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Weißer Affe im schwarzen Raum

■ "Wege des Ausbruchs" - eine beeindruckende, vom Autonomen Mädchenhaus konzipierte Ausstellung zum Thema "Gewalt und sexueller Mißbrauch" in Mitte

Manchmal kann man etwas sichtbar machen, indem man das Licht ausknipst. Angst zum Beispiel. Nichts, gar nichts mehr ist zu sehen, wenn man die Tür des „Angstraums“ hinter sich schließt. Heftiges Herzklopfen. Nein, es ist nicht das eigene Herz, das Geräusch kommt aus der Wand. Minutenlang nur dieses Herzklopfen und Stöhnen. Plötzlich laute, hallende Schritte, das Licht geht an, eine Tür quietscht. Der Lichtkegel fällt auf einen kleinen weißen Affen, Inventar irgendeines Mädchenzimmers im Mädchenhaus. Darüber ein Zettel: Liebe Tina, mir geht es so schlecht. Überall sehe ich die Männer, die mich fesseln und vergewaltigen wollen, so wie mein Stiefvater, vor dem ich abgehauen bin.

Der „Angstraum“ ist eine der Installationen, die in der auf Initiative des Ostberliner Mädchenprojektes BAFF gestern in Mitte eröffneten Ausstellung „Wege des Ausbruchs“ gezeigt werden. Die Ideen zu den Objekten entwickelten die Mädchen aus dem Autonomen Mädchenhaus, neun Künstlerinnen setzten sie um. Deshalb stehen auch keine Namen unter solchen „Gruppenentwürfen“ wie dem „Angstraum“. „Die Mädchen fanden, die Leute könnten sich ruhig mal fünf Minuten einer Situation aussetzen, die sie jahrelang ertragen mußten“, berichtet Constance Schrall.

Die frühere Mitarbeiterin des Mädchenhauses, die jede Menge Kreativität aus den Mädchen herauszuholen verstand und diverse Installationen mitentwarf, zeichnet für die Gesamtkonzeption der Ausstellung verantwortlich. In leicht veränderter Form wird diese jetzt zum zweiten Mal gezeigt, im letzten Jahr war sie im Rathaus Schöneberg mit 5.000 BesucherInnen in einem Monat geradezu ein Publikumsmagnet.

Bei solch einem schweren Thema ist das fast schon eine Sensation. Zumal sich die öffentliche Debatte seit Katharina Rutschkys Polemik über den „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ völlig totgelaufen hat. Jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge sei schon mal mißbraucht worden, heißt es dazu, verschiedene Studien zitierend, in einem der wenigen Ausstellungstexte. Darunter ein auf Rutschky passendes Zitat von Frigga Haug: „Was wäre gewonnen, wenn die Zahlen geringer wären?“

Erfolgsträchtig ist die Ausstellung auch deshalb, weil die BesucherInnen mit den Augen der Mädchen sehen lernen. Ringsum im Inneren eines kleinen Rondells sind die Ausflüchte nachzulesen, die sexuell mißbrauchte Mädchen zu hören bekommen, wenn sie sich offenbaren. Um sie zu lesen, muß man sich ständig im Kreis herumdrehen, bis einem schwindelig wird: Wer hat dir das bloß eingeredet Mit diesen Lügen willst du uns bloß schaden Deine Fantasie ist ja krankhaft ...

Vielleicht sogar am eindrücklichsten ist ein in kitschig glühendem Lila und Rosa gehaltener Altar für Unsere heilige Familie, die moderne Kleinfamilie. Statt der Bibel liegt dort ein „Gästebuch“, das bereits im Rathaus Schöneberg auslag und die Beichten anonymer Ausstellungsbesucherinnen enthält. Da ist die Türkin, die als kleines Mädchen von einem Nachbarn sexuell mißbraucht wurde und sich niemandem offenbaren konnte. Da ist das Mädchen, das „keinen Tag im Leben“ ohne Angst und ohne Schläge verbrachte. Und da ist die Frau, die zweimal vergewaltigt wurde und ihrem Mann schließlich ein Messer in den Bauch gerammt hat. Ute Scheub

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