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Wie geistiges Kokain

■ Internationale Mode galt den Nationalsozialisten als „verdummend“. Die Historikerin Gloria Sultano hat die Hintergründe der „arischen“ Mode aufgearbeitet

Man ging in Brotrinden-Braun, vielleicht kombiniert mit Brotkrumen-Beige. Nationalblau harmonierte mit Stahlhelm- oder Feldherrengrau. Beliebt war auch Dunkelblutrot. Und natürlich SA-Uniform-Braun. Man schrieb das Jahr 1941, der nationalsozialistische Geist besetzte mit seinem Zwang zur Omnipräsenz selbst die Farbbezeichnungen. Auf der eigens erarbeiteten „Verdeutschungsliste“ wurden die neuen Farbnamen verordnet – und das Wort „Konfektion“ gestrichen, denn Mode hatte deutsch zu sein. Von „Ariern“ für „Arier“. Längst wurden die jüdischen Konfektionshäuser, die nach Schätzungen der Nazis 50 bis 75, vielleicht gar 90 Prozent aller Konfektionshäuser ausmachten, mit allen Mitteln diskriminiert; beispielsweise von der Warenzufuhr oder von der Teilnahme an Modeschauen ausgeschlossen. Auch wurde der Mieterschutz für Juden teilweise aufgehoben und somit Geschäftsaufgaben erzwungen. Die verbliebenen Häuser „arisierten“ die Nationalsozialisten – jedoch nicht immer zum Nutzen der deutschen Wirtschaft, denn die neuen Hausherren waren teilweise fachfremd, die Bekleidungsindustrie aber einer der wichtigsten Exportartikel. Hinzu kam, daß etliche der vertriebenen jüdischen Konfektionäre, sofern sie sich retten konnten, im Ausland erneut ihrer Profession nachgingen und für scharfe Konkurrenz sorgten.

Hervorragend gelingt es Gloria Sultano in ihrem Buch „Wie geistiges Kokain... Mode unterm Hakenkreuz“ diese Zusammenhänge darzustellen. Dabei sind es die Details ihrer Dissertationsschrift, die erschließen, welch große Bedeutung die „Nebensache“ Mode für die Nationalsozialisten hatte, ja, welch Aufwand betrieben wurde, um auch diese so flüchtige Erscheinung zu besetzen.

Ausführlich recherchiert sind die Kapitel über die Enteignung und ihre taktische Vorbereitung – von der Verleumdung bis hin zur „Arisierung“ eines Wirtschaftszweiges. Konkretisiert wurde dies anhand der Akten und Recherchen zur „Überschreibung“ des Wiener Modehauses „Stone & Blyth. Detailreiche Einblicke gibt das Buch auch in die Notverwaltung des „Reiches“ anhand des Bezugsscheinsystems und der Kleiderkarten, die kurz vor Ausbruch des Krieges eingeführt wurden. Nur über sie (oder auf dem überteuerten Schwarzmarkt) gab es das Allernotwendigste an Kleidung. Dabei verbuchten, was die Frauen besonders ärgerte, feine Strümpfe im Vergleich zu anderen Kleidungsstücken überproportional viele Punkte. Hinzu kam, daß Schuhe zwar theoretisch über den Bezugsschein zu bekommen, praktisch aber vom Markt verschwunden waren. Schon angesichts dieser Rationierungen läßt sich die Phänomenologie der damaligen „Mode“ leicht verstehen.

Dieser Mode-Beschreibung ist der umfangreichste Teil des Buches gewidmet, ergänzt durch Interviews mit ZeitzeugInnen wie beispielsweise einem Mannequin oder einer Damenschneiderin. Sie belegen vor allem, wie wenig Gefallen das Leitbild der „arischen“, schlichten Mode fand, und – noch interessanter – wie gewisse Kleidungsstücke oder Modestile Opposition zum Hitlerreich symbolisierten. So standen Trachten im allgemeinen für Nationalbewußtsein und Heimatverbundenheit ganz im Sinne der Nationalsozialisten, manche Trachtler jedoch, beispielweise in Tirol, trugen ihre traditionsreichen Gewänder auch als Zeichen stiller Ablehnung. Der Trachtenhut, an dem eine Marienabbildung und eine silberne Münze mit dem österreichischen Adler befestigt wurde, war für Eingeweihte ein eindeutiges Zeichen der Ablehnung Hitlers. Eindeutiger war die Modesprache einer Gruppe junger Männer, die sich „Schlurfs“ nannten; elegant, leger und sehr „amerikanisch“ traten sie auf. Dandys mit einer Vorliebe fürs Tanzen, für Swing, Jazz, übergroße Anzüge und verhältnismäßig lange Haare.

Bisweilen amüsant zu lesen sind hingegen die „intellektuellen“ Anstrengungen der Nationalsozialisten, Mode arisch-deutsch zu definieren. „Schmückende Elemente“ galten als überflüssig, die deutsche Frau hatte sich nach den Vorstellungen des Leiters des Institutes für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda, Helmut Könicke, „edel, vornehm, gediegen und ihrer Art entsprechend“ zu kleiden: „Durch Kleidung aufzufallen, muß ihr peinlich sein (...) Das überläßt sie Dirnen, deren Geschäft es verlangt. Sie will nicht anlocken, auch auf die Gefahr hin, daß sie sitzen bleibt!“ Die „junge, gesunde, sportlich gestählte und schönheitsfrohe Frauengeneration“ entsprach dem Idealtyp der Zeit: Schön war das Naturbelassene. Eine „Rassen-Mode“, denn die Angriffe auf das „fade, widerliche, grenzenlos undeutsche Gewäsch“ „jüdischen Geistes“ war untrennbar mit ihr verbunden. Eine „Schmach und Schande, Erniedrigung und Entwürdigung deutschen Geschmacks, deutscher Selbständigkeit“, so wurde der Einfluß der jüdischen Konfektionshändler denunziert. Diese Mode „nach deutschem Geschmack“ hatte bald, so legt Sultano nahe, ihr wandelhaftes Wesen verloren – Mode war „Zweckmode (...), die den Geschmack der Spießbürger traf.“

Dabei deckt die Historikerin jedoch die Widersprüchlichkeit des Systems auf. In der offiziellen Lesart galt das Pariser Modevorbild als dekadent, der Einfluß der internationalen Mode auf die Bekleidung der deutschen Frau sei „geistiges Kokain“ und diene der „Verdummung“, hetzte das NS- Organ Das Schwarze Korps. Längst hatte die Propaganda die Uniform-Kostüme auf die internationalen Laufstege befördert, auch der Krieg hatte seine Spuren in der Mode hinterlassen. Aus Stoffmangel wurde an Länge und Weite gespart, das sogenannte „Sparkleid“ hielt Einzug in die Schränke der Frauen. „Zeitgerecht praktisch und doch schick“ hatte Sie sich mit dem „Verwandlungskleid“ anzuziehen: mal ein neuer Kragen, mal eine Schärpe, mal ein anknöpfbares Oberteil – und fertig war das neue Kleid. Schminke und Rauchen waren verpönt. Offiziell. Doch die Damen der Nazigrößen kleideten sich in den Salons ein, ließen sich ihre Kleider nicht selten aus dem Ausland mitbringen und „zeigten viel nackte Haut“. Zum Gefallen ihrer Männer.

Das alles ist Zeitgeschichte, die bislang tabuisiert wurde und jetzt als spannender Lesestoff aufbereitet wurde. Petra Brändle

Gloria Sultano: „Wie geistiges Kokain... Mode unterm Hakenkreuz“. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1995

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