: Na denn: Abwarten und Tee trinken
■ In Goldegg hält "Tempus - Verein zur Verzögerung der Zeit" einen Kongreß über "Pause - Störung - Unterbrechung" ab
Zur Gruppe der „peak-performer“, wie man Leistungsträger neuerdings nennt, zählt bekanntlich nur, wer wirklich ständig unter Strom steht. Den Computer bedienen, telefonieren, Kaffee trinken, die Terminplanung für die kommenden Tage durchchecken und sich die Ohren mit Q-Tips reinigen sind fünf Dinge, die noch jeder leicht zur selben Zeit durchführen kann.
Die Leistungsträger unter uns gehen weiter: Sie halten sich beispielsweise zwei oder drei Büros in verschiedenen Metropolen als Beweis dafür, daß sie nicht zu den Nieten zählen, die bloß einen Beruf haben. Rasantes Tempo und permanenten Ortswechsel kann man locker bewältigen, „Multitasking“ ist schließlich nur für Schlafmützen eine Neuigkeit. Eine leichte Verwirrung kann dabei schon mal vorkommen („Ist heute Mittwoch? Dann ist das hier München, oder?“), aber eigentlich kokettieren die meisten „peaks“ nur ein wenig. Auch hat das Ganze zwar gewisse Konsequenzen für die Freizeit, aber wer glaubt, private Vergnügungen seien ohne klare terminliche Absprachen machbar, ist selber schuld. Nur Schwächlinge behaupten, daß Streß ungesund sei, und nur Versager werden unruhig, halten dem Druck und der Dichte der Termine nicht stand, gehen zur Psychotherapie oder, in schlimmeren Fällen, nach Worpswede zu „Management by Love“-Kursen von Gerd Gerken.
Zu solchen Schlaffis zählen in den Augen der „peaks“ sicher auch die Mitglieder von „Tempus – Verein zur Verzögerung der Zeit“. Dieser 1990 gegründete Klub will den Fluß der Dinge stören und „Zeichen der Zeit“ setzen, wo es nur geht. Zentrales Ziel ist nicht etwa, bloß immer eins nach dem anderen zu tun; das wäre den vereinten Ruhebringern wohl auch viel zu simpel. Vielmehr geht es darum, eine „Kultivieriung der Langsamkeit“ voranzutreiben, oder, im Idealfall, auch einmal entschieden gar nichts zu tun. Das sind echte Herausforderungen, und dafür braucht man eben einen Verein. Aber Achtung: Die inzwischen rund 400 Mitglieder (von weiteren tausend Interessenten sprechen die Presseprospekte) von „Tempus“ verpflichten sich nach den Statuten „zum Innehalten, zur Aufforderung zum Nachdenken dort, wo blinder Aktivismus und partikulares Interesse Scheinlösungen produziert“ – eine Kampfansage an die Industriegesellschaft also. Man will offenbar immerzu konzentriert abschalten und vor jeder Handlung genau nachdenken. Die „Beschleunigungsprozesse“ sollen zurückgeführt werden und den Leistungsträgern eingeredet werden, daß es im Leben auch noch andere Dinge als beständige Aktivität gebe. Zu diesem Zweck schreckt man auch nicht vor einer nur schwach verkleideten Neuauflage der „Wandel durch Annäherung“-Propaganda zurück – für „unser wirtschaftliches Produktionssystem“, welches „Konkurrenzvorteile“ habe, heißt es da, gelte immer noch „zweifellos“: „Zeit ist Geld.“
Die größte Bedrohung durch „Tempus“ aber wird vor der Öffentlichkeit verborgen – es sind die Menschen, die hinter „Tempus“ stecken. Wenn es sich um grübelnde Entdecker der Langsamkeit handelte oder auch um entspannte Schöngeister, die allen Entscheidungszwängen gelassen durch sommerliche Segeltörns oder wohlige Weinabende aus dem Weg gingen, wäre alles nur halb so schlimm. Denn diesen Grenzgängern unserer Gesellschaft werden nicht einmal die „peaks“ den Respekt versagen können – zumal von ihnen kaum die Revolution gegen den Terror von Terminkalender, Handy, Uhr und Pieper zu befürchten ist. Sie würden durch ihr klares Desinteresse an jeglicher sozialen Pflicht wohl noch den hartgesottensten e.V. zur Verzweiflung bringen, geschweige denn selbst einen gründen und am Leben erhalten können (vermutlich haben sie von Lenins „Was tun?“ eh noch nichts gehört).
Nein, für einen Verein dieser Art sind sind schon „engagierte“ Nichtstuer notwendig. Das ist ein vertracktes Problem, und für die Antwort, so scheint man gedacht zu haben, ist Wissenschaft erforderlich. Oder besser gleich Wissenschaftler: Die Liste der Vorstandsmitglieder und der „Regionalgruppenleiter“ für die verschiedenen Abteilungen des Vereins in Österreich, Deutschland und Tschechien zeigt nämlich, daß „Tempus“ fast ausschließlich von Universitätsprofessoren und -doktoren gelenkt wird (Focus spekuliert schon über Zusammenhänge zwischen dem Berufsbild der Führungspersonen und den Zielen des Vereins).
Im Kern steht also die wissenschaftliche Durchdringung der Sache: Angegliegert an das Interuniversitäre Forschungsinstitut der Universität Klagenfurt in Österreich, vertreibt „Tempus“ Veröffentlichungen zu so vernachlässigten Themen der abendländischen Kultur wie „Warum gibt es nur eine Gesundheit und so viele Krankheiten?“ oder „Flaschentauchen – eine langsame Sportart“. Man fördert Forschungsprojekte, schreibt Expertisen für öffentliche und private Organisationen und organisiert Seminare und Symposien. So werden sich die Freunde der Bedächtigkeit vom 1. bis zum 3. Oktober in Goldegg (Österreich) unter dem Titel „Pause – Störung – Unterbrechung“ den finalen Entspannungsschuß geben. Angekündigt sind Vorträge zu Titeln wie „Die Stille und das Wegnehmen“ oder „Biologische Zeitdimensionen“. Natürlich ist für ausgedehnte Pausen gesorgt, für psychologische Entspannungsstationen, für das ganz langsame Wiederanfangen nach den Unterbrechungen mit stiller Musik. Die Anfangsversammlungen sollen übrigens nur ganz informelle Treffen sein. So nach dem Motto also, mal sehen, wer so kommt und ob wer kommt. Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Der Schlurf durch die Institutionen hat bereits begonnen. Im Juli hielt man in Stuttgart ein Seminar über „Zeiterfahrung“ – und das in Zusammenarbeit mit der Bildungsabteilung von Daimler- Benz. Thomas Sturm
Infos bei: Tempus. Verein zur Verzögerung der Zeit. Sterneckstraße 15, A-9010 Klagenfurt. Tel. 0463/ 2700-742; Fax: 0463/ 2700-759
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