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„Das Schweigen brechen“

Hillary Clinton kritisiert auf der UNO-Konferenz Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Der Streit um den Begriff „gender“ ist beigelegt  ■ Aus Peking Jutta Lietsch

„Um unsere Träume zu erfüllen, müssen wir den Kopf in den Wolken und unsere Füße fest auf dem Boden halten“, sagte die 75jährige Bella Abzug gestern bei der UNO-Frauenkonferenz in Peking. Schwer und schön mit ihrem großen Strohhut und den Seidenrosen darauf lehnte sie am Pult des Plenarsaals und hielt die feurigste Rede, die das chinesische Konferenzzentrum je erlebt hat. Gemeinsam mit der indischen Feministin und Ökonomin Devaki Jain, Gründerin der Frauenorganisation DAWN, nahm Abzug eine Ehrung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen entgegen.

Die ehemalige demokratische Kongreßabgeordnete war als Feministin und Vietnamkriegsgegnerin bekannt geworden. Sie hat eine der größten internationalen Frauenorganisationen, die Women's Environment & Development Organization, gegründet, die auch am alternativen Forum in Huairou aktiv war. „Zuerst haben sie uns einen Tag geschenkt, den internationalen Frauentag“, sagte Abzug. „Dann schenkten sie uns 1975 bis 1985 eine ganze Dekade. Damals habe ich gesagt, wer weiß, wenn wir brav sind, dann lassen sie uns vielleicht irgendwann mal ganz mitmachen. Also, wir waren nicht brav – und jetzt sind wir hier angekommen.“ Am gleichen Tag trat eine andere prominente US-Amerikanerin in Peking auf: US-Präsidentengattin Hillary Clinton. Zweimal zog sie die Aufmerksamkeit der versammelten Weltmedien auf sich: Am Vormittag hielt sie eine Ansprache in einem Seminar zum Thema Frauen und Gesundheit. Dort sprach sie unter anderem auch die auf der Weltkonferenz umstrittenen Thema Abtreibung und „reproduktive Rechte“ der Frauen an. Sie forderte, die bisher von der UNO anerkannten Rechte der Frauen als Grundlage künftiger Maßnahmen zu akzeptieren. Ohne ein Land zu benennen, wandte sie sich unter anderem gegen Zwangsabtreibungen und -sterilisationen.

Wenige Stunden später sprach sie sich in einer zweiten Rede für die Achtung der Menschenrechten von Frauen aus – wiederum ohne China direkt anzusprechen. Sie verurteilte die Tötung weiblicher Säuglinge, Frauen- und Mädchenhandel, Vergewaltigungen, auch als Kriegs„taktik“, Gewalt gegen Frauen, Beschneidung sowie Morde wegen unzureichender Mitgift. „Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen“, sagte Clinton. „Menschenrechte sind ein für allemal Frauenrechte, Frauenrechte sind Menschenrechte.“

Das Programm der eigentlichen UNO-Konferenz ging gestern mit den Ansprachen der Regierungsvertreterinnen im Plenum weiter. Parallel begannen die Verhandlungen über die noch strittigen Punkte der Abschlußerklärung, die zum Ende der Konferenz am 15. September verabschiedet werden soll. Über rund ein Fünftel des Entwurfs konnten sich die Regierungen noch nicht einigen. Dazu gehört vor allem das Recht der Frauen auf die eigenen Entscheidung darüber, wann und wie viele Kinder sie bekommen wollen – was eine Gruppe von rund 14 islamischen und katholischen Regierungen um den Vatikan verhindern will. Strittig ist auch die Anerkennung der Allgemeingültigkeit und Unteilbarkeit von Frauenrechten als Menschenrechte. Und die Frage der Finanzierung der Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz von Frauen.

Ein Konflikt, der in den Vorverhandlungen zur Pekinger Konferenz plötzlich von Vertretern des Vatikans und einigen lateinamerikanischen Staaten wie Guatemala und Honduras vom Zaun gebrochen worden war, wurde allerdings gestern beigelegt: Der im englischen Sprachgebrauch eingebürgerte Begriff gender kann doch noch weiter verwandt werden, um die unterschiedliche Stellung von Männern und Frauen zu beschreiben. Die religiös-konservativen Regierungen wollten lieber von sex sprechen, denn damit hätten sie alle Ungleichheit auf die Biologie und die „natürliche Rolle der Frau“ schieben können. In der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe, die für die Formulierung des Schlußdokuments zuständig ist, wurde gestern beschlossen, die schon in vergangenen UNO-Dokumenten verwandte Formulierung gender beizubehalten. „Wir sind hier, um einen kollektiven Gedächtnisverlust zu verhindern und um alle zusammen an den Punkten festzuhalten, die wir in vorherigen Konferenzen erreicht haben“, sagte gestern die alte US-amerikanische Feministin Bella Abzug.

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