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Pica$$os Kinder

Mit Picassos umfänglicher Hinterlassenschaft ließ sich schon immer gut verdienen. Ein gutes Beispiel dafür – und für neue Vermarktungsoffensiven der Malererben – sind derzeit zwei aktuelle Ausstellungen in Düsseldorf und Hannover: „Picassos Welt der Kinder“ und „Pablo Picasso – Wege zur Skulptur“  ■ Von Stefan Koldehoff

Picasso hat Konjunktur, denn Picasso bedeutet Geld; für die Erben, die an den Reproduktionsrechten verdienen, wie für die Museen, denen der Publikumsmagnet durch Eintrittsgelder, Kataloge, Postkarten, Poster und Ramschprodukte Geld in die chronisch leeren Kassen spielt. Entsprechend groß war die Zahl der Picasso-Ausstellungen in den vergangenen Jahren. Weil aber gleichzeitig die gestiegenen Marktpreise und damit auch die Versicherungssummen keine große Retrospektive mehr erlauben, müssen Themen her, um den jeweils neuesten Picasso-Aufguß kunsthistorisch zu rechtfertigen. Also zeigte Paris „Picassos Stilleben“, in Arles gab es „Picasso und die Provence“, in Bielefeld „Picassos Klassizismus“. Berlin und Hamburg widmeten sich den „Jahren nach Guernica“, Los Angeles und New York zeigten „Picasso und die weinenden Frauen“.

Und nun die Ausstellung zum Buch

Dabei mangelte es nie an Autoren, die in begleitenden Katalogen bereit waren, die Notwendigkeit des jeweils gezeigten Werkausschnitts ausführlich und wissenschaftlich zu begründen. Eine Ausstellung über „Picasso and Portraiture“ bereitet für 1996 im Museum of Modern Art in New York William Rubin vor, der dort 1980 die letzte umfassende Retrospektive gezeigt hatte. Durch Deutschland schließlich tourt zur Zeit die von Werner Spies konzipierte Schau „Wege zur Skulptur“, die unter großer Überschrift nur die beiden allerdings sehr aufschlußreichen, 1928 angelegten Skizzenbücher „Carnet Paris“ und „Carnet Dinard“ aus der Sammlung der Malerenkelin Marina Picasso zeigt.

Da mochte auch Düsseldorf – zu Zeiten Werner Schmalenbachs Picasso-Hochburg, nun durch die Ludwig-Schenkung an die Stadt Köln in Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten – nicht nachstehen. Gelegen kam ein kleines Bändchen, das der Picasso-Kenner, -Freund und -Sammler Werner Spies unter dem Titel „Picassos Welt der Kinder“ im Prestel-Verlag veröffentlicht hatte. In ihm vertritt der an der Düsseldorfer Akademie lehrende Kunstprofessor vor allem die These, wie in seinem eigenen Leben dürften auch die Kinder in Picassos ×uvre keine echten Kinder sein; sie spielten die Rolle kleiner Erwachsener. Armin Zweite griff als Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu und bat den befreundeten Spies, die Ausstellung zum Buch zu konzipieren.

Widersprüchliches zur Ausstellungsevidenz

Entlarvender hätte folgerichtig der Widerspruch in den Aussagen der beiden Ausstellungsverantwortlichen kaum sein können: „Das Thema lag irgendwie in der Luft“, verkündete Museumsdirektor Armin Zweite stolz vor der Presse, um wenige Minuten später von seinem Gastkurator, dem Picasso- Kenner, -Freund und -Sammler Werner Spies, widerlegt zu werden: „Diese Ausstellung war irgendwie nicht evident. Mein kleines Buch war zwar ein Erfolg, aber eine Ausstellung ...“ Erst während der Arbeit habe sich herausgestellt, daß die Kinderdarstellung eines der großen Themen in der Kunst und ein Hauptthema im Werk Picassos bildeten. Diese Erkenntnis allerdings ist kaum neu. Trotzdem sei, so Werner Spies, eine „überwältigende Picasso-Retrospektive“ zustandegekommen – „sicher eine der überwältigendsten der letzten zwanzig Jahre“.

Tatsächlich ist es Spies gelungen, mit Ausnahme des „Mädchens mit der Taube“ aus der National Gallery in London, die relevanten Kinderbildnisse Picassos aus allen Schaffensperioden nach Düsseldorf zu holen. Und tatsächlich läßt sich an ihnen auch nachvollziehen, wie sich Picassos Kinderbild wandelt. Sind sie vor der Geburt seines ersten Sohnes Paulo 1921 noch Objekte, werden die Kinder erst danach zu individuellen Subjekten. Paulo muß dabei auf den ersten Darstellungen noch den Kronprinzen spielen, wird als Clown, Pierrot oder Matador dargestellt. Darstellungen von Goya und Velázquez dienten hier als Vorbilder. Schon die 1935 geborene Maya durfte auf den Bildern ihres Vaters dann aber wirklich ein Kind sein und mit Puppen oder Schiffen spielen. Erst im Spätwerk weist er den Kindern wieder eine Funktion zu: Als Putti begleiten sie entweder Venus oder einen Greis, werden von der menschlichen wieder zur mythischen Figur.

Einige der in Düsseldorf ausgestellten Werke wurden zuvor noch nie gezeigt, viele davon aus der Sammlung oder durch Vermittlung von Maya Picasso. Die Tochter des Malers und seines Modells Marie-Thérèse Walter veröffentlicht im begleitenden Katalog auch erstmals ihre Erinnerungen an den Vater.

Schöner neuer Vermarktungsvertrag

Zu erklären ist dieses ungewöhnliche Engagement eines Mitglieds des sonst äußerst zurückhaltenden Picasso-Clans mit einem neuen Vermarktungsvertrag. Die bis heute zerstrittenen Picasso-Erben schlossen ihn nach Informationen des amerikanischen Fachblattes ARTnews mit der französischen Rechteverwertungsgesellschaft S.P.A.D.E.M. Es geht darum, eine noch effizientere Vermarktung des – zur Begleichung der Erbschaftssteuer zwischen ihnen und dem französischen Staat aufgeteilten – Nachlasses zu gewährleisten: 1.885 Gemälde, 7.089 Zeichnungen, 1.228 Skultpuren, 3.222 keramische Arbeiten, 1.723 Druckplatten, mehr als 30.000 Druckgraphiken und 9.931 Lithographien und Linolschnitte.

Die seltene Einmütigkeit ist insofern bemerkenswert, als es nach Picassos Tod 1973 einen jahrelangen Rechtsstreit um die Aufteilung des Erbes gegeben hatte. Die zahlreichen unehelichen Nachkommen des Malers mußten erst vor Gericht gehen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Krach gibt es außerdem nach wie vor um Authentizitätsfragen: Nachdem ein von den Erben eingesetztes „Comittée Picasso“ Anfang der neunziger Jahre am Streit über die Echtheit eines Skizzenbuches zerbrach, stellt zur Zeit allein Maya Picasso Expertisen aus. Deren Kompetenz bestreiten aber andere Mitglieder des Picasso-Clans.

Alle Ehefrauen, Kinder und Enkel sind unterdessen mit zweistelligen Millionenwerten aus dem Erbe gut versorgt. Häppchenweise machen sie vor allem über die Galerien Pace Wildenstein in New York und Jan Krugier in Genf den Nachlaß zu Geld. Sorgfältiger Umgang mit dem ×uvre ist dabei keineswegs gewährleistet: Von den 174 bei seinem Tod registrierten Skizzenbüchern Picassos wollte der französische Staat nur 20 haben. Aus den restlichen, für die Forschung unersetzlichen Blöcken und Kladden tauchen seither in Galerien und Auktionen immer wieder herausgetrennte Einzelblätter auf. Abzuwarten ist also, wann auch die zur Zeit werbewirksam und preisfördernd in Hannover gezeigten Skizzenbücher aus der Sammlung Marina Picasso angeboten werden.

Der Künstler liegt gut im Kurs: Seit 1970 wurden allein auf Auktionen Picasso-Werke im Gesamtwerk von mehr als 1,1 Milliarden Dollar verkauft, im Mai dieses Jahres das blaue „Portrait des Angel Fernandez de Soto“ für 29.150.000 Dollar an den Musical-Millionär Andrew Lloyd Webber. Nach Aussage der in Düsseldorf fleißig Kataloge ihres Vaters signierenden Maya Picasso ist dabei noch nicht einmal das ganze ×uvre bekannt: „Ich besitze noch Werke, die bislang nicht einmal fotografiert wurden, weil ich das nicht wollte.“

Briefpapier und Baseballkappen

Einigkeit müssen die ansonsten munter auf jeweils eigene Rechnung verkaufenden Picasso-Erben nur hinsichtlich der gemeinsamen Reproduktions- und Vermarktungsrechte erzielen. Das ist für den neuen Vertrag mit der S.P.A.D.E.M., deren langjähriger Präsident der 1947 geborene Malersohn Claude Picasso war, nun gelungen. Die neue Vereinbarung, von der auch die schuldengeplagte Verwertungsgesellschaft profitiert, soll erstmals auch die Verwendung des Namens und berühmten Schriftzuges „Picasso“ für kommerzielle Produkte erlauben. Bislang durften nur Bücher, Postkarten und Kalender auf den Markt, alle anderen Produkte bis hin zu nach Picasso benannten Cafés wurden sofort verboten. Verschiedene Picasso-Erben wie Paloma und Marina hatten allerdings schon zuvor unter eigenem Namen Bettwäsche, Parfüm und Geschirr lizenziert. Jetzt soll es auch offiziell Aschenbecher und Armbanduhren, Briefpapier und Baseballkappen geben dürfen. Nach außen wird auch der neue Vertrag als Maßnahme gegen die unzähligen illegalen Picasso-Produkte gerechtfertigt. Tatsächlich geht es um neue Lizenzeinnahmen in jährlicher Millionenhöhe.

In Düsseldorf mochten zur neuen Picasso-Vermarktungsoffensive und damit zum möglichen Anlaß auch für die Ausstellung „Picassos Welt der Kinder“ weder Maya Picasso noch Werner Spies Stellung nehmen. Die Ausstellung sei für Picassos Kinder ein Psychodrama gewesen, ließ Spies nur wissen, meint damit aber weder den finanziellen noch den juristischen Hintergrund: „Sie warteten darauf, um endlich Klarheit über die Rolle des Kindes in Picassos Kunst und damit auch über ihre eigene Rolle zu bekommen.“

„Picassos Welt der Kinder“. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, noch bis 3. 12. 95, Staatsgalerie Stuttgart, vom 16. 12. 95 bis 10. 3. 96. Katalog: Hrsg. Werner Spies. 260 Seiten mit zahlreichen Farbund Schwarzweiß-Abbildungen, Prestel-Verlag, München, Paperback, 39 DM.

Werner Spies: „Picassos Welt der Kinder“. 128 Seiten, 61 Farbtafeln und 46 Schwarzweiß-Abbildungen, geb., 39,80 DM.

„Pablo Picasso – Wege zur Skulptur. Die Carnets Paris und Dinard von 1928 aus der Sammlung Marina Picasso“. Sprengel Museum, Hannover, noch bis 29. 10. 95. Katalog: Hrsg. Werner Spies, 170 Seiten mit zahlreichen Farbund Schwarzweiß-Abbildungen, Prestel-Verlag, München, Paperback, 39 DM.

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