: Kreuzberg im Silicon Valley
Seit zwei Jahren ist Adlershof auf der Suche nach einer neuen Identität: High-Tech-City mit glitzernden Bürotürmen heißt die Vision. Die Realität spielt da jedoch nicht immer mit ■ Von Rolf Lautenschläger
Wer sich heute, ob zu Fuß oder im noblen Shuttlebus der Senatsbauverwaltung, über das riesige Gelände von Johannisthal-Adlershof bewegt, begegnet auch fünf Jahre nach der Projektion erster Hochglanzvisionen für die „Wissenschaftsstadt“ noch der Vergangenheit: Der S-Bahnhof ist ein zugiger Ort geblieben, die Kasernen des einstigen NVA-Wachbataillons „Feliks Dzierzynski“ stehen leer oder sind von Plakaten hiesiger Großmarktketten verkleistert. Studios des DDR-Fernsehns bieten ein Bild der Verwahrlosung und Zerstörung. Betonplatten und Bunkeranlagen ragen aus dem grün verwilderten Erdreich.
Doch was vor fünf Jahren nur mit dem Begriff Trostlosigkeit zu fassen war, steht heute vor einem erkennbaren Umbruch. Die zukünftige High-Tech-Stadt mit Forschungseinrichtungen, Kinos und Filmstudios, dem Campus für naturwissenschaftliche Institute der Humboldt-Universität, Büro- und Wohnquartieren sowie einem zentralen Park auf dem früheren Flugfeld schält sich aus der Vergangenheit – langsam – heraus.
Im Norden des 420 Hektar großen Dreicks sind Werkhallen und Bürokarrees für Handwerksbetriebe, Ausbildungzentren und die TÜV-Akademie entstanden. Der Entwicklungsträger Wista siedelt im südlichen Bereich forschungsnahe Industrien sowie Gewerbebetriebe an und plant den Ausbau der Synchrotronstrahlungsquelle Bessy 2. In der „Medienfabrik“ wurde im Mai 1995 das Studio für elektronische Bildbearbeitung eröffnet. Und entlang der verlängerten Rudower Chaussee steht für 500 Wohnungen das Investorenauswahlverfahren vor der Tür.
Den 2 Milliarden Mark teuren Bau der „Wissenschaftsstadt Adlershof“ bezeichnet Frank Bielka, Staatssekretär in der Senatsbauverwaltung, als „die ehrgeizigste Maßnahme unter den städtischen Entwicklungsprojekten“. Innerhalb der nächsten 15 Jahre soll sich das geplante Szenario einer High- Tech-City im Südosten für 15.000 Einwohner und 30.000 Arbeitsplätze verfestigt haben.
Dennoch gibt sich der Staatssekretär vorsichtig optimistisch: Bei dem Bau einer neuen Stadt besteht nicht nur die „Gefahr separater Gebiete“, die wenig miteinander zu tun haben, nicht untereinander verknüpft sind und künstliche Inseln eines künstlichen Ganzen bilden. Problematisch ist der Prozeß der Verlebendigung der Wissenschaftsstadt, in der nach Büroschluß die Bürgersteige nicht leergefegt sein sollen. Ein zweites Silicon Valley soll Adlershof nicht werden. Im Unterschied zum amerikanischen Mikrochip-Komplex auf der grünen Wiese setzen die Planer auf differenzierte Wohnformen und die Mischung von Alt- und Neubauten, Arbeiten und Wohnen, um auf lange Sicht „Urbanität“ zu garantieren, so Bielka.
Wie schwer das werden wird, deutet sich bereits heute an. Die Ansiedlung vieler Firmen für ein „synergetisches“ Ganzes läßt sich schwer steuern. Chaos (oder besser: der Markt) und unkontrollierte Gebietsentwicklung statt Ordnung und Planung regieren. Gegenwärtig haben sich über 200 Betriebe und Unternehmen auf dem Areal angesiedelt. In der Mehrzahl Ausgliederungen und Nachfolger abgewickelter DDR- Institute, die einmal 25.000 Menschen beschäftigten – heute sind davon 3.500 geblieben. Kleine Betriebe haben Werkstätten und Lagerflächen gemietet, große Firmen, etwa Daimler-Benz, lassen sich dagegen Zeit, in den Südosten zu ziehen.
Mitschuld an der Misere haben im Grunde marginale Dinge, die die Ansiedlungseuphorie bremsen. Für das „Eingangstor“ zur Wissenschaftsstadt, den S-Bahnhof Adlershof, liegt etwa ein schnittiger Entwurf von Albert Speer (Frankfurt am Main) vor. Doch die Finanzierungsanteile des Objekts zwischen der Bahn AG und der Berlin-Adlershof-Aufbaugesellschaft (BAAG) sind ungeklärt, meint BAAG-Planer Wilhelmus.
Die Wissenschaftsstadt hat es schwer, sich zu verkaufen. „Die optische Unattraktivität des Umfelds schreckt genauso ab wie schlechte Straßen oder offene Grundstücksfragen.“ Weil große Teile des Areals nicht dem Land Berlin, sondern der Berliner Handels- und Immobiliengesellschaft (Behim) gehören, sind den BAAG-Planern dort bei Ansiedlungsvorhaben die Hände gebunden.
„An der Rudower Chaussee müßte eine ganze Zeile abgerissen werden, damit die Straße verbreitert werden kann“, sagt Wilhelmus. Auch innerhalb des Gebiets gibt es keine Planungssicherheit für investitionswillige Unternehmen, solange der Finanzsenator die Grundstücke nicht erworben hat. Dennoch zeigt sich, daß die kleine chaotische Betriebs- und Einkaufswelt etwas ausstrahlt, was glitzernde Bürotürme, Mediencenter oder Forschungsinstitute niemals haben werden – von den Provisorien geht Leben aus. Schaut man sich das Treiben von Händlern und Käufern vor den Läden, „Salons“, Buden und Großmärkten im Zentrum des Gebiets an, gewinnt man den Eindruck, als hätte sich die „Kreuzberger Mischung“ dort breitgemacht, wie ein BAAG-Mitarbeiter halbbitter sagt.
Ein zweiter Schwerpunkt der Gebietsentwicklung wird der große Landschaftspark werden. Jens Krause, Geschäftsführer der BAAG, investiert 6,2 Millionen Mark in den Abriß von Bunkeranlagen, Mauerresten und NVA- Schrott auf dem früheren Flugfeld und schafft damit Raum für den Park im Zentrum des dreieckigen Gebietes. Hier, wo einst die Wiege der Luftfahrt stand und sich ab 1909 die tollkühnen Männer und Frauen in ihren fliegenden Kisten in die Lüfte erhoben, soll ein „Central Park“ zur Erholung und für Sportanlagen entstehen. „Ein grünes Herz“, meint ein BAAG-Planer, der wenig später in der Medienzentrale wieder von spiegelnden Bürofassaden träumt. High-Tech- City-Identität, quo vadis?
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