: „Es gibt zu viele Farani hier“
Die jungen Polynesier sind gegen die Bombe und gegen die Farani – die Franzosen. Häufig ohne Job haben sie nur wenig zu verlieren. So gewinnt die Unabhängigkeitsbewegung an Zulauf ■ Aus Papeete Nicola Liebert
Schmachtend schallen die Lieder über eine Einkaufsstraße in Papeetes Zentrum. Auf einer kleinen, aus Transportpaletten improvisierten Bühne singt ein Tahitianer in Hawaiihemd, begleitet von einer Ukulele, einer Trommel und einem Synthesizer, von „Fenua“. Fenua ist die Insel, ist Erde, Meer und Himmel. Fenua ist dem Volk der Maohi heilig, Fenua gilt es vor den zerstörerischen Atomtests zu schützen.
„I te Fenua“, wir kommen von der (heiligen) Insel, so sangen auch schon vergangenes Wochenende Tausende Demonstranten, die die evangelische Kirche mobilisiert hatte. Schnell ergreifen zahlreiche Menschen von der sonst so autoverstopften Straße Besitz, gruppenweise stehen sie da, lauschen andächtig.
Seit neuestem prangt ein schwarz hingesprühter Spruch auf einer Fassade gegenüber: „Chirac, Flosse: Killer“ – Papeetes einziges Graffito. Chiracs Spezi Gaston Flosse ist der allseits verhaßte Regierungschef Französisch Polynesiens. Gerade ist die große Demonstration der Unabhängigkeitspartei Tavini und der Abgeordneten aus aller Welt zu Ende gegangen.
„Das ist der kleine Modeladen dort unter den Arkaden, der die Musik organisiert hat“, erklärt eine junge Frau mit duftender Tiare-Blüte hinterm Ohr. Toll findet sie es, wie sich die Ladenbesitzer immer neue Verkaufsgags einfallen lassen. „Sie sind Touristin hier?“ fragt sie. Nein, ach so, Journalistin. Wegen der Atomtests, schließt sie scharfsinnig. Sie senkt die Stimme, beugt sich leicht herüber – so werden gefährliche Geheimnisse verraten: „Wissen Sie, wir sind hier alle gegen die Tests.“
„Wir sind hier alle gegen die Tests“, flüstert später unter dem Mantel der Verschwiegenheit auch die Bedienung im Le Retro, dem Café mit Blick über die tosende Straße entlang dem Hafen, wo jeder zweite Tisch von Journalisten okkupiert ist. „Siehst du, wir sind alle gegen die Tests“, sagt auch Vanaa Vaiho, eine Aktivistin der Unabhängigkeitsbewegung. „Aber die Leute haben Angst.“ Vanaa flüstert nicht; die stämmige Tahitianerin mit dem grauen Bubikopf hämmert beim Reden mit den Fäusten in der Luft herum. „Wenn dein Chef dich auf der Demonstration sieht, dann bekommst du gleich am nächsten Morgen eine Abmahnung. Und nach zwei Abmahnungen hast du keinen Job mehr. Das ist die Demokratie, die die Franzosen gebracht haben.“
Ob der Taxifahrer, die Hotelrezeptionistin oder der Zeitungshändler: alle erzählen, daß sie zwar nicht unbedingt deswegen demonstrierend auf die Straße gingen, daß aber alle gegen die Atomtests sind. Mit „alle“ sind dabei nur die Polynesier gemeint. Die Franzosen – pah, das weiß man ja, was man von denen zu halten hat.
„Die Bombe?“ fragt wie zur Bestätigung André Delhoste, der mit zwei weiteren älteren französischen Herren im Retro seinen Nachmittags-Pastis nimmt. „Bof“, er zieht die Mundwinkel herab. „Bof, wir Franzosen – uns ist das egal. Was soll schon passieren?“ Die drei nehmen ihr Gespräch wieder auf: darüber, wie ihre tahitianischen Angestellten immer erst so spät zur Arbeit kommen, stundenlange Mittagspausen machen und dann auch noch früh gehen wollen.
„Du bist Französin?“ hatte ein junger Tahitianer am Tag zuvor von der Ladefläche eines Pick-ups gerufen. Der Fahrer, ein Chinese mit langem, dünnen Schnurrbart hält an. „Deutsche? Dann steig auf“, winkt der Rasta mit Ziegenbärtchen und Stirnband von der Ladefläche, wo er mit drei Freunden und einem Hund hockt. „Wenn du Französin wärest, würden wir nicht mit dir reden.“ Er lacht breit, zugleich freundlich und herausfordernd.
Der weiße Peugeot braust, zumindest wo das dichte Verkehrsaufkommen das überhaupt zuläßt, durch die Straßen von Papeete. Und die vier brüllen ein ums andere Mal „Ban the bomb“ oder „Scheiß Atombombe“ und schwenken dabei die Flagge der Unabhängigkeitspartei Tavini. Der blaue Streifen oben ist der Himmel, der blaue Streifen unten das Meer – dazwischen auf weißer Fläche, die Frieden symbolisiert, stehen fünf Sterne, für jedes Archipel Französisch Polynesiens einer.
Die Jugendlichen haben gerade an einem Protestmarsch rund um die Insel Tahiti teilgenommen. Wieder in der Hauptstadt Papeete angekommen, steht ihnen der Sinn nicht danach, friedlich ihre Gegnerschaft gegen die Atomtests herauszuflüstern. Einen Job, den zu verlieren sie befürchten müßten, haben sie eh nicht. Randalestimmung liegt in der Luft. Oder vielmehr läge, wenn sie nur nicht bloß so wenige wären.
Zwischenstation im Haus eines Freundes, einem Holzbungalow unter riesigen Bäumen am Rand von Papeete. Arii Fa dreht an den Knöpfen des Stereo-Towers. Über den Rattan-Sesseln präsentiert sich, was der Familie lieb und teuer ist: ein Christusbild mit flammendem Herzen, daneben alte ovale Portraitfotos von diversen beschlipsten Familienoberhäuptern und neben diesen, blaßgolden gerahmt, drei große Schwarz-Weiß- Fotos von Atompilzen. Es ist noch nicht lange her, da war man hier stolz, daß man in Polynesien etwas Besonderes hatte: die Bombe. Die Generation der Eltern ist es auch heute noch oft.
Anders die Jungen, vor allem die, die keine gutbezahlten Jobs bei der Armee oder der französischen Verwaltung haben. Die weder mit noch ohne Bombe eine glänzende Zukunft ausmachen können.
„Wir kämpfen für die Unabhängigkeit, schreib das in deiner Zeitung“, befiehlt der 20jährige Arii, auch er mit Ziegenbärtchen. „Nicht so wie die Leute von Hiti Tau“, fügt sein Freund Denis Oteau, der Rasta, an und fläzt sich auf dem Teppichboden. „Die wollen die Unabhängigkeit, aber gleichzeitig französisch bleiben. Wir aber wollen nicht deren Geld, wir wollen nur mit dem Leben, was unser Land hergibt. Die totale Unabhängigkeit.“ Arii sucht derweil aus einem gewaltigen Stapel eine neue CD heraus: Police. Seine kleine Schwester holt eiskalte Coladosen für die Gäste.
Seit Chirac im Juni seine neuen Bombenpläne verkündet hat, nehmen dreimal so viele Leute an den Versammlungen der Unabhängigkeitspartei Tavini teil, brüstet sich Denis, und die Schwester, keine zwölf Jahre alt, mischt sich ein: „Da sieht er, was er davon hat, der blöde Chirac.“
Am Abend sind die jungen Aktivisten der Unabhängigkeitspartei noch einmal ausgezogen. Mit Lastern und eloxierten Eisengittern, wie sie ansonsten Baustellen absperren, blockieren sie zusammen mit ein paar hundert anderen Jugendlichen und einigen wenigen älteren Leuten, vor allem bestrohhüteten Frauen, die beiden Zufahrtsstraßen nach Papeete. Auf Bastmatten made in China schlafen sie auf und neben der Straße.
„Wir warten auf Nachrichten“, sagt ein Muskelpaket an dem schmalen Durchlaß, durch den Fußgänger die Stadt verlassen oder betreten können. Nachrichten, damit meint der Mann von der Unabhängigkeitspartei Anweisungen von der Partei: Blockade aufheben oder völlig dichtmachen, in die Stadt marschieren oder was auch immer der Tavini-Chef Oscar Temaru befiehlt. In seinem schwarzen Partei-T-Shirt mit den gekreuzten Flaggen auf dem Rücken sieht der Wächter der Barrikade wie ein Mitglied der Hell's Angels in Shorts aus.
In der Stadt haben viele Bars und Tanzclubs für den Abend dichtgemacht – aus Angst vor Krawallen. Schwer vorstellbar in einer so kleinen Stadt wie Papeete mit so freundlichen Menschen.
Als am Tag darauf die 90 Parlamentarier aus aller Welt nach Papeete marschieren, um gegen die Atomtests zu demonstrieren, kauern Arii und seine Kumpel übernächtigt und schlecht gelaunt neben der Barrikade auf den Matten, abseits der Straße im Schatten. Die Gitter werden für den herankommenden Zug zur Seite geräumt. „Glory, glory hallelujah“, jubilieren 15 Australier im Vorbeiziehen. „Hallelu-hu-ja, Chirac must stop the bomb.“ Arii starrt vor sich hin.
Erst auf Nachfrage schaut er auf, reckt den Daumen hoch, schaut nach Kräften entschlossen drein und sagt mit fester Stimme: „C'est bon. C'est important.“ Das ist gut und wichtig – zu mehr Begeisterung kann ihn die Show nicht hinreißen. Genau dieselben Worte hatte er am Vortag gefunden, als von Greenpeace die Rede war. „Es gibt zu viele Farani hier“, knurrt er noch. Farani heißt eigentlich Franzosen, aber gemeint sind alle Nicht-Polynesier. Er zuckt zusammen, spürt das Fettnäpfchen und fügt hastig hinzu: „Bei dir ist das anders. Das ist okay. Du bleibst ja nicht hier.“ Nicola Liebert
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