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Die türkische Regierungskoalition ist am Ende

■ Nach Konflikt mit den Sozialdemokraten gibt Ministerpräsidentin Tansu Çiller auf

Ankara (rtr/dpa/taz) – Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller hat überraschend ihren Rücktritt angekündigt. Gespräche zwischen ihrer „Partei des rechten Weges“ (DYP) und dem sozialdemokratischen Koalitionspartner CHP über die Fortsetzung des Regierungsbündnisses waren gestern gescheitert. Der neue Parteichef der Sozialdemokraten, Deniz Baykal, hatte am Nachmittag das Scheitern der Koalition verkündet. Nach einem dreistündigen Gespräch mit Tansu Çiller sagte Baykal in Ankara: „Der Beginn einer neuen Periode ist unmöglich. Die vor vier Jahren gebildete Koalition ist ebenso wie das Parlament, wenn auch nicht formell, so doch praktisch am Ende.“

Während Baykal sogleich Çillers Rücktritt gefordert hatte, hatte die Regierungschefin zunächst lapidar erklärt, es bestehe „kein Grund zur Panik“. Die Regierung sei „bis zur Bildung einer neuen im Rahmen der Regeln der Demokratie im Amt“. Nur wenige Stunden später befand sie sich bereits auf dem Weg zu Staatspräsident Suleyman Demirel, um ihr Rücktrittsgesuch offiziell einzureichen.

Der nationalliberale Oppositionsführer Mesut Yilmaz forderte sofortige Neuwahlen. Seine Mutterlandspartei (ANAP) sei zur Mitarbeit an der Seite der DYP „in einer Wahlregierung“ bereit.

Aus welchen Gründen genau das Ende des Regierungsbündnisses eingeläutet wurde, blieb zunächst unklar. Çiller hatte erklärt, sie sei sich mit Baykal „in allen Fragen einig“ gewesen. Allerdings habe Baykal zur Bedingung für die weitere Zusammenarbeit gemacht, den Istanbuler Polizeipräsidenten Necdet Menzir zu entlassen. Nach einem Terroranschlag, bei dem mehrere Polizeibeamte ums Leben gekommen waren, hatte Menzir die Sozialdemokraten indirekt beschuldigt, die öffentliche Sicherheit zu gefährden, weil sie sich „öfters mit den Tätern, nie aber mit den Opfern von Terroranschlägen unterhalten“. Der Disput verdeutlicht die unterschiedlichen Vorstellungen über Demokratie und Menschenrechte. Politische Beobachter verwiesen auch auf den Druck der Gewerkschaften auf die CHP. Gerade gestern waren rund 160.000 Arbeiter von Staatsunternehmen in einen eintägigen Streik zur Durchsetzung ihrer Forderung nach Inflationsausgleich getreten. Bei einer Jahresinflation von rund 90 Prozent hatte die Regierung in den laufenden Tarifverhandlungen nur 5,4 Prozent mehr Lohn geboten.

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