Aus der Krise nichts gelernt

■ Scharping ist ein Problem der SPD – wer löst es?

Weiß noch einer, was gespielt wird im Ollenhauer-Haus? Scharping beherrscht seit Wochen nur ein Stück: „Publikumsbeschimpfung“. Doch damit heimst er noch nicht einmal mehr unter den Mitspielern Zustimmung ein. „Tragisch“ nennt Klaus Bölling das Ende und trifft damit den Charakter der Inszenierung schon eher. Denn unausweichlich scheint das weitere Schicksal des Dreifachführers. Die Zeiten, in denen die Stabilität im Zusammenhalt gefunden wurde, sind vorbei. Je zwanghafter dieser beschworen wird, desto heftiger die Absetzbewegungen auf der Führungsebene. Bei den Berliner Wahlen am 22. Oktober wird die SPD eine schwere Niederlage erleiden, die Rechnung nicht nur dafür wird Scharping spätestens auf dem Parteitag im November präsentiert.

Dann wird ihm vorgehalten werden, daß die SPD auf den tiefsten Stand in der Wählergunst seit 1949 zusteuert, daß die Mitglieder seit Wochen zu Tausenden die Partei verlassen. Dabei ist es nicht einmal so sehr dieser Umstand, der zu Scharpings Lasten spricht. Bei einem solch heterogenen Wähler- und Mitgliederbestand ist eine Neuorientierung der Partei ohne zumindest temporäre Verluste kaum denkbar. Doch die Angst vor diesen Verlusten hat die Führung bislang vor klaren Schwerpunktsetzungen zurückschrecken lassen. Wo manche Genossen nicht mehr zusammengehören, sollen sie durch die Person des Vorsitzenden zusammengezwängt werden: Dieser übersteigerten Anforderung ist keiner der Spitzenmänner der letzten Jahre gerecht geworden. Zu Scharpings Lasten spricht allerdings eine Allzuständigkeit, die in Formelhaftigkeit mündet, ein Mangel an Orientierung, die allein Verluste tragbar machen könnte. Deutlich wurde dieses Unvermögen in der Auseinandersetzung mit Verheugen um eine mögliche rot-grüne Perspektive. Verheugens Rückzug deutet darauf hin, daß auch in absehbarer Zeit keine Klarheit vom Vorsitzenden zu erwarten ist.

Je mehr die Partei von ihm abfällt, desto vehementer hält Scharping an seinen Positonen fest. Nun ist Hybris bekanntlich ein Element der Tragik, doch frappanterweise scheint ihm die Partei in dieser Logik zu folgen. Sie zelebriert als Kabale, was ein Strukturproblem ist. Und so wird bereits nach Kräften darüber sinniert, wer denn käme, wenn Scharping ginge. Tröstlich nur, daß die Parteispitze schon seit längerem einer geschlossenen Gesellschaft gleicht, eine Wiederholung der Inszenierung folglich schon am Personalbestand scheitern dürfte. Dieter Rulff