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Kasernen zu Kasinos ...

... Baracken zu Bungalows. Subic Bay und Clark Fields: Die ehemaligen Basen der U.S. Army auf den Philippinen werden Besucherparks und aufstrebende Animiermeilen  ■ Von Wilfried Geipert

Ein Mädchen wie Jocelyn würde im ethnischen Schmelztiegel der Karibik nicht weiter auffallen. In Angeles auf der philippinischen Hauptinsel Nord-Luzon, etwa 80 Kilometer nördlich von Manila, erkennt man sie sofort: als Mischling, als Amerasian, als menschliches Andenken, das sich ihre philippinische Mutter von einem amerikanischen Soldaten eingehandelt hat. Einem schwarzen GI in Jocelyns Fall.

Viel mehr als die Amerasians erinnert nicht mehr an die vermeintliche Glanzzeit von Angeles und der Clark Base, dem einst größten US-Militärstützpunkt in Asien. Im Herbst 1991 räumte die U.S. Air Force die Stadt der Engel. Ein Jahr darauf verließ die Navy den Hafen Subic Bay bei Olangopo, eine Autostunde weiter westlich. Ein Referendum des philippinischen Parlaments, mehr aber noch der Ausbruch des nahen Vulkans Pinatubo sorgten für den schnellen Abzug der Truppen. Olangopo und Angeles kämpfen seither um eine neue Existenz. Weil Tourismus dabei keine geringe Rolle spielt, heißt die Parole nicht „Schwerter zu Pflugscharen“, sondern „Baracken zu Bungalows und Kasernen zu Kasinos“.

„Fight on, Olangopo“ und „Aim High, Olangopo“ prangt auf den Jeepneys am Subic Bay. Auf einen Wert von acht Milliarden US-Dollar wird die hinterlassene Infrastruktur auf dem Gelände geschätzt. Es hat sogar einen Airport, für den ein ganzer Berg abgetragen wurde. Ein Freihafen nach dem Vorbild von Singapur und Hongkong schwebt Richard Gordon, dem früheren Bürgermeister Olangopos und heutigen Vorsitzenden der Subic Bay Metropolitan Authority (SBMA), vor. Gut zweieinhalb Jahre nach der Übernahme gewinnt seine Vision an Realität. In das Projekt wurde seit 1992 mehr investiert als in den großen Rest des 7.000 Inselarchipele der Philippinen. Es legen bereits Schiffe an, es werden Schuhe fabriziert, in acht Kaufhäusern steuerfrei Waren verkauft und in zwei Hotels täglich die Gästebetten gemacht. Im Subic Bay Resort, einem umgebauten Mannschaftstrakt, rollt die Roulettekugel für Taiwan-Chinesen, die aus dem anderthalb Stunden entfernten Taipeh mit Helikoptern einfliegen.

Trotz aller Priorität von Handel und leichter Industrie scheint die touristische Seite der Goldmedaille Subic Bay keineswegs matt. Vier Sandstrände, die Beach-Insel Grande, eine Marina, zwei Golfplätze, diverse Activity-Parks sind, wenn auch noch nicht in Betrieb, dann doch geplant. Neben allen Arten von Wassersport, Tennis und Reiten stehen Besuchern auch Touren im angrenzenden Dschungel zur Auswahl. Im „last virgin forest“ vermitteln Mitglieder des Bergvolks der Aitea ihr Wissen um Flora und Fauna heute zeitgemäß auf die Ökotour. Während des Vietnamkriegs lehrten sie GIs, wie man in der Wildnis überlebt, aus Bambus Wasser gewinnt und Feuer macht und wie man schmeckt, welche Wurzeln und Blätter genießbar sind. Ein Besuchermagnet dürfte das Wrack- Tauchen werden, eine originelle Variante der friedlichen Nutzung von versunkenem Kriegsgerät aus mehr als 100 Jahren Marinegeschichte, das sich die Unterwasserwelt angeeignet hat.

Es wird Ferienhäuser geben, einen Campingplatz, noch mehr Hotels, Restaurants und abendliche Unterhaltung. Die friedliche Koexistenz von Industrie und Tourismus ist laut Gordon gewiß. Die „fines“ (Strafen) für Umweltdelikte seien die höchsten der Philippinen, schwört der als rigoros geltende Chairman der SBMA auf saubere singapurische Verhältnisse. Schilder mit Sprüchen wie „Keine Faulenzer in Olangopo“ zeugen davon. Olangopo sei die „sauberste Stadt der Philippinen“, sagt er, die Bevölkerung unterstütze das. Tausende von Freiwilligen helfen beim Aufbau mit. Sie schleppen Steine, putzen Straßen oder schneiden kniend mit simplen Heckenscheren das Gras. Weil das Volunteer-Zertifikat, das die Bevorzugung bei Jobs verheißt, in der Familie weitergegeben werden kann, sind auch viele ältere Frauen zu sehen. Olangopo kämpft.

Er wolle den Exodus philippinischer Fachkräfte stoppen, sagt Gordon. In Deutschland, wo er im September mit Präsident Ramos war, habe er erlebt, wie einsam dort seine Landsleute sind. Subic Bay könne diesen Menschen auch eine ökonomische Heimat bieten. Gordons Managementstab steht dafür als Beispiel. Er besteht aus jungen Mitarbeitern, die er auf Werbefeldzügen im In- und Ausland begeistert hat. Wie die Politologiestudentin Rachele, die in Boston, USA, aufwuchs und nun die Pressearbeit für ihn macht. Wenn sie von ihrem Chef und Subic Bay spricht, dann sieht man in ihren dunklen Augen jenes geheimnisvolle Leuchten, ohne das Wunder nun mal nicht zu machen sind.

Ein wahrhaftes Aschenbrödel ist Angeles. Die Stadt wurde vom Auswurf des nur 20 Kilometer entfernten Vulkans regelrecht erdrückt. Tausende von Dächern brachen unter der Last der Asche zusammen, Brücken stürzten ein oder wurden umgerissen, im Bett des einst so stolzen Flusses Abacen fließt nur noch ein dünnes Rinnsal, das nicht mal Knöchelhöhe erreicht, nachdem sich die Lahar, Massen von Schutt und Geröll, in die Ebene wälzte. Während Gordon auf Subic für eine geordnete Übernahme sorgte, fiel Clark der Massenplünderung anheim. Das Militär schaute zu und mischte mit.

Doch auch für Clark Fields gibt es wieder eine Zukunft. Bereits 1997 geht der konvertierte Flughafen ans nationale Netz. Ob er das neue Getaway der Phlippinen wird, muß von höchster Warte erst noch entschieden werden. Die Hotelkette Holiday Inn jedenfalls glaubt daran. Im November eröffnet sie in einem ehemaligen Verwaltungsbau das erste Top-Hotel mit 334 Zimmern. Gebuddelt und gebaut wird zudem an einem ersten 18-Loch-Golfplatz und an Villenanlagen. Fünf Duty-free-Shops sind schon in Betrieb. Angeles hofft.

Im oberen Teil der Fields Avenue, die längs der ehemaligen Base verläuft, sitzen junge Menschen im Schatten von Lieferwagen und flechten Körbe aus Draht und Bast. In Werkstätten wird Holz für Möbel und Kunsthandwerk verarbeitet, die bedeutendste örtliche Industrie. Im unteren Teil der Fields stehen die „left overs“ des einst berüchtigten Rotlichtbezirks. „Überreste“, so hätte sie es gern, die Dame vom Tourismusamt, die das flüchtige Straßenbild am Tage kommentiert. Die Nacht am Strip sieht eher nach Aufbruch aus. Rund 150 Bars und die Berichte deutscher Experten sind beredtes Zeugnis einer erneut anziehenden Konjunktur. Jeden Freitag findet im „Orchid Plaza“ Women's Oil Wrestling statt, Salons werben für Thai-Massage mit und ohne Hanky-Panky, Tänzerinnen werden per Anschlag gesucht, mit dem smarten Hinweis, die „Bio-Data“, ein Gesundheitszeugnis, mitzubringen. Manche Schuppen, wie das „Lili Marlen“ und das „Edelweiß“, das Bratwurst, Leberkäse und Jägerschnitzel serviert, zogen direkt nach der Säuberung von Manilas früherer Sündenstraße Mabini nach Angeles. Australier und Europäer machen das Geschäft, auf beiden Seiten des Tresens. „Hier wird noch nicht geneppt“, rühmt ein Solinger des dritten Lebensalters, der sein San Miguel auf Tagalog zu bestellen pflegt, die moderaten Preise in Angeles. Er meint seine zierliche Freundin, eine knapp 20jährige, die geduldig bei Cola neben ihm sitzt, und nicht das Bier. Am Swimmingpool im Hof des Clarkton Hotels, das einem Deutschen gehört, räkeln sich die ungleichen Pärchen in der Nachmittagssonne. Philippinische Idylle nach Freierart.

In „Ziggys Bar“ tanzt Jocelyn für 250 Pesos, umgerechnet etwa 17 Mark, im knappen weißen Slip zu Musikvideos an der Stange. Wenn sie Pech hat, und heute scheint so ein Tag, von abends um sechs bis früh um zwei. Gerade mal acht Gäste sitzen kurz nach Mitternacht rund um den Tanzsteg und starren ein Dutzend wippende Frauen an. Die Amerasian hat kein leichtes Spiel und wird von einer Kollegin gehänselt, die ihre Lippen schürzt und sich am Kopf kratzend den Affen spielt. Jocelyns krauses Haar und ihre wulstigen Lippen entsprechen nicht dem Schönheitsideal, das Freier gewöhnlich in Asien suchen.

Wenn sie Glück hat, wird Jocelyn für 500 Pesos Barfine ausgelöst. Vielleicht sogar für ein paar Tage lang. Ein Teil davon steht ihr zu, als Gegenwert für den Rest der Nacht. „Easy money“ nennt sie das, weil eine Arbeiterin in Angeles nur einen Bruchteil dessen verdient, was Jocelyn ohne Extras anschafft.

Die Spuren des Pinatubo-Ausbruchs sind längst nicht beseitigt. Wie hohle Zähne stehen noch immer dachlose Mauern verlassener Geschäfte und Bars an der Field Avenue im Karree. Auf den Innenwänden einer Ruine sind verwitterte Reste von aufgemalten Service girls zu erkennen. Sie sind von morbider Schönheit und erinnern an konservierte Rudimente von mittelalterlichen Fresken, die man bisweilen in italienischen Kirchen findet. Alles ist relativ.

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