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Atomtests töten – Traditionen und Menschen

Haben die Atomtests auf Moruroa zu Krebserkrankungen geführt? Daten sind schwer zu beschaffen, und die Betroffenen reden nur ungern. Gesundheitsprobleme existieren, doch der Zusammenhang ist nicht zu beweisen  ■ Aus Papeete Nicola Liebert

Vahinemoea – zu deutsch Träumendes Mädchen – ist tot. Die kleine Tahitianerin ist im Alter von zwölf Jahren an Leukämie gestorben. Und auch ihre Zwillingsschwester Vahinerii, das Wundervolle Mädchen, ist schwer an dem Blutkrebs erkrankt. Der Vater der beiden, der namenlos bleiben möchte, ist ein von Selbstvorwürfen gleichsam erdrückter Mann. In der Zeit, als die Zwillinge gezeugt wurden, verdiente er als Bauarbeiter einen überdurchschnittlichen Lohn. Sein Einsatzort: Moruroa.

Vahinemoea hat ihre letzten Atemzüge in einem Krankenhaus in Paris getan, weit weg von ihrem Zuhause auf Tahiti, begleitet nur von ihrem Vater, der gar nicht begriff, was eigentlich vorging. Die Tränen laufen über sein Gesicht, als er erzählt, wie sie noch im Flugzeug über starke Schmerzen klagte und dann ihre Sauerstoffmaske vom Gesicht riß. „Laß uns singen, Papa.“ Und mit ihr zusammen sang er „Jesus beschützt die kleinen Kinder.“ Es ist üblich in Polynesien, Schwerkranke zur Behandlung nach Frankreich zu bringen. „In die Metropole“, sagen sie, denn das Überseeterritorium Polynesien, das ist ja auch Frankreich.

Der Krebstod von Vahinemoea kann kein Beweis dafür sein, daß die Atomtests auf Moruroa die Gesundheit der polynesischen Bevölkerung schädigen. Dennoch müssen sich die meisten Untersuchungen stark auf solche Einzelaussagen stützen. Ein Krebsregister existiert zwar offiziell seit 1979 aufgrund der Forderung des Länderzusammenschlusses Südpazifikforum. Aber erst seit 1988 darf es als halbwegs vollständig gelten, gibt sogar der Direktor der polynesischen Gesundheitsverwaltung, François Laudon, zu.

Behörden sammelten keine Krebsdaten

Das sei kein Zufall, ist sich der Arzt Jean-Paul Théron sicher. Denn Krebs dürften in erster Linie die überirdischen Atomexplosionen seit 1966 erzeugt haben. Zwischen sechs Monate und 30 Jahre, durchschnittlich aber zehn Jahre vergehen, bis die Krankheit dann ausbricht. Die Krebsfälle, die von den 1974 eingestellten atmosphärischen Tests herrühren, tauchen in dem Register also größtenteils nicht auf.

Untersuchungen über die radioaktive Belastung durch die frühen Tests, bei denen es auch zu einigen Unfällen kam, wurden damals nicht durchgeführt. Zusammenhänge zu heutigen Erkrankungen lassen sich also nicht herstellen. Wer hätte sich auch darum kümmern sollen? Bis 1985 hat es in Polynesien überhaupt kein ziviles Gesundheitswesen gegeben; bis dahin stand die medizinische Versorgung unter militärischer Verwaltung, waren die Ärzte Militärs.

Jean-Paul Théron hat Anfang der 80er Jahre auf den Tuamotus gearbeitet, der Moruroa benachbarten Inselgruppe. „Ich hatte den Eindruck, daß wir es dort mit einer vergleichsweise großen Anzahl Krebsfälle, vor allem des Verdauungstraktes, zu tun hatten. Aber beweisen kann ich es nicht.“ Die Häufung sei statistisch nicht ausreichend signifikant gewesen. Bei zumindest zwei seiner Patienten aber ist Théron ganz sicher. Beide hatten als Taucher auf Moruroa Arbeiten unter Wasser auszuführen. Beide sind in jungen Jahren an einer ausgesprochen seltenen Art von Gallenkrebs erkrankt. „Es ist in Fachkreisen unbestritten, daß Plutonium diese Krebsform auslösen kann“, betont der Arzt.

Erst im Juli dieses Jahres hat die Territorialregierung im städtischen Krankenhaus von Papeete eine eigene Station eingerichtet, wo sich alle hinwenden können, die durch die Atomtests krank geworden zu sein glauben. Seither haben sich gerade mal fünf Männer bei der Ärztin Cathérine Messerschmidt gemeldet. „Keine Ahnung, warum nicht mehr kommen“, schnappt die Internistin und interessiert sich offenkundig auch nicht weiter für diese Frage.

Juli 1995: Atomstation in Papeetes Krankenhaus

Auf diese neue Einrichtung angesprochen, gaben alle befragten Polynesier nur ein zynisches Lachen von sich. Der Pressesprecher der polynesischen Regierung, Frédéric Cibard, läßt durchblicken, warum diese Station wohl eingerichtet wurde: „Die Unabhängigkeitspartei hat uns immer versucht glauben zu machen, daß die Bombentests die Menschen krank machen. Aber“, fragt er hämisch, „wo sind sie denn nun, unsere Kranken?“

Sie sitzen zum Beispiel im Versammlungssaal des Rathauses von Faaa, wo Oscar Temaru, der Chef der Unabhängigkeitspartei, Bürgermeister ist. Hier fühlen sie sich sicher, hier sind sie bereit zu reden, und nur hier. Denn sie haben Angst. Solange sie für das Militär gearbeitet haben, wurden sie verpflichtet, kein Sterbenswörtchen zu erzählen über ihre Arbeit und darüber, was ihnen geschehen ist. Wer redet, hatte man ihnen gedroht, würde wie ein Spion abgeurteilt. Das Tabu – übrigens ein polynesisches Wort – hatte für die meisten auch noch Bestand, als sie längst aufgehört hatten, für das Militär zu arbeiten. Das erklärt auch, warum die erkrankten ehemaligen Moruroa-Arbeiter sich nicht organisieren.

Der Vater des neunjährigen Pierre-Emile Largeteau etwa traute sich nicht, zu der Versammlung in Faaa zu kommen, die speziell für die Presse einberufen wurde. Statt dessen hat die Mutter ihren Sohn gepackt und mitgenommen. Sie findet, daß man nicht länger schweigen darf. Pierre- Emile hat keinen natürlichen Darmausgang. Der Vater hatte bei seiner Geburt schon zehn Jahre auf Moruroa gearbeitet. Müll hat er dort verbrannt, wohl auch radioaktiven, meint seine Frau. Aber Genaues weiß sie nicht, mehr hat er nie erzählt.

Auf einem Stuhl in dem Saal kauert – und man sieht ihm an, daß er nicht gewöhnt ist, auf Stühlen zu sitzen – ein beinahe zum Skelett abgemagerter Mann mit einem riesig aufgeblähten Bauch, über dem die Haut spannt. Hoga Varoa weiß nicht zu sagen, wie alt er ist, deshalb zeigt er seinen Ausweis vor. 51 ist er – „warum sollte das wichtig sein“, fragt er leise. „Ich weiß nur, daß ich nicht mehr viel älter werde.“ Aber daß er zwölf Jahre und vier Monate als Bauarbeiter auf Moruroa und Fangataufa, der nebenan liegenden zweiten Atomtestinsel, gearbeitet hat, kann er ganz genau berichten.

Neben ihm hockt Charley Hira und hilft gelegentlich übersetzen. Der heute 54jährige hat von 1980 bis 1987 auf Moruroa Löcher gegraben und Drähte verlegt. Solche Arbeiten innerhalb der Absperrungen um die Sprengschächte herum hätten immer nur Polynesier gemacht. Die Franzosen seien alle vorsichtig um die Absperrungen herum gegangen. Er zeigt überall auf seinem Körper genähte Narben und dazwischen merkwürdige Knubbel unter der Haut vor: „Zysten“, das Wort, der reinste Zungenbrecher für ihn, hat er auswendig gelernt, ohne dessen Bedeutung zu kennen. Außerdem, er deutet auf seinen Bauch, habe er da so ein Gefühl von Hitze. Was das für eine Krankheit sei? „Die Ärzte sagen nie, was los ist.“ Er jedenfalls geht nicht mehr zu ihnen, sie hätten ihm nicht geholfen. Hoga Varoa, der überhaupt nicht weiß, woran er leidet, ist sogar überzeugt davon, daß ihm die Ärzte geschadet hätten.

Charley Hira hat auf Moruroa Löcher gegraben

Ob solche Krankheiten durch Radioaktivität hervorgerufen wurden, könne er nicht sagen, wehrt Doktor Laudon von der Gesundheitsverwaltung ab. Aber er gibt zu, daß es da bestimmte Probleme bei der Gesundheitsversorgung gebe, Kommunikationsprobleme vor allem. „Wir haben Schwierigkeiten, uns den einfachen Polynesiern mitzuteilen.“ Sie kennen die Begriffe nicht, die die moderne westliche Medizin benutzt, und das macht sie mißtrauisch. Daher kommen viele auch gar nicht mehr zur Behandlung. Das Krebsregister kann aus diesem Grund wohl kaum sehr vollständig sein.

So schwer die Betroffenen zum Reden zu bringen sind, so schwer ist es, über das Krebsregister Informationen zu erhalten. Für einen Gesprächstermin bei der Gesundheitsverwaltung mußte der Gesundheitsminister der polynesischen Territorialverwaltung höchstpersönlich seine Erlaubnis erteilen. „Ihr Begehren ist eine höchst heikle Angelegenheit“, erklärte seine Sprecherin immer wieder die Verzögerungen. Das eigentliche Krebsregister ist nicht einsehbar: Datenschutz.

Mehr Leukämie und Schildrüsentumore

Die sehr allgemeinen Statistiken, die Laudon rausrückt, belegen, daß die Krebshäufigkeit in Französisch Polynesien nicht viel anders ist als in der „Metropole“ selbst. Selbstverständlich seien darin auch die Fälle derer eingerechnet, die im fernen Frankreich behandelt werden und dort sterben.

Kritiker, so etwa Bruno Barillot vom Lyoner Friedensforschungsinstitut CDRPC, sehen die Statistik als nicht so harmlos an. Polynesien sei mitnichten ein Industrieland, und deshalb sei es unzulässig, die Krebsraten mit denen in Frankreich direkt zu vergleichen. Und im Vergleich mit anderen Pazifikländern träten insbesondere Schilddrüsentumore und Leukämie häufiger auf. Gesundheitsdirektor Laudon hält dem entgegen, daß der Schilddrüsenkrebs auch ernährungsbedingt sein kann: Auf den Pazifikinseln werde zuviel stark jodhaltiger Fisch gegessen. Barillot zeigt aber auf, daß die Krebsrate vor allem in den Pazifikregionen überdurchschnittlich hoch ist, über die die Fallout-Wolken der oberirdischen Tests getrieben sein dürften – sowohl in der Nachbarschaft Moruroas als auch der Marshall-Inseln, wo die USA Bomben testeten.

Seit die Atombomben in 600 bis 1.000 Meter Tiefe explodieren, dürften sich jedoch etwaige Gesundheitsfolgen höchstens auf Arbeiter beschränken, die in direkter Umgebung der Explosionsschächte arbeiten, glaubt etwa Jean-Paul Théron. Und dennoch ist er sicher: „An den häufigsten Krankheiten in Polynesien sind tatsächlich die Atomtests schuld.“ Jedoch meint er damit etwas anderes als radioaktive Verseuchung.

Zum einen ist da die Ciguatera. Diese Fischvergiftung wird durch eine bestimmte Algenart hervorgerufen, die wiederum auf absterbenden Korallenriffen gedeiht – Korallen, die zum Beispiel durch unterirdische Atomexplosionen sterben. Ciguatera ruft Bauchweh und Verdauungsschwierigkeiten hervor und ein Hautjucken, das sich durch Kratzen zum Ekzem entwickelt. Tatsächlich sind das die Symptome, über die die meisten derjenigen klagen, die sich als Opfer der Atomtests sehen. Ciguatera hat es zwar schon immer gegeben, aber die Leute erzählen sich, daß es noch nie so schlimm gewesen sei, wie in den letzten Jahren.

Tests töten durch veränderte Lebensweise

Aber die mit Abstand wichtigste Ursache von Gesundheitsproblemen in Französisch Polynesien, betont Théron, sei der rapide Wechsel von einer traditionellen Gesellschaft von Bauern und Fischern zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft innerhalb nur einer Generation. Denn dieser Schock habe einerseits zu gehäuft auftretenden psychischen Krankheiten geführt. Andererseits sei der Wandel im Lebensstil nicht mit gesundheitlicher Aufklärung einhergegangen. Falsche Ernährung und Bewegungsmangel haben dazu geführt, daß in der Tat viele Polynesier zur Korpulenz neigen, was wiederum Herz- und Kreislauferkrankungen begünstigt.

Daß trotzdem viele Polynesier glauben, ihre Krankheiten seien durch Radioaktivität verursacht, sei eine direkte Folge der Desinformation durch die französischen Bombentester. „Da wird von beiden Seiten viel Unsinn erzählt“, findet Théron. Endlich die ganze Wahrheit zu sagen, fordert er von den Militärs. Das wären sie der Bevölkerung schuldig, und das würde zumindest zu einer gewissen psychischen Beruhigung führen. „Die französische Verwaltung muß akzeptieren, daß es in Polynesien Krankheiten gibt, die durch Radioaktivität ausgelöst wurden“, resümiert er. „Aber die Polynesier müssen auch akzeptieren, daß die meisten Erkrankungen hier eben nicht von den Bombentests herrühren.“

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