■ Ökolumne
: In Sehnot Von Niklaus Hablützel

Wenn sozialdemokratische Abgeordnete kurz vor Moruroa beinahe Schiffbruch erleiden, dann muß ziemlich viel schief gelaufen sein. Haben sie auch nur eine Sekunde lang geglaubt, mit ihrer Kreuzfahrt Atombombenversuche eines befreundeten Nachbarstaates verhindern zu können? Ich hoffe nicht. Es handelt sich um Leute, die Politik als Beruf ausüben. Was wollten sie dann auf hoher See? Protestieren, und warnen vor dem Atomtod. Einverstanden. Warum mußte es aber Moruroa sein? Jaques Chiracs Gründe für diesen Versuchsort sind zwar nicht gut, aber gut verständlich, verglichen mit der Navigationskunst der deutschen Abgeordneten.

Vielleicht finden sich Gelegenheiten, da noch mal nachzufragen. Bei Wahlen zum Beispiel. Immerhin wissen wir seither, wo Moruroa liegt. Weit weg, praktisch außer Reichweite empörter, jedoch wenig seetüchtiger Mitglieder des deutschen Bundestages. Wo aber liegt Mochovce? Nah, verdammt nah. Nach Wien sind es nicht einmal zweihundert Kilometer. Wir sollten uns den Ort merken. Im Mochovce wird ein original russisches Atomkraftwerk vom Tschernobyl-Typ mit russischem Geld und ausschließlich russischer Technik zu Ende gebaut. So haben es die Regierungen der Slowakei und Russlands beschlossen.

Das ist das Ende einer Geschichte, in der schon wieder Frankreich, aber auch Deutschland eine Hauptrolle spielen. Man muß sie erzählen, um zu verstehen, daß die Rollen der Guten und der Bösen in der Wirklichkeit weniger eindeutig besetzt sind als im symbolisch guten Gewissen. Das Atomkraftwerk, das noch eine Baustelle ist, gehört zur Hälfte dem Staatskonzern Electricité de France. Hier wollte Frankreich beweisen, daß seine Atomenergie auch in Europa noch eine Zukunft hat. Auch Siemens hatte seine Techniker ausgesandt, es fehlte nur das Geld. Das sollte die ebenfalls unter französischer Führung stehende Osteuropabank vorstrecken, bezahlen wollte die Slowakei später mit dem Strom aus dem nachgerüsteten Reaktor.

Aus sehr naheliegenden Gründen hat Österreich von Anfang an dagegen protestiert. Als schließlich selbst die Experten der Osteuropabank zum – auftragswidrigen – Schluß kamen, daß Gaskraftwerke die Energieprobleme der Slowakei weit billiger lösen, war der Kredit geplatzt. Schwer beleidigt wandte sich der slowakische Präsident an die Russen, die zwar kein Geld für westliche Sicherheitsstandards, dafür aber jede Menge arbeitsloser Atomtechniker anboten.

Greenpeace und viele andere Umweltorganisationen hatten gegen die Electricité de France und ihre slowakischen Pläne demonstriert. Aber ihnen schwante nichts Gutes. Womöglich war der Einmarsch der westlichen Atomindustrie nur das kleinere Übel. Eine richtige Kampagne kam nie zustande.

Sie wäre dringend nötig. Das Atomkraftwerk ist unter sowjetischer Regie geplant worden. Deswegen lag es jahrelang zwar in der Nähe, aber dennoch außerhalb jeder Reichweite deutscher Parlamentsmitglieder. Das ist heute nicht mehr so. Zwar sollten sich Deutsche auch hier nicht in innere Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen. Aber weder Atombomben noch Atomkraftwerke sind ausschließlich innere Angelegenheiten der Staaten, denen sie gehören. Die Folgen der jeweils typischen Ernstfälle sind exterritorial.

In Mochovce ist nun noch viel mehr schief gelaufen als eine Kreuzfahrt. Die Renaissance der russischen Atomtechnik vor unserer Haustür geht auch deutsche Abgeordnete etwas an. Es ist ihre Politik, die versagt hat. Hochseeabenteuer wären hier nicht zu bestehen, Hinweise auf die Gestaltung künftiger Wirtschaftsbeziehungen könnten schon reichen. Allerdings gebe ich zu, daß ich nicht genau weiß, welche Politik richtig wäre. Dazu ist die Geschichte viel zu kompliziert schiefgelaufen. Das Ergebnis ist tragisch. Auch in Mochovce findet ein Atomversuch statt, und er ist gefährlicher als die französischen Dummheiten im Pazifik.

Denn warum eigentlich sollte Chirac im nächsten Jahr kein internationales Abkommen unterzeichnen, das weitere Atomtests verbietet? Die Moruroakrise wäre ausgestanden, wenn auch nicht die Gefahr eines Atomkrieges. Nur ist diese Gefahr ziemlich abstrakt, geben wir es zu. Der Reaktor von Mochovce dagegen besitzt noch nicht einmal eine Schutzhülle und soll unbestimmt viele Jahre strahlen. Eine Spende an die Wenigen, die immer noch dagegen protestieren, wäre angebracht. Das Südseeschiff war ja auch nicht billig.