: Und das fand man klasse?
Bittere Wahrheiten habe er sich ansehen müssen, als er ein Vierteljahrhundert später noch einmal bei Sat.1 die „Partridge-Family“ einschaltete, meint ■ Jan Feddersen
Ein bunter Omnibus, aus dessen Fenstern Kinder winken; am Steuer eine erwachsene Frau, die eigentlich unentwegt Unfälle bauen müßte, wäre die Szene wirklich auf der Straße gedreht worden. Sie tragen seltsame Textilien: sehr schreiend-orange Pullover beispielsweise oder braune Sweaters. Ihre Haare haben sie ordentlich gekämmt, ihr Mienen – munter. Dazu ein Melodieteppich, der wie eine Mischung aus den Beach Boys und den Carpenters klingt.
„The Partridge Family“. Das war 1972. So sollen wir damals auch ausgesehen haben? Solche Klamotten, die man heute sich nicht mal trauen würde, in die Altmüllsammlung zu tragen? Gruselig. Doch irgendwie sitzt man dauernd mit Gänsehaut vor dem TV- Schirm; gelegentlich durchkreuzt von einem Schauer aus Erinnerung: Und das fand man klasse?
So eine Geschichte über eine Familie, die am Rande des Abgrunds – Vater tot, Mutter besorgt, die Kinder fröhlich – hangelt? Ja, das war guter Stoff sozusagen. Abgesehen von den wenigen, die lieber „Drei Mädchen und drei Jungen“ gesehen haben. Und abgesehen von David Cassidy, natürlich. Zuerst war er noch okay, Typ Kumpel, der eine Klasse höher geht. Dann fanden ihn auch die Mädchen gut, ja, mehr als das sogar. Wir damals, pickelig und ungelenk, wie wir uns fühlten, so um die 15 Jahre jung. Chancenlos bei allen Mädchen, und damit wohl auch im Leben, fanden diese Anbetung dann doch widerlich, richtig ekelhaft. Ohnmächtig verfolgten wir seinen Siegeszug, unfähig zudem, ihm wenigstens eine Tellermine unter den Hintern zu wünschen.
Er war das Objekt der Begierde soeben sexualisierter Mädchen und der Schwarm aller Mütter, die genau solch einen Schwiegersohn akzeptiert hätten: David Cassidy, großer Sohn derer zu Partridge, Sänger solcher Popjuwelen wie „Rock me“ oder „Puppy Love“.
Dieser junge Mann wartete damals mit nichts anderem auf als mit – Sex. Sein „Rock me“ wurde zurecht übersetzt und verstanden mit „Fick mich“ oder „Mach's mir“. David Cassidy, der damals am Ende seiner Teenagerjahre, schwer darunter litt, immer nur für einen Entjungferungsbuben gehalten worden zu sein, verdiente sich dusselig an seiner Rolle in der Serie „The Partridge Family“. Das wußten wir damals nicht. Was war schon Geld? Nichts.
Er brauchte sich nur hinzulegen, den Kopf etwas zu heben, in die Kamera zu gucken, mit diesem gewissen Etwas zu lächeln und dabei die in den Knien angewinkelten Beine etwas breit zu machen – das versprach alles, und das eben machte ihn zum Haßobjekt pubertierender Knaben, die sich lieber an Alice Cooper oder Brian Connolly („Sweet“) orientierten, denn das waren Kumpels und keine Konkurrenten. Und wenn sie schon anbeteten, dann doch eher Suzi Quatro oder Vicky Leandros. Aber Cassidy? Hoffnungslos.
Ohne die „Partridge Family“ allerdings wäre Cassidy nie zum Bravo-Darling mutiert. Seine Stiefmutter, Shirley Jones, die in der Serie auch die Mutter spielt, war dem Publikum vorher nur bekannt geworden durch eine Rolle in der Verfilmung des Musicals „Oklahoma“. Die Idee der Prozenten war ebenso schlicht wie erfolgreich: Wenn wir schon die aufbrüchigen 68er Jahre ertragen müssen oder wollen, sollten wir dem großen Publikum dies in einer familiengerechten Form präsentieren. So dreht sich die Geschichte um eine verwitwete Hausfrau, die, so der Pressetext, „mit einem Haus voller übermütiger Kinder“ zu leben hat und eher zufällig zu Ruhm und Glück kommt. Wir wollten auch übermütig sein und litten doch nur darunter, für die 68er zu spät gekommen zu sein.
Die Älteren haben damals gelästert über uns und die „Partridge- Family“. Darum haben wir es ihnen auch nicht erzählt, daß wir uns sogar Bildchen von Susan Dey, der tollen TV-Schwester von David Cassidy und späteren Staatsanwältin Grace van Owen in „L.A. Law“, zusteckten. Außerdem hatte sie ein soziales Gewissen und wollte auf den Tourneen der Familie immer die schlechten sozialen Verhältnisse anprangern: Ja, das war's, echt.
Daß bei der ganzen Chose eine Mutter mitmachen muß, verstand sich von selbst: Nur so konnte das biedere Amerika an die neue Zeit gewöhnt werden – wenn Muttern dabei ist, steht wenigstens auch immer das Essen auf dem Tisch. Im übrigen fanden wir das damals alles sehr in Ordnung. So wie Shirley Partridge waren unsere Mütter nie, vor allem nicht so verständnisvoll, besorgt, doch stets gut gelaunt, wenn man mal auf einer Fete länger bleiben wollte.
So sitzen wir denn bei Sat.1 und bestaunen unsere Jugend, damals, als die Tüte Pommes so wunderbar schmeckte und die erste Limo im Hause der Jugend zwar die gleiche war wie die zu Hause, doch irgendwie besonders schmeckte, vor allem mit Strohhalm.
Bittere Wahrheiten, so ein Vierteljahrhundert später: Wahrscheinlich hätte man damals die „Kelly-Familie“ auch gut gefunden, hätte Angelo zum Freund gewünscht und Vater Kelly lieber gehabt als den echten Ernährer. Man sollte sich nie ganz selbst über den Weg trauen. Es gibt schließlich Grenzen. Ob das ein Kult wird, darf, muß bezweifelt werden: Im Grunde ist es nichts als rüdeste Vergangenheitsbewältigung. Was sein muß, muß sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen