „Twangy“-Sound.

Die Sache hat entschieden Liebhabercharakter. DDR-Tanzmusik der Sechziger, das macht sich etwa so wie portugiesische Gitarrenmusik des 18. Jahrhunderts oder zentralafrikanische Hochzeitslieder. Wer kommt bloß auf so was?

Zum einen die Ostler selbst. Die Puhdys und Karat können sich wieder über regen Zulauf freuen – auch und gerade in der Provinz. Wer noch ein Blauhemd im Schrank hat und um die Zwanzig ist, geht, fast wie früher, auf FDJ- Revival-Parties, und Produkte wie Fit (das Fairy Ultra des Ostens) und Florena Creme retten Kaufhallen-Gefühle leicht verklärt über die Runden.

Aber auch „die Medien“ definieren mit am Revival des „Ostens“. Der Spiegel titelte gar ein neues „Ost-Gefühl“ herbei, und zwar auf denkbar geistesschlichte Weise: Bloßer Busen blitzt aus FDJ-Bluse, vive la DDR: „Siegfried Haziak, Ost, 57, trägt grobes Karo und krachbunte Krawatte.“ Ostdeutsche kleiden sich unmöglich und mögen es warm, „mindestens 25 Grad Celsius“, hieß es ein paar Nummern später. Szene Hamburg schwärmt vom „Trabi-Beat“, und selbst Spex, eigentlich eher ostfeindlich, da dem subkulturellen Trend verpflichtet, entdeckt plötzlich seine Liebe zum Ostlied. Mindestens drei Jahre zu spät. Bereits 1991 begann die DSB (Deutsche Schallplatten Berlin), der Nachfolger von VEB Deutsche Schallplatten, unter dem Titel „Rock aus Deutschland“ mit der Wiederveröffentlichung von DDR-Unterhaltungsmusik, 1993 wurde das Unternehmen mit der Schlager-Edition „Das war der flotte Osten“ fortgesetzt. Spexler, woran lag's nur: am mangelnden Informationsfluß, an der Entfernung oder gar an Ressentiments? Das Journal für die Verwaltung des Pop durch seine Erben hängt sich dieser Tage mit einer ganzseitigen „L'Amigamore“-Anzeige aus dem Kölner Wohnstubenfenster, Tenor: Wunderbar! „Ein letzter unnachahmlicher Höhepunkt“ des Hörgenusses sei der 1963 vom Orchester Günter Gollasch eingespielte „Twist für Geigen“ – ein Höhepunkt der Komik natürlich.

Warum nur drängt sich der Gedanke auf, daß die Boheme es sich mit den Segnungen von Susan Sontags Camp-Theorie ziemlich gemütlich gemacht hat? Camp meint in diesem Zusammenhang die Verwandlung des Ernsten ins Frivole. „L'Amigamore“, die Lieder des Oktoberklubs und der FDJ, Theo Schumann und die Sputniks – ist das die lustige Volksmusik für cyberlebende Diskursgeber?

Die sind immerhin gegen den Vorwurf der Ost-Nostalgie gefeit, der DDR-Sozialisierte mit Sicherheit trifft, wenn sie nur das geringste Entzücken über Manfred Krugs alte Platten oder sichere Arbeitsplätze äußern.

2. Die Archäologen

Sicher ist immerhin: Es regnet Ostlieder. Die Bolschewistische Kurkapelle und die Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde „Eingreiforchester“ bauen schon via Namensgebung auf das Camp- Potential sozialistischer Kampf- und Arbeitslieder. Das – melodisch verzerrt dargebotene – Repertoire ist dann nichts als dessen Bestätigung: „Es rollen die Räder im ratternden Takt / und dröhnend erklingen die Schienen / bei Sturm und Schnee / bei Tag und Nacht / der Lokführer auf der Maschine / hält Wacht / dem Lande beim Aufbau zu dienen.“ Das Publikum fällt auf den Rücken vor Lachen – es war ja nicht alles schlecht in der DDR, und im Westen ist auch nicht alles Gold, was glänzt, wah eh? Man wird den Eindruck nicht los, daß es selten eine Folge von Befreiung ist, wenn Geschichte nicht mehr ernst genommen wird. Die Ungleichzeitigkeiten und Transferphänomene Ost-West im Falle des gemeinen Ostlieds sind damit nicht erklärt. Die Parallelwelten kreuzen sich jedenfalls wie verrückt. In der Berliner Friedrichstraße lockt da zum Beispiel ein Plattenladen mit original Amiga-Scheiben – geführt von einem Kreuzberger. Cadillac, ein in Norderstedt bei Hamburg ansässiger „Kultur-Versand“, rekrutiert sein gesamtes Angebot aus dem DDR-Kulturfundus. Ernst Busch, die Puhdys, Karat, Helga Hahnemann – nichts fehlt. Der Cadillac- Betreiber Jörg Pflaumbaum, ein 28jähriger Hamburger, war bis 1993 Labelmanager bei der DSB und hat sich während dieser Zeit „neu in die Materie DDR-Musik einarbeiten müssen“. Pflaumbaum hat „eigentlich zuwenig Ware, obwohl das Publikum begrenzt ist“.

Die findigen Archäologen im Tagebau der sozialistischen Unterhaltungskunst stammen zum Gutteil aus den alten Bundesländern und sind meist unter dreißig Jahre alt. Auch die „L'Amigamore“-Editoren Myriam Brüger, 25, Promoterin bei der Plattenfirma L'age D'Or, und Marcus Heumann, 30, „Köllsche Jung“ und WDR-Redakteur, gehören zur Garde der jungen Gerechten. Sie lieben einfach „schöne Musik“, möchten dieselbe dem Vergessen entreißen und um keinen Preis ideologisch interpretiert sehen. Bei den Instrumentalstücken von „L'Amigamore“ ist diese „Gefahr“ tatsächlich gering, obwohl „Elektron“ (1968), „El Mozambique“ (1966) oder das um 1964 vom koreanischen Prinzen Sihanouk komponierte „Palmen am Meer“ sehr wohl einen hübschen Deutungsspielplatz abgeben würden. Nun hätte die Wahl von Brüger und Heumann auf jede beliebige „schöne Musik“ fallen können, russische Schlager zum Beispiel, aber nein, DDR mußte es sein. Die deutsch-deutsche Geschichte ist, ob Independent- oder Majorplattenfirma, ein marktstrategischer Faktor. „Kaum da, sind die Sachen schon verkauft“, meint Willi vom Musikmarkt in der Berliner Friedrichstraße.

Dazu paßt, daß die Rechte für die Amiga-Produkte mittlerweile von BMG Ariola aufgekauft sind. Eine besonders perfide Form von Kulturimperialismus oder echtes historisches Interesse – wer weiß das schon so genau? Im Hause Bertelsmann lizenziert man derzeit ausgewähltes DDR-Liedgut an kleine Label, und zwar äußerst vorsichtig, denn die Ostschiene könnte sich ja unversehens als Kassenknüller erweisen. BMG Ariola trägt Erhebliches bei, damit es bald soweit ist. Die alten Amiga-Lagerbestände wurden eingestampft, um sie gewinnbringend neu auflegen zu können. Eine Mitarbeiterin des frischgebackenen BMG-Ariola- Labels Amiga verfaßte eine zehnseitige Beilage über DDR-Musik für das Oktoberheft des Musik

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

journals ME/Sounds. Wie praktisch, wenn die Industrie sich ihre Presse selbst schreibt.

Independent-Labels wie L'Age D'Or hingegen rechnen, was die Theo-Schumann-Combo oder das Franke-Echo-Quintett anlangt, nicht gerade mit einem munter rollenden Rubel. Brüger und Heumann hörten sich, ganz Liebhaber, durch das Amiga-Single-Archiv – vom gelernten Historiker Heumann „aus lauter Liebe“ vor der Müllhalde gerettet.

Auch die Firma Metropolis rettet wie verrückt. Auf dem Label Grauzone, wohl eine Hommage an Michael Rauhuts vorzügliche Studie über den DDR-Rock zwischen 1964 und 1972, veröffentlicht man derzeit ebenfalls die Theo-Schumann-Combo (mit 100 Titeln allein zwischen 1967 und 1970 schier unerschöpflich), die Uwe-Schikora-Combo und Elektra neu. Die Lizenzen kommen von BMG Ariola. Etwas bang ist den Independent-Archäologen wohl doch. „Kennst du die?“ lautet die Standardfrage, wenn Gruppennamen fallen.

3. Dunkle Gedanken

Hinter der Berliner Edition BARBArossa verbirgt sich Karl Heinz Ocasek, einst Mitglied des Oktoberklubs, später Amiga-Produzent. BARBArossa verlegte 1994 eine FDJ-Liederproduktion für das Schweriner Theater und brachte jetzt die Songs des Oktoberklubs neu heraus. Fast zeitgleich zu all diesen Wiederveröffentlichungen wird der DDR-Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, aus der Haft entlassen – „Tauwetter“. Charly Ocasek gibt der taz kein Interview mehr, zu viel „Schwachsinn, Dummheit und Bösartigkeit“ sei hier schon über sein Label verbreitet worden.

Dieter Franke vom Franke- Echo-Quintett spielte ab 1958 als einer der ersten in der DDR „Rock 'n' Roll und Beatmusik, Elvis und so“. Dieter Frankes Schwiegervater arbeitete als Produktionsleiter beim Rundfunk der DDR. „Um dem Klassenfeind in Gestalt der Rolling Stones die Stirn zu bieten, wurden die Puhdys erfunden. Es ging überhaupt nicht um Qualität, es gab viele Bands, die weit besser waren“, weiß Franke.

Dennoch ist es nicht besonders nebulös, daß dieser Tage die Konzerte der Puhdys, die FDJ-Revival- Partys gestürmt werden. Ein ungestilltes Bedürfnis nach Religion und ungefährlichem Pathos, das „Hoppla, wir leben noch“, die DDR-Sozialisation der Über- 25jährigen und eine vergleichsweise kurze Phase der Anpassung an die neuen gesellschaftlichen Codes sind für den Ostberliner Psychotherapeuten Helmut Schlegel, der dereinst etliche der heute wieder Berühmten behandelte, Gründe genug für den leuchtenden Blick zurück: „Die Masse verlangt nach Führung.“ Auch Dieter Franke sieht „einige Religion“ im Boom des Ost-Erbes.

Religion hieß im Falle des Oktoberklubs „revolutionäre Romantik“. Songs, Interpretationsweise und ideologische Ziele dieses Substituts für den – unzulässigerweise anglizismusfreundlichen – Hootenanny-Klub Berlin machten mir damals, machen mir heute eine unangenehme Gänsehaut. Sogar das Saufen ist da im Sinne des Klassenkampfes fortschrittlich: „Der Morgen kommt mit jedem Glas / und jedem roten Land.“ „Unsere Sache / die nimmt ihren Lauf.“

Furcht ist entschieden produktiver als folgenlose Erheiterung über den volkseigenen Hirsch, der nun auch an Spexens Wand röhrt. Punktum: Ich entwickle nicht einmal Nostalgiegefühle, wenn mein Nachbar aus Hamburg mich jeden Sonnabendvormittag mit Renfts staatsfeindlichem „Wer die Rose ehrt“ terrorisiert. Kult mag eine strukturierende Maßnahme sein, eine besonders vitale ist er nicht. Es ist gruselig und nicht lustig, wenn man emotional in einen Transformationsprozeß verwickelt und – schrecklich – ergriffen ist.

4. Heiterer Schluß

Die Ansichten von DDR-Musikern über die Neuveröffentlichung der von ihnen produzierten Tanz- und Agitationsmusik ist nicht nur sympathisch, sondern auch lebensnah. Dieter Franke vom Franke- Echo-Quintett hält die DDR-Musik ganz einfach für „würdig, wieder aufgeführt zu werden“, und stört sich nicht weiter daran, daß auch FDJ- und Pionierlieder boomen. „Ein bißchen eigenartig“ sei das schon, aber ein verständlicher „Kontrapunkt zur politischen Entwicklung“, so der 58jährige, der mit Dob Dobberstein, „der ältesten Rockband der Welt“, immer noch Musik macht. „Musik, das ist der Notausgang der Jugend“, sagt Franke. Einer der klügsten Sätze, die ich je gehört habe.

Reinhold Andert war neben Hartmut König das prominenteste Mitglied des Oktoberklubs und Autor des hochpathetischen „Lieds vom Vaterland“. Ihm ist es „wurscht“, daß die alten Töne wieder populär sind – „ich habe kein Bedürfnis nach Nostalgie“, sagt er. Dem Klub kehrte Andert bereits 1973 den Rücken, „als ich fühlte, etwas stimmt da nicht mehr“. Demnächst veröffentlicht er beim Label Nebelhorn eine CD, die sinnträchtig „Fürsten in Lumpen und Loden“ heißt. Die Linernotes zu „Oktoberklub. Das Beste“ will er nur aus Kompetenzgründen geschrieben haben.

Der Oktoberklub hatte zu DDR-Zeiten einen Hit mit dem trotzigen DDR-Anerkennungskampflied „Da sind wir aber immer noch“. Staaten kommen und gehen, doch der Oktoberklub hat, was das eigene Werk angeht, mit dieser Zeile unerwartet recht behalten. Recht behalten hat er auch mit einem Gemeinplatz aus dem Song „Wir über dreißig“: „Jeder wird groß in irgend 'ner Zeit / Und jeder denkt, seine war ganz was Besonderes.“ Das Leben ist reichlich oft lustig, immer aber konkret. Und die Musik wird niemals langsam.

Diverse: „L'Amigamore“ (L'Age D'Or)

„Oktoberklub. Das Beste“ (Edition BARBArossa)

„Die Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin“ (Amigo/Edition BARBArossa)

Linkssentimentale Transportarbeiterfreunde „Eingreiforchester“: „Blutende Herzen“ (Plattenmeister/D.D.R.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen