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■ Straßmanns kleine WarenkundeDominosteine

Nach heutigem Sprachverständnis ist der Dominostein eine Adventssüßigkeit. Advent ist eine Jahreszeit von September bis April, in der man dazu neigt, Kerzen anzuzünden, Dominosteine zu reichen und Zweierbeziehungen aufzulösen. Dominosteine sind ein miserabler Kitt für verkorkste Zweierbeziehungen, ebenso miserabel wie eine späte Eheschließung oder ein gemeinsames Kind. Am besten soll sein, hat mir mal ein erfahrener Freund verraten, mit der ganzen verkorksten Zweierbeziehung nach Brasilien zu verreisen. In Brasilien flamme, so der Freund, zuverlässig die vorhandene Restliebe wieder auf. Außerdem gibt es in Brasilien keine Dominosteine.

Im Kerzenschein kommt es gern zum Streit über die Frage, wie man den Dominostein am besten ißt. Der echte Dominostein besteht immer aus drei horizontal gestapelten Schichten. Zuunterst Lebkuchenmasse, darüber Glibber, obenauf Marzipanartiges. Alles zusammen im hauchdünnen Schokomäntelchen. Es gibt nun den Horizontalesser und den Vertikalesser. Der Horizontalesser hebt sorgsam mithilfe von Zunge und Lippen Schicht um Schicht ab und bildet sich einiges auf seine Cleverness ein, quasi drei Genüsse in einem zu haben. Der Vertikalesser haut die Zähne quer durch alle Schichten und stößt dann zufriedene, aber undifferenzierte Geräusche aus. Die zwischen den beiden Fraktionen ausgehobenen Gräben sind tief. H.: Du bist ein Allesfresser, ein Breischmatzer, ein Schwein!

V.: Du bist ein kleinkarierter Mensch, ein Zwangscharakter!H.: Nichts weißt Du von den feinen Differenzierungen, den Tönen und Zwischentönen, von der Lust, sich in den Schichten zu bewegen!V.: Nichts weißt du von Crossover, von wildem Denken, vom Leben im Abenteuer!

Man erkennt unschwer, daß sich am Dominostein bzw. der Art, wie sich der Mund ihm nähert, eine folgenschwere Menschheitstypologie aufhängen ließe. V-Typen würden nur V-Typen heiraten, H-Typen würden bevorzugt in Behörden, im Maschinenbau und als Konservatoren eingestellt. V-Typen wären Landwirte, Künstler, Müllwerker. Beim allerersten Kaffee mit Unbekannt wäre schnell alles klar: Er: Ich heiße Hans. Sie: Angenehm, Helga.

Ich persönlich bin, wie alle Journalisten, ein H-Typ. Und doch hätte ich einen Wunsch, betreffend die Schichtung im Dominostein selbst. Glibber-Lebkuchen-Marzipan, das wäre mein Traum. Die Steigerung von Schicht zu Schicht, die Dramatik des Abtragens, die Erfüllung in der Marzipanzone – das hätte was erregend V-mäßiges! BuS

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