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Letzter Ausweg Dounraey

Bombenfähiges Uran aus Forschungsreaktoren wird an der schottischen Ostküste wiederaufgearbeitet. Der Strand ist verseucht  ■ Von Hans-Jürgen Marter

Es waren nur 52 Brennelemente, die in dieser Woche aus Berlin ankamen. Aber für Chris Bunyan sind die 4,3586 Kilogramm hochangereicherten Urans, die sie enthalten, zuviel. „Die Abfallsorgen des Hahn-Meitner-Instituts sollen nach Schottland exportiert werden“, sagt der Mitstreiter der Northern European Nuclear Information Group, kurz Nenig. „Der Atommüll wird Nordsee und Atlantik wie auch die Luft hier verschmutzen, dann für einige Jahre auf dem Gelände von Dounraey zwischengelagert, bevor er zurück nach Deutschland geschafft wird, wo später wiederum Transporte zum einem noch nicht bekannten Endlager notwendig werden.“

Daß diese „Region, die ohnehin schon stark belastet ist, zur nuklearen Müllkippe Europas“ wird, meint auch die lokale Bürgerinitiative Caithness Against Nuclear Dumping (Cand) und die Regionalverwaltung, der Highland Regional Council. Die jahrzehntelange enge Partnerschaft zwischen Atomindustrie und lokaler Politik zerbricht. Auf dem Gelände von Dounraey befinden sich zwei Schnelle Brüter und zwei Wiederaufbereitungsanlagen. Zwar ist man weiterhin bereit, den eigenen Atommüll hinzunehmen, doch zusätzlicher Müll aus Deutschland, Belgien, der Schweiz und weiteren europäischen Staaten sei nicht akzeptabel.

Nicht nur deutsche Atomlabors haben ein Problem, das ihnen die Betriebsgenehmigung kosten könnte. Das Hahn-Meitner-Institut in Berlin, die Physikalisch- Technische Bundesanstalt in Braunschweig, das Kernforschungszentrum Karlsruhe, aber auch das Paul Scherrer Institut in der Schweiz sitzen auch auf einem wachsenden Berg Atommüll, der ihre Lagerkapazitäten zu sprengen droht. Schuld daran sind Anwohner des Atomkomplexes Savannah River in South Carolina, USA, die sich erfolgreich gegen weitere Einlagerungen hochaktiven Mülls zur Wehr setzen. Die USA fordere heute die abgebrannten Forschungsbrennstäbe zurück, die sie seit den fünfziger Jahre in alle Welt lieferten, doch nicht mehr um daraus eigene Bombenmaterialien zu gewinnen, sondern um auf diese Weise das sich im Umlauf befindliche waffenfähige Material zu reduzieren. Für die betroffene Bevölkerung von South Carolina macht dies allerdings keinen Unterschied. Seit 1988 hat kaum noch ein Atommülltransport seinen Bestimmungsort an der Ostküste der USA erreicht. Statt dessen bereitete Dounraey regelmäßig Müll aus Forschungsreaktoren auf. Das widersprach zwar den alten Abkommen über Forschungs-Uran, doch die USA mußten den Vertragsbruch hinnehmen.

1994 ist die Anlage zur Wiederaufbereitung dieser Brennstäbe auf dem Werksgelände von Dounraey trotzdem eingemottet worden. Die Aufträge fehlten. Doch das wird sich bald ändern. Zwischen 18.000 und 24.000 Brennelemente US-amerikanischen Ursprungs, bestückt mit hochangereichertem Uran, kursieren in 40 Staaten der Erde, darunter im Iran, in Pakistan, Rumänien und nahezu allen südamerikanischen Staaten. Eine (vorläufige) Studie des amerikanischen Energieministeriums schlägt vor, daß die USA nur noch die Brennelemente von sogenannten „armen und politisch unsicheren“ Staaten zurücknehmen, während Dounraey Brennelemente aus den „reichen und entwickelten“ wiederaufbereiten darf.

Schon hat Dounraey angekündigt, damit noch in diesem Herbst zu beginnen. In einer mehrseitigen Stellungnahme erläutert Pressesprecher Ian Shepherd die Vorteile: Die Wiederaufbereitung recycle den wertvollen Brennstoff und reduziere die Menge des Urans, die voneinander getrennten Müllbestandteile seien chemisch stabiler, daher sowohl einfacher als auch sicherer zu lagern. „Durch den Betrieb einer WAA“, gibt auch der Pressesprecher zu, „werden geringe Mengen Radioaktivität frei.“ Es sei aber sichergestellt, daß sie unterhalb der Grenzwerte lägen. Darüber würden regelmäßig unabhängige Sachverständige wachen.

Den schönen Worten hält Chris Bunyan andere Argumente entgegen: Die Müllmenge multipliziert sich um den Faktor 160, wobei die Gesamtradioaktivität die gleiche bleibt. Etwa 93 Prozent des Mülls ist schwach radioaktiv, er wird zum Teil in den Atlantik geleitet, zum Teil in die Atmosphäre abgegeben sowie in Fässer auf dem Werksgelände zwischengelagert, bevor das Herkunftsland zur Rücknahme des Mülls bereit ist. Das muß nach britischer Gesetzgebung innerhalb von 25 Jahren geschehen. Doch zunächst lohnt sich der Ablaßhandel. „Tatsache ist“, analysiert Bunyan, „daß Dounraey eine Menge Geld verdienen kann. Der Vertrag für die Wiederaufbereitung von, sagen wir, der Hälfte der sich im Umlauf befindlichen Brennelemente aus US-amerikanischen Beständen wäre weit über 100 Millionen Pfund wert. Mit diesem Geld könnte die britische Atombehörde einen Teil der auf über 500 Millionen Pfund geschätzten Kosten decken, die für den Abbruch des Schnellen Brüters von Dounraey kalkuliert sind.“ Dieses Argument erscheint dann auch stichhaltiger als die Sorge um die Arbeitsplätze, die Shepherd ebenfalls anführt: „Der Betrieb der MTR-Wiederaufbereitungsanlage (Material Testing Reactor) hat im letzten Jahr 25 neue Arbeitsplätze geschaffen und 40 weitere erhalten.“

Solche Jobs haben über Jahrzehnte hin Vertrauen zwischen Werksleitung, Bevölkerung, Regional- wie Kommunalverwaltung gebildet. Seit den fünfziger Jahren stehen die Menschen von Caithness geschlossen hinter Dounraey. Manche waren stolz, an vorderster Front einer der vermeintlichen Zukunftsindustrien zu stehen.

Doch heute fordert Clive Goodman, gewählter Vertreter in der Regionalversammlung, dem Highland Regional Council, die Umweltsünden der Vergangenheit offenzulegen. Bisher sind nur Einzelheiten bekannt:

– In einem 65 Meter tiefen Schacht nahe der Küste wurde zwanzig Jahre lang radioaktiver Müll unterschiedlichster Zusammensetzung und Herkunft gelagert. Wasser drang ein. Um die strahlende Abfallgrube zu kühlen, wurden Kalium und Natrium beigegeben. Beide Metalle reagieren hochsensibel auf Wasser, 1977 ereignete sich eine heftige Explosion, die weite Gebiete innerhalb wie außerhalb des Werksgeländes verseuchte. Danach wurde der Schacht versiegelt, doch jüngste Tests haben ergeben, daß die Kontamination keinesfalls gestoppt ist. Erosion und die beständige Brandung auf die Klippen von Dounraey vergrößern die Lecks. Bislang ist ungeklärt, was weniger gefährlich ist: Alles so zu lassen oder den Schacht zu öffnen und den Müll anderswo zu lagern – mit unkalkulierbaren Folgen, denn Aufzeichnungen über seine Zusammensetzung fehlen.

– Hochradioaktiver Müll, unter anderem Plutonium aus Dounraey und aus anderen Atomeinrichtungen Großbritanniens, lagert in einem Silo.

– Regierungsinspektoren haben herausgefunden, daß 1957 Cäsium in die See geleitet wurde, um zu beobachten, wie es sich auflöst.

– In den letzten zehn Jahren mußten mehrere Gebiete außerhalb des Werksgeländes abgesperrt werden, weil sie radioaktiv verseucht sind. An einem öffentlichen Strand sind 140 hochradioaktive Partikel („Hotspots“) gefunden worden, von denen jedes einzelne tödlich sein kann.

Diese Liste sei nicht dazu angetan, so Ratsmitglied Goodman, „Vertrauen zu haben, daß Dounraey jemals in der Lage sein wird, den jetzt erwarteten Müll sachgerecht zu handhaben.“ In einem Interview mit der BBC bekräftigte Goodman seinen Wunsch, daß dieser Müll niemals den Norden Schottlands erreichen möge, sondern nach South Carolina geschafft werde. Die unvermeidliche Frage nach den Arbeitsplätzen läßt Goodman nicht mehr gelten: „Dounraey ist wichtig, aber nicht lebenswichtig. Tourismus, Landwirtschaft und Fischerei sind wesentliche Teile des Wirtschaftsgefüges. Unsere Aufgabe ist es auch, diese zu schützen.“

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