■ Normalzeit
: Sinkende Sicherheitspartnerschaft

So lange die Volkspolizisten von DDR-Revolution, Degradierung und Durchgaucken gebeutelt wurden, konnte man mit ihnen auskommen. Jetzt häufen sich erneut die Klagen über ihr aggressiv-dummes Verhalten: „Genauso wie früher!“ Höchstens, daß die Vopos ihr Nach- oben-ducken-und-nach-unten- treten nun über die ihnen vom Westen Vorgesetzten Miami- Vice-mäßig modernisieren. Am Samstag, den 23.9. um 1 Uhr nachts, unternahmen die beiden 15jährigen Pankower Gymnasiasten Georgi Schneider und Arne Sell im Nieselregen noch einen Spaziergang. An der Baustelle Berliner- Ecke Kissinger Straße sehen sie mehrere Sicherungslampen auf der Erde liegen, die kurz ihr Interesse finden. Dann setzen sie ihren Weg fort. Als ihnen ein Polizeiauto entgegenkommt, laufen die beiden Jungs in die Granitzstraße: „Wir hatten ein bißchen Angst, weil sie nachts mitunter schon mal Linke verprügeln“, berichtet Georgi, der noch mitbekam, daß einer der Polizisten „Halt!“ schrie. Arne und er verstecken sich im Kellereingang der Granitzstraße 6. Die Polizisten laufen an ihnen vorbei, stöbern die beiden dann aber mit einer Taschenlampe auf: Sie müssen sich hinknien, die Hände auf dem Rücken und bekommen Handschellen angelegt, wobei Georgi mit dem Gesicht in den Matsch geschubst wird. „Die waren in Zivil und haben sich nicht ausgewiesen“, erzählt Arne. Minuten später sind bereits drei Zivilfahrzeuge und ein Einsatzwagen am Festnahmeort. „Die sind bekifft“, erklärt ein Polizist den Kollegen die Sachlage. Während die beiden Jungs auf dem Bürgersteig kauern, nähert sich ein Passant: Dieter Wall, Mieter der Granitzstraße 4. Der zirka 30jährige Gastronom kommt von der Arbeit, er sieht die Jungs „im Dreck liegen“. Einer, Arne, bittet einen Zivilpolizisten, seine Stellung verändern zu dürfen, ihm werde schwarz vor Augen. Dies wird ihm verwehrt. Dieter Wall reagiert staatsbürgerlich: Er bittet einen Beamten um seine Dienstnummer. „An angetrunkene Personen nie!“ bekommt er zur Antwort. Dieter Wall ist jedoch stocknüchtern, später wird er auch noch als „zu den beiden gehörend“ verdächtigt, noch später, als die Mütter der Jungs auf dem Revier in der Hatlichstraße eintreffen, unterstellen ihm die Beamten, er sei mit den beiden Frauen „bekannt“ – und somit quasi als Zeuge disqualifiziert. Die Nichtkiffer Georgi und Arne bekommen zu hören: „Ihr habt Baustellenlampen geklaut! Wir haben euch längere Zeit beobachtet!“ Einige Lampen hat ein Beamter inzwischen eingesammelt: „Da sind eure Fingerabdrücke dran!“ Georgi singt leise ein Lied „Bullenstaat verrecke!“, ein Beamter droht ihm daraufhin mit einer weiteren Anzeige: wegen Staatsverleumdung, nein: öffentliche Herabwürdigung, auch nicht: „Beamtenbeleidigung“ heißt das jetzt! Dieter Wall muß auf dem Revier, wo er Anzeige erstatten will, über eine Stunde warten – bis ein „neutraler“ Polizist aus der Weddinger Wache Pankstraße 8 kommt. Arne hört unterdes, wie der Pankower Reviervorsteher eine Polizistin fast entsetzt fragt: „War der Zeuge etwa dabei?“ „Nein, der kam erst später dazu“, beruhigt sie ihn. Zwar hätte, räumt Dieter Wall später ein, der Westbulle dann „eher die Form gewahrt, aber er drängte mich zur Eile und ließ mich nicht das Protokoll meiner Anzeige unterschreiben“. Der Zeuge wartet noch im Vorraum auf die beiden Mütter, die er ebenfalls zu einer Anzeige bewegen kann: wegen Freiheitsberaubung und Verleumdung. Am Schluß, gegen fünf Uhr morgens, händigt man ihnen drei Formulare mit den Anzeigenregistriernummern aus, auch die zwei ramponierten Jungs dürfen sie mitnehmen. „So macht sich die Polizei doch nur wieder Feinde“, meint eine der Mütter. „Wenn es mal wieder andersrum kommt, werden wir diese Pankower Rambos sofort in die Produktion schicken“, verspreche ich ihr. Helmut Höge

wird fortgesetzt