Zwei blinde Jungs

■ Ein rheinischer Wechselkönig sichert das 2:0 von Leverkusen gegen Gladbach

Mit Geschwistern hat der deutsche Fußball so seine Erfahrungen. Gute zumeist. In den Fünfzigern weltmeisterten die Walter-Brüder Ottmar und Fritz, in den Sechzigern wieselten die Dörfel-Buben Charly und Bernd, in den Siebzigern zauberten die Kremers-Zwillinge Erwin und Helmut, in den Achtzigern rummeniggte und försterte es in München und Stuttgart. In Mönchengladbach, wo es in längst vergangenen Oberligajahren ein Halvas-Duo und sogar ein (allerdings nicht verwandtes) Jansen-Terzett gegeben hatte, dürfte man sich fürderhin einer geschwisterlichen Doppelspitze nur ungern erinnern. Titelverteidigerin Borussia nämlich scheiterte in der zweiten Pokalrunde mit 0:2 an Gastgeber Bayer Leverkusen – und an den brüderlichen Schwarzkitteln Rainer (Pfeife) und Walter (Seite) Werthmann. Sie sahen nicht Wörns' Strafraumfoul an Dahlin, nicht des Engels Ellbogen in Effes wütendem Gesicht, nicht Tante Käthes Nachtritt gegen Sternkopf und verdienten sich redlich das Prädikat „The two blind boys from Iserlohn“.

Daß die Gladbacher mit sehenden Unparteiischen das Duell für sich entschieden hätten, steht indes zu bezweifeln. Das Auswärtsteam im weißen Heimtrikot verfügte zwar über 80 Prozent der Spielanteile, kombinierte vortrefflich, erspielte sich Chancen sonder Zahl – aber die Pille dann auch ins Netz zu dreschen, das verstanden die Dahlins und Wynhoffs und Pflipsens nicht. Die Mönche leiden sichtlich unter „Morbus Herrlich“ mit schmerzhaften Bobic-Symptomen. Und an nahezu chronischer Heinen-Phobie – zum zweitenmal binnen drei Wochen trieb der phänomenale Vollborn-Nachfolger eine torlose Borussia zur Verzweiflung. Gleich tat es ihm sein unmittelbarer Vordermann. Ex-Borusse Holger Fach hielt unlängst beim Ligakampf seinen lichten Schädel in jeden formidablen Fohlen-Angriff – und machte nun im Pokalduell mit seinem stärksten Körperteil prompt das spielentscheidende Führungstor. Der rheinische Wechselkönig aus Wuppertal, der nach den Stationen Düsseldorf, Uerdingen, Gladbach und Leverkusen seine Karriere eigentlich nur im nahegelegenen Kölner Altersheim „Zum Geißbock“ beenden kann, gab indes nicht nur eine prächtige Vorstellung als Freistoß- Verwerter. Auch wenn seine Rolle Fußball-Modernisierern etwas antiquiert erscheinen mag, eine bessere Mischung aus Thomas-Helmer-Libero und Willi-Schulz-Ausputzer läuft auf den Bolzplätzen der Liga derzeit nicht herum.

Daß der lange Schlaks in Pokalspielen zur entscheidenden Figur zu avancieren beliebt, mag den Leverkusenern ein Grund zum Staunen gewesen sein – die Gäste indes hätten es wissen müssen. Als Fach nämlich noch das Borussen-Jersey trug, spielte er gleich zweimal Schicksal. Sein verschossener Elfer im 92er-Endspiel gegen Hannover 96 bedeutete das Ende. Und sein verwandelter Strafstoß während der Uwe-Kamps-Elfmeter-Gala im gleichen Jahr den glücklichen Sieg. Wer damals der Gegner war? Bayer Leverkusen natürlich. Holger Jenrich

Borussia Mönchengladbach: Kaessmann - Hoersen (75. Huiberts), Klinkert, Andersson, Neun - Hochstätter, Effenberg, Pflipsen, Wynhoff - Sternkopf, Dahlin

Zuschauer: 23.000

Tore: 1:0 Fach (18.), 2:0 Kirsten (90.)

Bayer 04 Leverkusen: Heinen - Fach - Wörns, Münch - Rodrigo, Lupescu, Schuster, Tolkmitt (41. Lehnhoff/68. Rietpietsch), Sergio - Kirsten, Völler (79. Feldhoff)