: Wie malt man ein Wahlkreuz?
Penible Demokratielektionen aus dem Aachener Stadtrat. Mit genauer Anleitung mußte der Oberbürgermeister nun ein zweites Mal gewählt werden. Beim ersten Mal waren sieben Kreuze schief ■ Von Bernd Müllender
Aachen (taz) – Zuerst aß er einen Big Mac, wohl zur Abfederung des Kulturschocks. Und gähnte unaufhörlich. CDU-Stadtrat Armin Laschet (34) war Mittwoch abend extra aus New York eingeflogen, wo er als Jungbundestagsabgeordneter gerade bei der UNO zu tun hatte. Dann wollte er endlich zur Tat schreiten.
Laschets politisches Vorhaben: zwei Striche in Kreuzform auf ein Stück Papier malen. Eine Wahl stand an, die des hauptamtlichen Oberbürgermeisters von Aachen. Doch wählen ist in Aachen mühsamer als jede drittrangige UNO- Unterausschußsitzung.
Das Wort hatte die Sitzungsleiterin: „Einige recht umfängliche Hinweise: Geduld nötig ...! – Knapp 20 Minuten dauerte die Verlesung der ausgefuchsten achtseitigen Gebrauchsanweisung nach dem Motto: „So wähle ich richtig“ – jede Dienstvorschrift der Bundeswehr wirkt dagegen wie eine Sammlung prosaischer Humoresken. „Wir werden hier belehrt wie die Kinder“, maulte einer aus den CDU-Reihen. Aber: Der Grundkurs Wahlverhalten schien für die 57 Kreuzberechtigten auch bitter nötig.
Denn es war bereits der zweite Versuch. Beim erstenmal im Juli hatte es ein vielbelachtes Debakel gegeben. Da waren sieben Wahlkreuze aufgefallen, die nicht als „Andreaskreuz“ diagonal gemalt waren, sondern aufrecht wie ein Grabkreuz. Offiziell haben es die Grünen nie zugegeben, aber jedem war klar, daß die sieben Christenkreuze – Kruzifix noch einmal – ausgerechnet von ihnen stammten. Grund: Die Grünen wollten mit den markierten Voten testen, ob es womöglich AbweichlerInnen in den eigenen Reihen gebe, die dem rot-grünen Mehrheitskandidaten Jürgen Linden (SPD) die Stimme versagten.
Nur: Solche Kollektivmanifestationen sind mit den hehren Wahlprinzipien des individuellen Gewissensgebots nicht vereinbar und wurden als eine Art politischer Geheimnisverrat für ungültig erklärt. So wurde im Juli der eigentlich chancenlose CDU- Gegenkandidat Ulrich Daldrup, ein politisch farbloser Quereinsteiger aus der Wirtschaft, gegen den erklärten WählerInnenwillen mehrheitlich zum Stadtchef gewählt. Blankes Entsetzen bei den Sozis, Wut und Spott über die depperten Grünen (die vor Scham zu platzen drohten) – und die CDU konnte ihr Glück kaum fassen. Doch die CDU hatte damals die Rechnung ohne den Sherlock Holmes des Wahlrechts, Kölns Regierungspräsident Antwerpes (SPD), gemacht.
Der oberste Wahlaufseher spürte böse Verfehlungen auf: Die Stifte waren nicht exakt einheitlich! Die Tür zum Wahlraum stand momentweise offen! Daneben war ein zweiter Zugang mindestens momentweise unverschlossen! Und der Geheimnis-GAU: Ein WDR-Kameramann hatte bis in den heiligen Wahlraum hinein filmen können! Das war die Rettung: Der Regierungspräsident erklärte die komplette Wahl vom 5. Juli kurzerhand für ungültig. Die CDU schäumte, klagte einen ganzen Sommer lang – und holte sich bis zum Oberverwaltungsgericht Abfuhr auf Abfuhr.
Nervosität bei den Grünen jetzt während der Abstimmung: „Was, wenn die CDU heimtückisch sieben Grabkreuze macht?“ – „Wenn beim Linden, isses doch egal ...“ – „Ach stimmt, ich bin schon ganz meschugge.“ Doch die Räte und Rätinnen, sogar die Grünen, machten alles richtig. Um 20.38 Uhr, 13 Wochen nach dem ersten Anlauf, stieg weißer Rauch über dem Aachener Rathaus auf: Pannenfrei war Jürgen Linden mit allen rot-grünen Stimmen gewählt worden.
Nur eines versteht die CDU überhaupt nicht: Da der neue OB, nach Änderung der Gemeindeordnung in NRW, hauptamtlich tätig ist, scheidet er aus dem Rat aus, ein anderer Sozi rückt nach. Bei Abstimmungen im Rat behält der OB jedoch das Stimmrecht. Eine SPD- Stimme mehr Mehrheit bedeute „Verfälschung des Wählerwillens“. Die CDU wird erneut klagen.
Armin Laschet ging hernach erst mal schlafen. 6.000 Kilometer Anreise für handgestoppte 1,15 Minuten persönlicher Demokratieauftritt seien, grummelte er, „eigentlich absoluter Tinneff“ gewesen.
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