: Der Zopf ist zurück
Mit Hilfe des halbgesunden Georg Grozer schaffen es deutsche Volleyballer in die EM-Zwischenrunde ■ Aus Athen Holger Gertz
Manchmal spielt Georg Grozer immer noch so Volleyball, als wäre die Zeit stehengeblieben: Emporhechten wie von Sprungfedern beschleunigt, so gewaltig auf den Ball schlagen, als gäbe es kein Morgen. Aber es gibt immer eins, die Zeit bleibt nicht stehen, und ein bißchen kokettiert Georg Grozer damit, wenn er sagt: „Herrje, die alten Knochen machen es auch nicht mehr so.“ Georg Grozer wird diesen Donnerstag 31, sein Körper ist gedrungen, seine Sehnen haben eine Menge aushalten müssen und die Gelenke auch. Neulich ist er nach Ungarn gefahren. Da kommt er her, und da hat er sich von einem Arzt seines Vertrauens das Knie operieren lassen: Rechtzeitig zur Vorbereitung auf die EM war er wieder gesund, aber dann hat es im Oberschenkel gezuckt, und der Muskel war gezerrt. Grozer mußte bei der EM auf die Bank und zusehen, wie die Nationalmannschaftskollegen ohne ihn die Ukraine schlugen (3:0) und den Griechen unterlagen (1:3). Und obwohl Grozer weiß, daß ein verletzter Körper, zumal in reiferem Alter, sich nicht überlisten läßt, hat ihn das nicht über den Frust hinwegtrösten können.
Zusammengekauert saß er auf dem Bänkchen und schaute sich zwei-, dreimal im Publikum um, als suche er jemanden, der ihm helfen könnte. Aber es war niemand da, und alles sah so aus, als sollte die EM zur Enttäuschung werden für einen, der schon verdammt viele Enttäuschungen hat wegstecken müssen.
Es kam das sonntägliche Spiel gegen Lettland, das die Deutschen unbedingt gewinnen mußten, um nicht schon nach der Vorrunde auszuscheiden. Zwei Sätze hatten sie geholt, den dritten vergeben, und groß war die Not im vierten Satz und der Gegner drauf und dran, die Sache umzubiegen. Nichts brachten die ausgepumpten Angreifer Wolfgang Kuck und Dirk Oldenburg zuwege. Dann kam Grozer. „Es war so abgesprochen“, hat Bundestrainer Olaf Kortmann gesagt, „er sollte sich bereit halten für den Notfall.“
Noch kann er nicht vernünftig springen, aber manche lösen durch ihre bloße Präsenz etwas aus: Daß bei den eigenen Leuten die Hose nicht mehr so flattert, dafür bei denen auf der anderen Seite des Netzes um so mehr. Mit Grozer hatten die Letten nicht mehr gerechnet. „Ich habe den Mann mit dem Zopf gesehen und wußte: Jetzt passiert was“, sagte später ihr Trainer Valdis Larionovs. Als er kam, stand es 12:11, ein paar Minuten später 15:12. Gewonnen war (3:1) Satz und Spiel, und Kortmann glaubt, daß Grozers Rückkehr „schon ein bißchen in die Geschichtsbücher eingehen wird“.
Olaf Kortmann ist seit Mai im Amt; das neu zusammenzufügen, was unter seinem Vorgänger Igor Prielozny zerbröselt war, ist seine Aufgabe. Am frisch begründeten Gemeinsamkeitgefühl orientiert sich alles, Kortmann hat dafür gesorgt, daß die Trainer einheitlich gekleidet am Feld sitzen. Neulich ist er auf einem Dreimaster mit seinen Spielern übers wilde Meer geschippert, um allen die Möglichkeit zu geben, sich kennenzulernen und zu erfahren, daß der einzelne ohne die anderen nichts ausrichten kann. Das hat auch Grozer begriffen, der bekannt ist als Brausekopf vor dem Herrn: Prielozny hatte ihn 1991 vor einem Olympia-Qualifikationsturnier für Barcelona aus der Mannschaft geworfen wegen ungebührlichen Verhaltens; direkt vor dem Abflug in Frankfurt.
Während die anderen eincheckten, saß Grozer auf seinem Koffer und spielte mit dem Gameboy. Unter Prielozny hat er danach nie mehr gespielt, die Deutschen haben sich nicht für Olympia qualifizieren können, und es gibt einige, die behaupten, mit Grozers Rausschmiß habe die große Krise im Volleyball in Deutschland begonnen.
Jetzt soll sie enden. Die Vorrunde bei der EM überstanden, „das Ziel erreicht“, sagt Kortmann. Entspannt können sie heute gegen den noch ungeschlagenen Olympiazweiten Niederlande und morgen gegen den zweiten Gruppenfavoriten Restjugoslawien antreten. 1991 und 1993 war man zwar EM-Vierter, doch vor einem Jahr auch in Athen gerade noch WM-Neunter. Diesmal ist, sagt der studierte Philosoph Kortmann, „alles was jetzt kommt, Zubrot“.
Georg Grozer jedenfalls sagt, ihm mache es „wieder Spaß“, und er will darum heute endlich von Anfang an mitmachen. Keine Angst, den Muskel so zu fordern? „Ach was“, sagt Grozer, das bißchen Risiko ängstige ihn nicht: „Ich bin doch ein Zocker.“ Die letzten Jahre ohne Nationalmannschaft seien furchtbar gewesen, sagt er, da will er jetzt noch mal alles reinlegen. „Das ist ungefähr so wie bei einem Zocker, der jahrelang Casinoverbot gehabt hat.“
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