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Die Arbeiter murren nur zu Hause

Ein schwacher Generalstreik offenbart die Spaltung der argentinischen Gewerkschaften. Präsident Menem will mit gigantischen Prestigeobjekten Stimmung für sich machen  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Nicht einmal Argentiniens Rekordarbeitslosigkeit von 18,6 Prozent konnte dem Generalstreik am vergangenen Mittwoch zum Erfolg verhelfen. Nur knapp 20.000 Menschen protestierten vor dem argentinischen Kongreß in Buenos Aires gegen den Wirtschaftskurs von Präsident Carlos Menem und Wirtschaftsminister Domingo Cavallo. Die geringe Beteiligung der Bevölkerung an dem zweiten Generalstreik innerhalb von sechs Jahren offenbart die tiefe Zerrissenheit innerhalb der argentinischen Gewerkschaften.

Hinderlich für ein Massenaufgebot war vor allem die der peronistischen Regierung nahestehende Gewerkschaft Confederacion General del Trabajo (CGT): Sie hatte zum Streik aufgerufen, ist jedoch durch ihren bisherigen Kungelkurs mit Präsident Menem bei vielen ArbeiterInnen völlig diskreditiert. So befürchteten sowohl Oppositionspolitiker als auch die Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaften mit der CGT verwechselt zu werden.

CGT-Chef Geraldo Martinez, enger Vertrauter von Präsident Menem, richtete seine Kritik in erster Linie an Wirtschaftsminister Cavallo. „Wer dem Volk die Arbeit nimmt, gehört ebenfalls zur Mafia“, erklärte Martinez auf der Kundgebung. Die Anschuldigung ist eine Anspielung auf die bisher gravierendste Regierungskrise. Cavallo hatte Präsident Memen in der vergangenen Woche öffentlich beschuldigt, mit der Mafia zusammenzuarbeiten. Anlaß war die Privatisierung der argentinischen Post. Die Verkaufsausschreibung war exakt auf eine Firma von Menems Unternehmerfreund Alfredo Yabran zugeschnitten. Daß der CGT-Chef den Minister Cavallo und nicht Menem kritisierte, verärgerte die Sympathisanten von CTA und MTA. Rund 4.000 TeilnehmerInnen verließen aus Protest frühzeitig die Kundgebung.

Nach argentinischen Meinungsumfragen ist das Ansehen der Gewerkschaften insgesamt auf einem Tiefpunkt angelangt. Nur einer von zehn Argentiniern hat Vertrauen in die Arbeitnehmervertretungen. Die Spaltung der argentinischen Gewerkschaftsbewegung begann mit der Wahl Menems zum Präsidenten im Jahr 1989. Statt den Ausverkauf von „Omas Juwelen“, wie in Argentinien die Staatsbetriebe genannt werden, zu geißeln, beteiligten sich die Anführer der nun regierungsnahen CGT an der Privatisierung und verdienten kräftig mit.

Menem, der im vergangenen Mai erneut in seinem Amt bestätigt wurde, ließ sich von dem Streik wenig beeindrucken. „Wer seinen Arbeitsplatz verläßt, um zu streiken, schafft dadurch keine neuen Arbeitsplätze“, kommentierte er die Kundgebung. Allerdings räumte der 64jährige ein, daß die Arbeitslosigkeit eine Konsequenz der von ihm verordneten Wirtschaftsreform sei.

Menem hatte bereits vor zwei Wochen ein nationales Beschäftigungprogramm angekündigt, das pro Jahr 350.000 Arbeitsplätze schaffen sollte. Dazu gehören der Bau von 100.000 Sozialwohnungen, neuen Gefängnissen sowie die Erweiterung des U-Bahnnetzes in der Hauptstadt. Damit nicht genug: Menem will außerdem eine „Flughafeninsel“ im Rio de la Plata aufschütten sowie eine gigantischen Brücke von fünfzig Kilometern Länge zwischen Buenos Aires und der Küste von Uruguay schlagen.

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