: Tönung auf Verlangen
■ Nagelneuer Nullkanal: Bald soll es Videos auf Abruf geben
Die Werbemillionen werden nicht mehr, wohl aber die Fernsehsender. Ein US-Veranstalter hat aus diesem Dilemma einen Ausweg gefunden. Er finanziert sich durch Telefongebühren. Jetzt will er auch in Deutschland kassieren. Bei der Medienanstalt Berlin- Brandenburg (MABB) hat der Musiksender The Box Lizenz und Antennenfrequenz beantragt.
The Box funktioniert wie ein televisionäres Wunschkonzert: Rund um die Uhr laufen Musikclips, am Bildrand erscheinen Codenummern für jedes der Videos. Die Zuschauer können bei einer Extragebühren vertilgenden Telefonnummer anrufen und mit den Tasten ihres Apparats den Code ihres Lieblingsvideos eingeben. Ein sogenannter Voice-Mail- Server erstellt danach die Hitliste, automatisch werden die beliebtesten Clips gezeigt.
Finanziert wird das Programm durch Werbung und Telefongebühren, aber die Programmkosten gehen sowieso gegen Null: Die Videos gibt's umsonst von den Plattenfirmen. Moderatoren braucht der „Nearly-Videoclip-On-Demand-Sender“ nicht, und das technische Personal muß allenfalls mal den Telefoncomputer warten. Fehlen bloß noch ein paar Leute, die Werbespots verkaufen – fertig ist der Sender. Billiger kann man Fernsehen nicht machen.
Laut Managerin Marjan Kortekaas rechnet sich The Box gute Chancen aus, in Berlin auf Sendung gehen zu können – und zwar, weil sich der Musikkanal als Lokalsender versteht. Bis zu 15 Arbeitsplätze will man in Berlin schaffen, wie stolz verkündet wird.
Zum Konzept gehören neben dem Nullsummenprogramm vor allem Promotionkampagnen, Sponsoring sowie Teleshoppingangebote. In den USA hat der Sender vor kurzem damit begonnen, eigene CDs zu veröffentlichen. Außerdem vertreibt The Box TV- Merchandising-Artikel wie T- Shirts, Jacken, Mützen und so weiter.
Ob die Zahl von 15 MitarbeiterInnen schon ausreicht, um als Lokalsender anerkannt zu werden, ist zweifelhaft. Susanne Grams, Pressesprecherin der Berliner Medienanstalt, findet zwar, daß The Box „eine spannende Sache“ ist, man werde allerdings „nicht nach dem medienwirtschaftlichen Engagement des Senders entscheiden, sondern in erster Linie nach dem Gesichtspunkt der Vielfalt. Und in Berlin haben wir ja schon einige Musiksender im Kabel.“ Wenn das Berliner Kabelnetz im nächsten Jahr digitalisiert werde und dann gleich eine Unzahl an Sendern aufnehmen könne, dann allerdings hätten Programme wie The Box gute Chancen. Welcher Veranstalter die einzige derzeit ausgeschriebene Frequenz bekommt, soll im nächsten Halbjahr entschieden werden.
Weitere Bewerber sind Kabel1 und SuperRTL, deren Recyclingprogramme auch vom Computer zusammengestellt sein könnten. Außerdem wollen noch BBC World, der Kinderkanal Nickelodeon und der Frauensender TM3 auf den Kanal. In der vergangenen Woche hatte die MABB eine andere Frequenz an Pro7 vergeben – unter der Voraussetzung, daß die bisherigen Haupteigner, darunter Kirch-Sohn Thomas, ihre Anteile wesentlich reduzieren.
Sollte The Box den Zuschlag bekommen, will man in anderen deutschen Großstädten Anträge auf Kabelverbreitung stellen. Der Sender mit dem Motto „Music Television You control“ gibt an, mit Stationen in den Vereinigten Staaten, England, Holland und Puerto Rico derzeit 20 Millionen Haushalte zu erreichen. Weitere Sendergründungen sind in Spanien und Portugal geplant. The Box ist eine Aktiengesellschaft, zu deren Hauptaktionären die amerikanische Telefongesellschaft TCI und Island Trading Company, eine Tochter des Plattenlabels Island Records, gehören.
Egal, ob der Sender in Berlin eine Frequenz bekommt – sein Konzept läßt ahnen, mit welcher Art von Programmen uns die kommenden 500 Fernsehkanäle im digitalen Kabel beglücken werden. Tilman Baumgärtel
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