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Nato führt Krieg gegen Serben

■ Massive Bombenangriffe auf Stellungen der bosnischen Serben / Unter den Toten sind auch EU-Beobachter / Französischer Jet abgeschossen / UNO und Nato wollen jetzt die Belagerung aller Schutzzonen militärisch beenden

Sarajevo/Zagreb (AFP/dpa/taz) – Als Vergeltung für den Granatangriff auf Sarajevo haben UNO und Nato gestern seit den frühen Morgenstunden mit über 60 Kampfbombern Stellungen der bosnischen Serben bei Sarajevo massiv angegriffen. Die Bombardements erfolgten in mehreren Wellen und waren während des Tages auch auf Regionen bei den UN- Schutzzonen Tuzla und Goražde und Stellungen bei Mostar ausgedehnt worden. Deutsche Tornados waren an den Aktionen nach Auskunft des Bonner Verteidigungsministeriums nicht eingesetzt. Die Schnelle Eingreiftruppe, die unter UNO- Kommando am Berg Igman bei Sarajevo steht, beteiligte sich mit Artilleriefeuer. Die bosnischen Serben ihrerseits nahmen drei UNO-Stellungen in Sarajevo unter Feuer. Die Bevölkerung der Stadt hatte in der Nacht mit Freudentänzen auf die Angriffe reagiert.

Die serbische Nachrichtenagentur SRNA meldete, daß bei den Angriffen bislang zwölf Menschen, darunter fünf EU- Beobachter, getötet wurden. Ihr Tod wurde von der Europäischen Union am Abend bestätigt. Das bosnisch-serbische Fernsehen in Pale berichtete, daß es Opfer unter der Bevölkerung gegeben habe; vor allem zivile Ziele seien getroffen worden. Während der fünften Angriffswelle kurz nach 17 Uhr wurde eine französische Mirage von einer Flugabwehrstellung der bosnischen Serben in der Nähe von Pale abgeschossen.

Die westlichen Regierungen haben die Angriffe einhellig begrüßt. Der russische Präsident Jelzin mißbilligte dagegen sowohl das Vorgehen von UNO und Nato als auch den Granatbeschuß Sarajevos durch die bosnischen Serben. Während der bosnische Präsident Izetbegović die Luftangriffe nach einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Chirac als „Beginn des Friedens“ bezeichnet hatte, forderte die Regierung Restjugoslawiens gestern nachmittag die „sofortige Einstellung“ der Bombardements.

Die Bundesregierung sprach von einer angemessenen Antwort auf die „barbarischen Angriffe“ gegen die Menschen in Sarajevo. „Wer mit blankem Terror versucht, den in Gang gekommenen Gesprächsprozeß für eine friedliche Lösung des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien zu stören, muß mit entsprechenden Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft rechnen“, erklärte Regierungssprecher Peter Hausmann in Bonn.

CDU, FDP und SPD haben die Angriffe ebenfalls gerechtfertigt. In ähnlich lautenden Erklärungen hieß es, es gebe kein anderes Mittel, um die leidende Bevölkerung von Sarajevo vor solchen Anschlägen zu schützen und die Belagerung der Stadt zu beenden.

Fraktionsführung und Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen gaben unterschiedliche Stellungnahmen ab. Vorstandssprecher Jürgen Trittin und die politische Geschäftsführerin der Partei, Heide Rühle, verurteilten das Vorgehen der Nato gestern in Bonn als „falsche Antwort“. „Bomben bringen keinen Frieden“, betonten die beiden Politiker. Dagegen hatte der Fraktionsvorstand die Angriffe in einer kurz zuvor veröffentlichten Erklärung als „logische und grausame Konsequenz aus den jüngsten Massakern der bosnischen Serben“ gebilligt. Die PDS kritisierte UNO und Nato.

Nato-Generalsekretär Willy Claes erklärte gestern abend in Brüssel, die Militäraktion könne je nach Reaktion der Serben noch verstärkt werden. Der Kommandeur der UNO-Truppen im früheren Jugoslawien, Bernard Janvier, hatte in Zagreb gesagt, das Nato-Bombardement habe die Bedrohung Sarajevos deutlich verringert. Die Angriffe würden jedoch so lange fortgesetzt, bis alle UNO-Schutzzonen frei von militärischer Bedrohung seien.

Der US-Vermittler Richard Holbrooke reiste nach Belgrad, um mit dem serbischen Präsidenten Milošević die Gespräche über eine politische Beilegung des Krieges auf dem Balkan fortzusetzen. gb

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