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„Dies ist meine Stadt“

Das größte Problem der israelisch-palästinensischen Verhandlungen heißt Hebron. Inmitten der Stadt leben israelische Siedler  ■ Aus Hebron Antje Bauer

Es gibt keine unparteiischen Fahrten nach Hebron. Entweder man nimmt einen klapprigen palästinensischen Bus. Dann heißt es alle naselang anhalten, aussteigen, israelischen Soldaten Papiere und Gepäck zeigen – eine mehrere Stunden währende Hindernisfahrt. Oder man nimmt einen israelischen Bus, ohne Halt und Kontrollen. Das dauert von Jerusalem aus nur eine Stunde. Dafür kann es passieren, daß vom Dach eines Hauses ein Palästinenser auf den Bus schießt.

An alten, teilweise verfallenen Häusern vorbei führt die Straße ins Stadtzentrum. Ein Schlagbaum. Israelische Soldaten. Ein paar Kurven, ein paar hundert Meter, ein weiterer Schlagbaum. Auf dem zentralen Platz stehen Bäume, am Rand lungern ein paar israelische Soldaten. Gelegentlich kommt ein Auto eines israelischen Siedlers vorbei. Oder ein Schulbus, der von einer Militärpatrouille begleitet wird. Palästinensische Autos dürfen hier nicht fahren.

Vom Platz führen Treppen hinauf zum Grab des Patriarchen, der touristischen Hauptattraktion von Hebron. Hier liegen angeblich Urvater Abraham und Urmutter Sarah sowie ihre beiden Söhne Isaak und Jakob begraben. Ein heiliger Ort, für Juden wie für Muslime. Bis vor einem Jahr beteten Angehörige beider Religionsgemeinschaften in dem Gebäude gemeinsam, allerdings in getrennten Räumen. Im muslimischen Bereich schoß am 25. Februar letzten Jahres der israelische Arzt Baruch Goldstein in die Menge. 29 Palästinenser wurden getötet. Seither werden Juden und Muslime zu unterschiedlichen Zeiten in das Allerheiligste vorgelassen, und sie schreiten durch getrennte Eingänge.

Direkt am Platz liegt ein Kramladen. „The Jewish Settlers' souvenir shop“ steht in großen Lettern zu lesen. Ein paar Soldaten sitzen drinnen, eine Cola in der Hand, vor dem Fernseher. Hinter dem Tresen steht, klein, mit leuchtenden Augen, Dani Hizmi. Hebron ist für ihn „ein zentraler Platz der Welt und der Juden. Alle Gebete der Juden in der Welt kommen durch das Grab der Patriarchen in den Himmel.“ Auf die Frage, was der Nahost-Friedensprozeß bringen werde, entgegnet er: „Krieg.“

120.000 Palästinenser leben in Hebron. Seit 1978 sind nach und nach 50 jüdische Siedlerfamilien hergezogen. Mit Duldung der Regierung haben sie im Stadtinneren Häuser und Wohnungen, schließlich ganze Straßenzüge gewaltsam in Beschlag genommen. Für die Sicherheit und Bewegungsfreiheit der 500 Israelis wurde das Leben der Palästinenser immer weiter eingeschränkt. Fast täglich greifen Siedler Palästinenser an, bei Auseinandersetzungen mit der Armee werden immer wieder Palästinenser erschossen. Auch die Anschläge von Palästinensern auf Siedler haben zugenommen. Immer wieder wird über die palästinensische Bevölkerung eine Ausgangssperre verhängt. Manchmal, damit die Siedler in Ruhe religiöse Feste feiern können. Manchmal, weil Siedler palästinensische Familien angegriffen haben. Ganz gleich, von wem die Aggression ausgeht – die Ausgangssperre trifft immer die Palästinenser.

Yifat Susskind gehört dem Hebron Solidarity Committee an, einer Gruppe linker Israelis, die sich gegen die Gewalt der Siedler richtet. Mitglieder der Gruppe fahren nach Hebron, wenn Siedler Ausschreitungen gegen die Palästinenser begehen, und versuchen, diesen zu helfen. „Ausgangssperre heißt nicht nur, daß man nicht arbeiten geht und die Kinder nicht in die Schule können, sondern außerdem, daß die Leute in ihren Häusern festsitzen. Ihre Autos und ihr Besitz auf der Straße sind schutzlos. Es ist üblich, daß Siedler dann Besitz und Familien zu Hause angreifen“, schimpft Susskind.

Die Hauptverkehrsstraße, die vom Platz ins Zentrum führt, ist fast menschenleer. Israelische Soldaten patrouillieren. Die engen Seitenstraßen, die auf die Hauptstraße führen, sind mit Türmen aus Blechfässern und großen Betonblöcken versperrt. „Es lebe Baruch Goldstein“, steht in schwarzen Lettern auf eine Häuserwand geschrieben. Am Gemüsemarkt teilt sich die Stadt. Links, am militärischen Kontrollpunkt, geht's hügelan in eine von Israelis bewohnte Straße. Rechts liegt die arabische Altstadt. In engen, schattigen Gassen sitzen dort Händler vor Säcken voller Gewürze. Frauen in langen Gewändern und mit Kopftüchern gehen einkaufen, alte Männer mit Palästinensertuch und Kordel auf dem Kopf schlurfen in ausgetretenen Adidasschuhen einher. Gitter und Verhaue aus Stacheldraht und Eisenstangen, die den Durchgang vom Markt zur Hauptstraße versperren, erinnern überall an den Belagerungszustand. Eine Gasse ist quer von einem großen Eisengitter durchzogen. Nur eine kleine Tür ermöglicht den Durchgang. Der Grund dafür ist ein von Siedlern bewohntes Haus ein paar Schritte weiter. Man kann es von weitem an israelischen Fahnen erkennen, die aus den Fenstern und vom Dach herabhängen.

In der Nähe bügelt in einer schummrigen Reinigung ein Mann Anzüge. Die Bitterkeit sprudelt aus ihm heraus. „Dieses Tor ist hier seit acht Jahren. Drei Jahre lang war es völlig geschlossen. Hier wohnen 20 Siedlerfamilien nebenan in fünf Häusern. Ihre Kinder kommen hierher und schlagen die Schaufenster ein.“

Seit den Anschlägen radikaler Islamisten, die nach dem Osloer Friedensabkommen einsetzten, hat die israelische Regierung die besetzten Gebiete abgeriegelt. Der Warenaustausch zwischen der Stadt und Israel ist seither fast zum Erliegen gekommen. Und die Hunderttausenden Palästinenser, die zuvor in Israel gearbeitet hatten, müssen jetzt fast alle zu Hause bleiben. Der Inhaber einer Boutique klagt, er habe seit zwei Wochen nichts verkauft. Bedauernd weist er auf ein Dutzend grellfarbener, straßbesetzter Kleider.

Ähnliche Probleme hat der Juwelier Aschi. In seinem Schaufenster hängen Hunderte glitzernde Goldarmreifen, Ketten und Ohrringe. Gold ist das Kapital der arabischen Frauen und der Stolz ihrer Männer. Doch zur Zeit kommen die Männer nicht, um Gold zu kaufen, sondern um es zu verkaufen: Sie gehen an die Reserven.

Ein ganzes Stück stadtauswärts liegt das Rathaus. Ein unscheinbares Gebäude, an dem keine Fahne weht. Bürgermeister Mustafa Abdel Nabi Natsche zeichnet ein illusionsloses Bild von der Stadt. „Seit dem Massaker letztes Jahr ist es hier immer schlimmer geworden. Heute sind drei Bürger zu mir gekommen und haben mir gezeigt, wie die Hunde der Siedler sie gebissen haben. Sie bluteten an den Beinen. Die Armee hat zugesehen und nichts getan.“ Natsche ist alles andere als ein Hitzkopf. So fordert er nur den Abzug der Siedler aus der Innenstadt von Hebron. Die einen Kilometer entfernte Siedlung Kiryat Arba würde er zunächst nicht antasten.

Malka ist eine winzigkleine Frau von schier unbegrenzter Energie. Acht Kinder hat sie zur Welt gebracht, und wenn ihr Mann nicht vor kurzem gestorben wäre, wären es noch mehr geworden. Die Kopfbedeckung, zu der jede religiöse Jüdin verpflichtet ist, hat bei ihr die Form eines zerbeulten Hütchens. Von ihrer Wohnung im vierten Stock eines Appartementhauses schaut man auf ganz Hebron. Auf Dächern sind israelische Soldaten zu sehen, die ihre Gewehre auf die Straße richten, Flachdächer sind mit Stacheldraht verrammelt, unten läßt sich die arabische Altstadt ausmachen.

„Hebron ist meine Stadt“, erklärt Malka. „Der Talmud sagt, es gibt nur drei Orte in Israel, von denen die Staaten der Welt nicht sagen können, wir hätten sie gestohlen. Das ist Hebron, denn Abraham hat große Teile von Hebron gekauft, Jerusalem, das hat David gekauft, und Schechem, Nablus, das von Jakob gekauft wurde und wo sein Sohn Josef begraben liegt.“ Auf die Idee, daß es Unrecht sein könnte, sich in einer arabischen Stadt gewaltsam niederzulassen, kommt die Englischlehrerin nicht. In Hebron zu leben ist für sie eine Art Kreuzzug, für den sie selbst ihre Kinder in Gefahr zu bringen bereit ist.

Kiryat Arba ist die Rückendeckung für die Siedler in Hebron. Die Siedlung wurde 1970 auf einem Hügel gegenüber von Hebron gebaut. Eine Ansammlung moderner Häuschen zwischen Grünanlagen und einer Schule, die auch die Siedlerkinder aus Hebron besuchen. Nach dem Massaker des Siedlers Baruch Goldstein soll es zu ideologischen Auseinandersetzungen unter den Siedlern gekommen sein. Einige seien daraufhin aus Protest ausgezogen, heißt es. Die Dortgebliebenen tun sich schwer, Goldstein zu verurteilen. Wie Mordechai Taub, Außensprecher der jüdischen Gemeinschaft von Kiryat Arba und Hebron. Der beleibte Junggeselle pendelt zwischen Hebron und seinem Herkunftsland, den USA, wo er Gelder für Hebron lockermacht. Nach Goldstein befragt, gerät er in Wut. „Tausende Male sind Juden getötet worden, durch Schüsse, Bomben, Steine. Es ist interessant, daß Sie nicht nach Machem Hass fragen und Morhalel Piet und nach Dutzenden weiterer Juden aus dieser Region, die getötet wurden, und Hunderte aus ganz Israel.“

Am Nachmittag stirbt der arabische Teil der Stadt gänzlich aus. Überall scheppern die Eisentüren, die vor die Läden geklappt werden. Vor einem verstaubten Schuhgeschäft sitzt ein alter Mann und raucht. Vor seinem Laden geht ein Zaun mitten durch die Straße, denn im Nebenhaus wohnen jüdische Familien. Nur selten kommt ein Kunde zu ihm. Doch der alte Mann bleibt da. „Dies ist meine Stadt“, sagt er. „Ich muß hier bleiben. Das Geld ist nicht wichtig. Ich bin hier, trinke Kaffee, rauche Zigaretten. Das reicht.“

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