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„Unchristlich verschmutzt“

■ Hamburg in den frühen 50er Jahren: Alles boomt, auch die Real-Film / Plötzlich aber gerät die Filmfirma, aus der später das Studio Hamburg hervorgehen wird, ins Visier der bundesdeutschen Kommunistenjäger / Neue Aktenfunde zeigen: Auch Herbert Wehner war an der Hetze beteiligt Von Michael Töteberg

Die Akten liegen als Verschlußsache im Staatsarchiv. Mit Vermerken wie „Streng vertraulich“ oder „Geheim“ sind die Memos und Korrespondenzen gekennzeichnet. Das Bonner Innenministerium und das Bundesamt für Verfassungschutz auf der einen Seite, der Hamburger Senat, allen voran Bürgermeister Max Brauer, auf der anderen Seite pokern darin um die Zukunft einer Filmfirma, die mitten im beginnenden Kalten Krieg unter Kommunismus-Verdacht geraten ist: Der Real-Film soll der Geldhahn abgedreht werden.

In der Nachkriegszeit war Hamburg die bedeutendste deutsche Filmstadt, nicht zuletzt dank der Aktivitäten von Walter Koppel und Gyula Trebitsch. Beide hatten das KZ überlebt und erhielten im Januar 1947 von den Briten eine der ersten Lizenzen zur Filmproduktion: Die Real-Film wurde gegründet. Man begann mit „Trümmer-Filmen“, draußen auf der Straße oder in behelfsmäßigen Studios gedreht. „Verlogen wäre es, in einem notleidenden Deutschland Filme mit großem Aufwand zu drehen“, erklärte Koppel programmatisch. Ein Jahr später hatte man, Ecke Jenfelder Straße/Tonndorfer Haupstraße eine alte Villa entdeckt, die sich als Atelierkomplex ausbauen ließ: das heutige Studio-Hamburg-Gelände. 1951 hatte die Produktionsgesellschaft schon knapp 20 Spielfilme herausgebracht, mehr als jede andere westdeutsche Firma. Kommerzstreifen mit den Publikumslieblingen von einst dominierten: Aus der Real-Film wurde rasch eine Traumfabrik. Wolfgang Neuss, der damals seine ersten Auftritte hatte, reimt im Hansa-Theater am Steindamm auf den Namen Trebitsch „Drehkitsch“. Mit Revuefilmen und Schnulzen machten die Antifaschisten Koppel und Trebitsch Kasse und schreckten auch nicht davor zurück, etwa Zarah Leander, die Filmdiva des Nazikinos, zu reaktivieren. Den Wandsbeker Produktionen konnte man gewiß nicht vorwerfen, daß sie zur ideologischen Unterwanderung des Westens beitrug, im Gegenteil: Ihr Unterhaltungskino, das unreflektiert den alten Ufa-Stil zu kopieren versuchte, hatte deutlich restaurative Tendenzen.

Produziert wurde damals, Filmförderung im heutigen Sinne gab es noch nicht, mit Bundesbürgschaften. Für die kontinuierlich arbeitende Real-Film war dies ein Routinevorgang: Noch nie war ein Antrag abgelehnt worden. Doch am 15. Februar 1951, erster Drehtag für den Film Engel im Abendkleid, gab es immer noch keinen Bescheid aus Bonn. Koppel wandte sich an den zuständigen Referenten im Innenministerium. Dr. Lüders deutete etwas von politischen Bedenken an, der Filmproduzent bat um einen Termin und fuhr in die Bundeshauptstadt. Bei dem Gespräch tauchten unvermutet auch Staatssekretär Ritter von Lex und Oberregierungsrat Sauer vom Verfassungsschutz auf: Koppel mußte sich einer Gesinnungsprüfung unterziehen lassen.

Die Fragen galten seiner politischen Vergangenheit, den Beziehungen, die er, seine Frau, Teilhaber Trebitsch und die Firma Real-Film zur KPD, zur VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, und zur Ost-Berliner Defa unterhalten. Koppel war von 1945 bis 1947 KPD-Mitglied gewesen. Zusammen mit Trebitsch war er auch in der VVN gewesen; das Ateliergelände in Wandsbek hatte übrigens einmal ein VVN-Kinderheim beherbergt. Und Koppel hatte sich öffentlich mit dem Nazi-Regisseur Veit Harlan angelegt. Und die Real-Film hatte Aufträge für Rückpro- und Musikaufnahmen an die Ostberliner Defa vergeben und diese mit „Westmark“ bezahlt. Nun sollte Koppel, so forderte es das Bundesministerium des Innern, beweisen, daß er „alle äußeren und inneren Beziehungen zum Kommunismus gelöst hat“.

Walter Koppel galt in Hamburg als integrer Mann und seine Real-Film als Wirtschaftsfaktor. Neben Bürgermeister Brauer machten sich deshalb auch die für Kultur und Wirtschaft zuständigen Senatoren Heinrich Landahl und Karl Schiller für ihn stark. Die Presse wurde mobilisiert, Filmprominenz – von Willy Fritsch und Inge Meysel bis Carl Raddatz und Käthe Haack – solidarisierten sich mit Koppel. Für die Öffentlichkeit war der Konflikt klar: die Hamburger Sozialdemokraten gegen die Adenauer-Regierung. Doch die damaligen Presseberichte enthalten nicht die ganze Wahrheit. In den Akten, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes noch immer gesperrt sind, liegt auch ein Brief von Herbert Wehner. Er warnte in einem Schreiben vom 19. April 1951 den ebenfalls im Bundestag sitzenden Genossen Adolf Arndt: Nach ihm vorliegenden Informationen sei der Hamburger Filmkaufmann ein „Vertrauensmann der Zentrale der SED“: „Koppel hat nicht die Aufgabe, durch die Produktion von Filmen mit kommunistischer Tendenz zu wirken; er soll sein Unternehmen unverdächtig halten, damit er und das Unternehmen als zuverlässiger Stützpunkt für finanzielle Transaktionen und schwierige Kurieraufgaben dienen kann.“

Begonnen hatte alles mit einem Sommerurlaub: Die Familien Koppel und Trebitsch hatten sich gemeinsam ein Ferienhaus in der Heide gemietet, es – wie der Spiegel später entlarvte – in einem „unchristlich verschmutzten Zustand“ verlassen und sich damit verdächtig gemacht. Das jedenfalls meinte die Vermieterin, eine Sekretärin im Bonner Innenministerium. Ermittlungen wurden in Gang gesetzt, „Erkenntnisse“ gesammelt und ein Dossier angelegt. Ein Verfassungsschützer fragte Koppels frühere Putzfrau nach der Gesinnung ihres ehemaligen Chefs aus. Während des Hafenarbeiterstreiks Ende Oktober 1951 erschien in der kommunistischen Hamburger Volkszeitung eine Drei-Zeilen-Meldung: „Kollegen der Real-Film übergaben außer gesammelten Geldern zehn Zentner Kartoffeln für die Streikküchen.“ Der Pächter der Kantine dementierte jedoch: Weder Bares noch Naturalien seien von den Filmleuten gespendet worden.

In einem als „Geheim!“ deklarierten Brief wandte sich der Bonner Innenminister am 19. Juli direkt an den Hamburger Bürgermeister und legte ihm seine Beweise vor: die eidesstattliche Erklärung eines Berliner Produzenten, der durch ein postalisches Versehen Post von der Real-Film erhalten hatte. „Über die Deckadresse C.C.C.-Film Berlin-Charlottenburg“, der Firma von Arthur Brauner, habe man Defa-Gelder an westdeutsche Schauspieler auszahlen wollen. „Des weiteren“, trumpfte der Minister auf, „liegt eine glaubwürdige Erklärung einer anderen Person vor, die Herrn Koppel 1949 in den Geschäftsräumen der Defa in Berlin-Ost angetroffen hat.“ Mehr Trümpfe hatte der Minister, der monatelang dunkle Andeutungen von Verfassungsschutz-Erkenntnissen gemacht hatte, jedoch nicht.

Die Hamburger Genossen ließen sich nicht beirren. Demonstrativ gewährte die Landesbank einen Kredit in Höhe von einer halben Million Mark, die Freie und Hansestadt Hamburg übernahm die Bürgschaft. Die SPD brachte eine Kleine Anfrage im Bundestag ein, Walter Koppel erhob Klage beim Bundesverfassungsgericht. Die Angelegenheit wurde langsam peinlich. Hinter den Kulissen bemühte man sich, die Geschichte geräuschlos aus der Welt zu schaffen. Im Bulletin der Bundesregierung stand am 27. Februar 1952 eine lakonische Notiz: Es gebe keinerlei Bedenken mehr gegen die Real-Film.

Walter Koppel war rehabiliert. Die Real-Film konnte weiterarbeiten. Vier Wochen später, der Antrag auf Bundesmittel war problemlos genehmigt worden, wurde nach einjähriger Zwangspause wieder gedreht. Heinz Rühmann spielte einen kleinen Angestellten, der um seine Selbstbehauptung kämpft. Titel des Films: Keine Angst vor großen Tieren.

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