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Baurecht schützt nicht vor dem Tunnelwahn

■ Am Freitag den 13. Oktober ist Baubeginn für den Tiergartentunnel. Die Riesengrube führt zu Umleitungen

Von Ende 1995 bis zum Jahr 2002 verwandelt sich das Gelände zwischen Spreebogen und dem Landwehrkanal zur Terra non grata. Nach dem ersten Spatenstich des Kanzlers für die Tunnelbauten – am Freitag den schlimmen 13. Oktober vor dem Reichstag – wird sich in den kommenden Jahren eine bis zu 100 Meter breite und 700 Meter lange Baugrube in Nord-Süd-Richtung durch den Tiergarten fräsen. Zusätzlich zu den Grabungen für die Eisenbahn- und Autotunnel sollen die Bahnhöfe Potsdamer Platz, Zentral- Bahnhof und die Stationen der U 5 entstehen. Der Autoverkehr wird ab Oktober umgeleitet, die Entlastungsstraße zum Teil gesperrt und das Friedrich-List- Ufer am Lehrter Bahnhof dichtgemacht.

Das wegen seiner Größe sowie den ökologischen Risiken kritisierte Bauvorhaben soll „termingerecht“ durchgezogen werden. Nach dem Planfeststellungsbeschluß durch das Eisenbahn Bundesamt von 22. September liege nun auch das Baurecht vor, sagte gestern Klaus-Dieter Mönnich, Geschäftsführer der Projektgesellschaft für die Verkehrsanlagen im zentralen Bereich (PVZB). Mönnich: „Jetzt können wir bauen.“ Klagen gegen das fast vier Milliarden Mark teure Projekt führten „nicht zum Baustopp“. Laut „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz“ haben sie keine aufschiebende Wirkung.

Einsprüche – es gilt eine Frist vom 13. Oktober bis zum 13. November 1995 – haben Umweltverbände, etwa der BUND und die BI Westtangente angekündigt. Durch den „Tunnelwahn“ würde der Tiergarten beschädigt. Die PVZB will zum Teil wieder die giftige Weichgelsohle zur Grundwasserabsenkung einsetzen oder das Gel mit Beton mischen. Über Klagen entscheidet das Bundesverwaltungsgericht.

Die riesigen Röhren unter dem Parlamentsviertel sollen in mehreren Bauabschnitten realisiert werden, so Mönnich. Im Bereich der Regierungsbauten werde zuerst mit dem Bodenaushub begonnen. Die Spreeumleitung erfolge im Winter 1995/96. Im Herbst 1996 falle der Startschuß für den Schildvortrieb – die unterirdische Grabung. Mönnich: „Die Tunneldeckelung soll Ende 1997 abgeschlossen sein. Das Kanzleramt kann fristgerecht gebaut werden.“ Winfried Rütter, Chef der Bundesbaugesellschaft, erklärte, die Tunnelplanung beeinträchtige die Regierungsbauten nicht.

Mit dem 2,7 Kilometer langen Autotunnel werde parallel zur Eisenbahnröhre gestartet, sagte gestern Ulrich Bismarck, Projektleiter in der Berliner Bauverwaltung. Die unterirdische Nord- Süd-Straße, an der sich auch die Investoren vom Potsdamer Platz, debis (Daimler Benz) und Sony, beteiligen, soll 1999 befahrbar sein.

Um die nächsten Jahre nicht im Stau zu verbringen, sollten die Berliner „den Bereich am besten mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchqueren oder weit umfahren“, mahnte Bismarck. Für die Unbelehrbaren richtet der Senat ab 15. Oktober Umleitungen ein: Statt über das Friedrich-List- Ufer müssen PKWs um den Lehrter Bahnhof herum zur Invalidenstraße fahren. Im November wird die Süd-Nord- Fahrt auf der Entlastungsstraße „für immer“ gesperrt. Autofahrer müssen auf die Ebertstraße ausweichen. Die Nord-Süd-Strecke umkreist die Philharmonie. Die Umleitungen kosten den Steuerzahler rund 6 Millionen Mark. Rolf Lautenschläger

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