: Keine Illusionen über das repressive Recht
■ betr.: „Peking wird gesäubert“, „Sauber, sauber“, taz vom 11.08.1995
Hinrichtungen, Verhaftungen und sonstige Schikanen gegen die Bevölkerung haben einen Zweck. Einschüchterung und Warnung vor allzu viel Courage und vor allzu viel Interesse an den Fremden Gästinnen. Das ist die Wirklichkeit, der diejenige begegnen wird, die - wie Jutta Lietsch es fordert — genau hinsieht. Jutta Lietsch hat auch recht, wenn sie sagt, daß keine sich Illusionen über das repressive Regime machen konnte, doch Boykottforderungen gab und gibt es, zum Beispiel von der Feministischen Partei.
Keine kann leichten Herzens von Frauen, die sich über lange Zeit auf die Konferenz vorbereitet haben, fordern, sie möge politische Hoffnungen und finanzielle Aufwendungen einfach in den Wind segeln lassen. Dennoch möge jede einen Boykott der Konferenz ernsthaft in Erwägung ziehen und sich mindestens klarmachen, daß die chinesische Regierung die Konferenz als Bestätigung der eigenen Politik wertet. Und die Wirklichkeit gibt dieser Regierung damit auch recht — wir können klar erkenenn, was die Machthaber in China sich alles leisten können trotz internationaler Proteste. Die Geschäfte mit dem Westen werden durch Hinrichtungen und Terror gegen die eigene Bevölkerung nicht geschmälert, und daß der heute nacht erst vollzogene Atomtest sie schmälern wird, ist ganz unwahrscheinlich.
Boykottiert Peking! Mit dieser Forderung sollten sich nicht nur, nicht einmal in erster Linie die NGO's und einzeln anreisende Frauen auseinandersetzen, sondern auch und vor allem die Regierungsdelegationen und die westlichen Regierungen. Ulrike Gramann,
Feministische Partei
Jutta Lietsch schreibt, es solle darüber geredet werden, warum ein Boykott der Weltfrauenkonferenz in Peking in der BRD, auch bei den NGO's, nie ernsthaft diskutiert wurde. Ob das stimmt, wage ich zu bezweifeln, aber das wissen andere aus ihren internen Diskussionen besser.
Ich bin gegen einen Boykott, denn ich muß mich fragen, wen würde er schmerzen, wen würde er freuen? Schmerzen würde er nicht nur die 30.000 Frauen, die zum NGO-Forum fahren wollen, und zwar nicht zum Vergnügen, auch nicht zum Sightseeing, sondern um Armut, Gesundheit, Bildung, die Menschenrechte von Frauen und Enpowerment weltweit auf die politische Tagesordnung zu setzen. Und es ist mindestens die hundertfache Zahl dieser 30.000, die in ihren Ländern seit Jahren unabhängig von ihren Regierungen — oft genug gegen sie — Frauenpolitik formulieren, organisieren und an der Basis praktizieren. Sie alle würden sich die Chance nehmen, in Kontakt zu kommen oder zu bleiben, sich gegenseitig zu stärken und ihre Kraft wenigstens eine Woche lang zu zeigen.
Freuen würden sich vor allem die chinesischen Machthaber. Ihnen blieben neben vielen praktischen Problemen vor allem die Fragen und Diskussionen erspart, ja das bloße Bild tausender Frauen aller Hautfarben, die die Welt verändern wollen. Freuen würde sich auch ein großer Teil der Regierungen. Man(n) wäre unter sich und könnte ungestört „über“ diejenigen verhandeln, die aus Wut über das Gastland zu Hause geblieben sind.
Weibliche Föten werden nicht nur in China abgetrieben. Die vom Westen finanzierte Bevölkerungspolitik anderer Länder muß in Peking genauso diskutiert werden. Die Feminisierung der Armut auch in der BRD wird Thema sein. Die Menschenrechte von Frauen werden überall verletzt, nicht zuletzt durch das deutsche Asylrecht. Darüber mit der Südafrikanerin, der Philippina oder Peruanerin zu reden, das ist der Sinn des NGO- Forums. Ein Boykott würde nur uns selbst schaden. Dr. Inge v. Bönninghausen,
Bergisch-Gladbach
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