: „Das fordert die letzten Reserven“
■ Heute abend im Theater am Goetheplatz: Premiere von Arnold Schönbergs komplexer Chor-Oper „Moses und Aron“/ 35 ChorsängerInnen laufen zur Höchstform auf
Mit Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ wird eines der am schwierigsten zu realisierenden Werke des Musiktheaters überhaupt in Szene gesetzt. Der Komponist hielt es selbst lange Zeit für unaufführbar, bis er 1951 die erste Aufführung der Szene „Der Tanz um das Goldene Kalb“ in Darmstadt erlebte. Die Uraufführung des gesamten Werkes erfolgte 1954 konzertant in Hamburg. „Moses und Aron“ hat das jüdische Bilderverbot zum Thema: Moses vertritt das am Berg Sinai empfangene Gesetz Gottes, das nach göttlichem Willen keine Verbildlichung erfahren darf. Aron dagegen setzt auf Sinnlichkeit und erlaubt mit der Errichtung des Goldenen Kalbes sogar ein Götzenbild. Damit wird das verführbare und verführte Volk zu Schönbergs drittem Protagonisten; zu der religiösen Ebene tritt eine politische.
Für den Chor bedeutete die Einstudierung von „Moses und Aron“ nicht weniger als eineinhalb Jahre Probenzeit – neben dem laufenden Theaterbetrieb. Fast solistische Qualität werden den 30 Chorsängern in Schönbergs Werk abgerungen. Gespräch mit Theo Wiedebusch, dem Chordirektor der Bremer Oper, sowie den Chorsängern Manfred Bunte und Volkmar Ziemens.
taz: Macht es Schönberg dem Chor wirklich so schwer?
Theo Wiedebusch: Es gibt keine Chorpartie, die so lange im Zusammenhang läuft. Moses und Aron ist an Umfang und Schwierigkeit eine größere Anforderung als Luigi Nonos „Intolleranza“ und Zimmermanns „Soldaten“ In diesen Werken gibt es viele Cluster, das sind Akkorde aus einer Menge von Halbtönen, während es bei Schönberg immer um genaue Intervallzusammensetzungen geht.
Warum ist denn das so schwer?
Manfred Bunte: Es gibt überhaupt keine harmonischen Zusammenhänge und damit Orientierungspunkte. Es gibt auch keine vertikalen Linien im Sinne unserer „Melodie“. Jeder muß seinen Ton völlig unabhängig vom vorherigen Ton, vom Orchester und den anderen SängerInnen kennen und treffen.
Volkmar Ziemens: Man ist wie dreigespalten. Einmal die stimmliche Umsetzung, mit der man wahnsinnig zu tun hat, dann die szenische Arbeit und drittens das dauernde Schauen auf den Dirigenten. Das ist ja auch kein Zufall, daß die Uraufführung ein Rundfunkchor konzertant gemacht hat.
Wiedebusch: Das fordert die allerletzten Reserven. Die ersten Proben waren vollkommen frustrierend. Das sollte jetzt Monate so gehen, eine schreckliche Vorstellung. Aber wir haben dann locker angefangen, nicht verkrampft. Ich fand immer, man muß das auch sportlich sehen. Muß man für eine solche Aufgabe eine andere Probentechnik entwickeln?
Wiedebusch: Absolut. Wir haben die Stellen erst rhythmisch gesprochen, dann mit Tönen versehen.
Gibt es denn neben den reinen Lernproblemen auch stimmtechnische Anforderungen, die anders sind?
Wiedebusch:Die Legatokultur, die wir pflegen, ist hier natürlich nicht gefragt. Man muß ständig zwischen Singen und Sprechen umschalten...
Ziemens: Zum Bespiel ist das erhöhte Sprechen ja sehr ungewohnt, besonders im piano, das Wispern, das Hauchen...
Ziemens: Es ist eine enorme Herausforderung, das überhaupt behalten zu können...
Bunte:Ich mache das über ein fotographisches Gedächtnis, ich habe die Photographie der Partiturseite vor mir...
In dem Werk gibt es so unglaublich viele Taktwechsel. Wie ist denn das, wenn ein anderer Dirigent die Aufführung übernimmt?
Ziemens: Das geht überhaupt nicht. Jeder nachfolgende Dirigent muß diesselbe Schlagtechnik haben, sonst können wir unseren Einsatz nicht abnehmen.
Es ist doch in der Oper häufig so, daß der Regisseur Dinge verlangt, die mit dem Singen schwer zu vereinbaren sind...
Wiedebusch: Das ist in diesem Werk nicht möglich. Den zweiten Akt können wir auswendig, anderes singen wir mit Noten und anderen Sehhilfen wie Monitoren.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Heute abend „Moses und Aron“, Theater am Goetheplatz, 19.30 Uhr.
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