Barbaren auf dem Spielbrett

■ 12. Bremer Fantasy-SpielerInnen-Treffen: Die Szene bröckelt, die Schwerter klirren

„Wir waren bloß neune, und die anderen zu zwölft. Also haben wir uns in Schlachtformation aufgestellt, die Schwerter vorgestreckt. Meinst du, die haben gewagt, uns anzugehen?“ Stolz prahlt der schwarz gekleidete Recke mit Heldentaten, als wäre er in einer Taverne in J.R.R. Tolkiens Mittelerde.

Zum zwölften Mal verwandelte sich das Bürgerhaus Weserterrassen beim jährlichen Bremer Fantasy-SpielerInnen-Treffen in ein buntes Tollhaus.

Über sechzig Rollenspielwillige hatten sich um ein Dutzend Tische versammelt. Rollenspiel, das hat in diesem Zusammenhang nichts mit Theater oder mit Psychotherapie zu tun. Auch als Erwachsener noch spielerisch in eine Rolle zu schlüpfen, ist vielmehr die logische Fortsetzung des juvenilen Cowboy- und Indianerspiels, des Erfindens von neuen Identitäten, des Erschaffens imaginärer Welten. Längst nicht alle lungerten, aufwendig als Elfen oder Zwerge verkleidet, hinter ihren Ständen und schwenkten mit Styroporschwertern. Eines war auf den ersten Blick klar: Die Szene ist in zahlreiche Sub-Genres aufgesplittert. Die optisch beeindruckenden Life-Rollenspieler stellen nur eine der vielen Möglichkeiten dar, wie man mit Fantasie und dem Willen, sich auf einen Scheinwelt einzulassen, seine Freizeit ungemein lebhaft verbringen kann.

„Ich bin zu dick für einen wendigen Dieb und für einen Barbaren nicht stark genug. Also genieße ich es, im Gegensatz zu den Livespielern, in meinem Kopf mit anderen in eine Rolle zu schlüpfen, die ich im realen Leben nicht ausfüllen kann“, erklärt Software-Ingenieur Karl-Heinz, 39, seine Vorliebe für das klassische Rollenspiel. Eine Handvoll Spieler lauscht den Anweisungen ihrer Spielleiter und stellt sich dabei vor, durch die vom Spielleiter erdachte Welt geführt zu werden, um dort Abenteuer zu erleben.

Andere messen sich bei den sogenannten Table-Tops, Brettspielen wie Bloodbowl. Das Brett ist voller verschrobener Zinn-Figürchen. Ewig böse humanoide Unterweltbewohner, die Orks, oder andere Wesen wie Zwerge oder Elfen sind in riesigen Armee zusammengefaßt, die nach einem ausgeklügelten Regelwerk dezimiert werden.

Der Renner ist aber derzeit ein Kartenspiel: Magic. Der Reiz besteht darin, daß die Spielkarten nur in Wundertüten als Trading-Cards erhältlich sind. Es gibt 1485 verschiedene Motive, Auflage über 100.000. Im Gegensatz zum Skat weiß man nicht, welche Karten die Mitspielenden gekauft, getauscht oder sonstwie erworben haben. Die individuelle Zusammensetzung jedes Spieles ist unvorhersehbar.

Allen Sub-Genres gleich ist die Suche nach der atmosphärischen Dichte, der Wille, sich auf die Fantasiewelt einzulassen - stundenlang. Organisator Tobias von Pandaemonium e.V., einem Bremer Zusammenschluß aus Hobby-Magiern und Orkschlächtern: „Nichts ist schlimmer, als wenn jemand dauernd auf die Quartzuhr guckt und sich eine Cola holt.“ Das völlige Versinken in einer mit der eigenen Fantasie geschaffenen Welt macht die Faszination des Rollenspiels aus. Die Wege dorthin sind verschieden, nicht aber das Ziel. Karl-Heinz: „Ob ich das nun am Tisch erlebe oder ob andere versuchen, für die Life-Rollenspiele ihre Kettenhemden selbst zu schmieden, um ihre Fantasie möglichst echt nachzuleben - bei allen passiert die Hauptsache im Kopf.“

Vor allem Naturwissenschaftler, Physiker, Informatiker finden sich unter den Rollenspielern. „Bei den trockenen Berufen brauchst du eben einen Ausgleich,“ glaubt Wolfgang, 30, als Taxifahrer die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. Entsprechend akribisch sind die Anleitungen der meisten Spiele. Allein die Spielregeln auszubaldowern, dauert oft einen ganze Nachmittag. Kein Wunder, daß bei dieser Art der Freizeitgestaltung Geisteswissenschaftler oder Malocher selten sind – und Frauen. Informatikstudentin Sylvia ist eine der wenigen. „Klar, um einen Tisch rumzusitzen und zu quatschen, ist schon irgendwie typisch männlich“, findet sie. „Du siehst ja nichts, es passiert alles im Kopf. Das wirkt von weitem wie ein Stammtisch, wenn du nicht mitmachst.“

Seit einem Jahr organisiert Informatikstudent Tobias die jährlichen Szene-Treffs. In diesem Jahr ist er von der Resonanz allerdings etwas enttäuscht. „Keine Ahnung, was los ist. Die Luft ist etwas raus.“ Die Szene stagniert, nur wenige Neueinsteiger ließen sich blicken. Vor allem Veteranen trafen sich in diesmal. Karl-Heinz ist nun 10 Jahre, Ingo, selbstredend auch Informatikstudent, ebensolange dabei. Sylvia hat immerhin sechs Jahre Rollenspielerfahrung hinter sich. Trotzdem findet Tobias, daß man zum Spielen nie zu alt ist. „Der homo sapiens ist eigentlich ein homo ludens, ein verspielter Mensch.“

Immerhin: Bei soviel abgeklärter Erfahrung ist auch die ironische Distanz zum Rollenspiel gewachsen. Bierernst nimmt niemand sein Hobby, und sich selber auf die Schippe zu nehmen, gehört laut Karl-Heinz selbstredend dazu: „Einmal hatte ein Spielleiter ein Szenario mit einer fiktiven Spielgruppe erdacht. Wir haben uns totgelacht, als wir auf die trafen. Da spielten dann Elfen und Zwerge im Wald auch ein Rollenspiel, wo sie „Buchhalter“ oder „Bürokrat“ waren.“ Lars Reppesgard

Kontakt für Rollenspiel-Interessierte: Pandaemonium e.V., Tobias Glage, T. 467-7637