Wahlhilfe der Wirtschaft

Hauptstadtkonferenz in Berlin: Keine Zusage für Arbeitsplätze, dafür Wahlkampfunterstützung für Christdemokrat Diepgen  ■ Aus Berlin Hannes Koch

Noch immer ist die CDU der Konkurrenz von SPD und Grünen meilenweit voraus, wenn es um gute Kontakte zu den Spitzen der deutschen Wirtschaft geht. Die Topmanager nahezu aller namhafter Unternehmen zwischen Oder und Rhein gaben sich gestern in Berlin ein Stelldichein. Aus einem einzigen Grunde: Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) soll auch nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 22. Oktober an den Hebeln der Macht bleiben. Da wollte niemand fehlen: Bertelsmann, Daimler, Deutsche Bank, BMW, Allianz, Preussenelektra, Mannesmann, Siemens, und wie sie alle heißen, legten auf der „Hauptstadtkonferenz“ im preußischen Kronprinzenpalais ihr Gelübde ab: Wir werden in Berlin investieren!

Allein: Die ArbeiterInnen des Siemens-Meßgeräte-Werks in Berlin trauten dieser Zusage nicht und demonstrierten vor dem Konferenzort auf der Straße Unter den Linden. Denn Siemens-Chef Heinrich von Pierer denkt darüber nach, die Meßgerätefertigung teilweise aus Berlin abzuziehen und an einen anderen Standort zu verlagern. Den ElektroarbeiterInnen droht die Arbeitslosigkeit. Auch 400 KollegInnen der Siemens-Kabelfabrik werden demnächst ihren letzten Lohn empfangen: Es ist billiger, Kabel im mecklenburgischen Schwerin und in der slowakischen Hauptstadt Bratislava herzustellen.

Zwar stellte Eberhard Diepgen nach der dreistündigen Konferenz heraus, daß Siemens auch Ersatzarbeitsplätze an der Spree schaffe, doch die wiegen den Verlust nicht auf. Die Verlagerung der Leitung des Unternehmensbereichs Verkehrstechnik bringt nach Angaben der Siemens-Pressestelle „nur wenige“ Jobs nach Berlin. Zudem sind dies Arbeitsplätze für Manager und Forscher — die ArbeiterInnen der Kabelproduktion gucken in die Röhre.

Von ähnlicher Qualität wie die Ankündigung aus der Elektrobranche waren auch die übrigen Äußerungen der Manager und Politiker. Eberhard Diepgens zukunftsweisender Satz: „Berlin ist eine Reise wert“, und seine Aufforderung an die Industrie: „Ich lade Sie alle ein: Ergründen Sie die offenen Geheimnisse dieser Stadt“, zeugten vom wirtschaftspolitischen Gehalt der Tagung. Zusagen für mehr Arbeitsplätze? Diepgen: „Wenn wir das fordern, nimmt niemand mehr am solchen Konferenzen teil.“

Dabei hätte die Berliner Wirtschaft Unterstützung, neue Ideen und einen gemeinsamen Aufbruch der Mächtigen bitter nötig — in den ehemaligen Westsektoren sieht die Lage noch trüber aus als im früheren Ost-Berlin. Das Bruttoinlandsprodukt des alten West- Berlin nahm 1994 um ein Prozent ab. Die Wirtschaft schrumpft, Folge der Industrieabwanderung und gestrichener Steuersubventionen. An Wachstum und neue Arbeitsplätze ist da gar nicht zu denken. Mit 14,1 Prozent Arbeitslosigkeit liegt die Spreemetropole an der Spitze aller westdeutschen Länder. Nach dem gigantischen Kahlschlag in der Ostberliner Wirtschaft, dem 150.000 Industriearbeitsplätze zum Opfer fielen, geht es dort jetzt immerhin aufwärts. 1994 wuchs das Inlandsprodukt der Ostbezirke um 7,3 Prozent. Doch auch dieses Wachstum kann den Aderlaß seit 1990 nicht im entferntesten ausgleichen.

Angesichts der etwas mageren Ankündigungen der Manager versuchte Bundeskanzler Helmut Kohl, wenigstens politisch mehr Unterstützung zu signalisieren. Der Bundesrat müsse dem Bundestag nach Berlin folgen. „Es ist eine absurde Vorstellung, daß der Bundestag in Berlin tagt und der Bundesrat in Bonn.“