Jenseits der Kneipen

Trödelbummel im Prenzlauer Berg: Hier gibt's noch skandinavische Möbel ohne Elch-Prädikat  ■ Von Anja Maier

Setzt man sich in eine der zahlreichen Prenzlberger Kneipen in der Husemannstraße am Kollwitzplatz, fällt der Blick unweigerlich auf einen Haufen Gerümpel, der den halben Gehsteig blockiert und an dem auch schon mal ein Köter seine Marke setzt. Dieses Gerümpel, bestehend aus kaputten Tischplatten ohne die dazugehörigen Beine, abgewetzten Polsterstühlen und einer martialischen Eichentruhe, gehört Herrn Blum. Und Herr Blum ist nicht irgendwer, Herr Blum ist die graue Eminenz unter den Trödlern im Kiez und nebenbei der einzige Ostler von ihnen. Seinen Souterrainladen gibt es hier, seit über dieses kurze Stück Husemannstraße 1987, im Zuge der 750-Jahr-Feier Ostberlins, die Sanierungswut der DDR-Oberen hereinbrach. In den Jahren danach wurde jeder, aber auch wirklich jeder Defa-Film mit Vor-DDR-Zeitkolorit mit mindestens einer Szene auf diesen vielleicht hundert Metern Straße gedreht, und auch der Laden von Herrn Blum war natürlich abgelichtet. Alle Läden, bis auf zwei Kneipen, haben hier nach der Wende Pleite gemacht, nur Blum hält sich nach wie vor wacker.

Betritt man seinen Keller, bleibt es beim Gerümpeleindruck, im hinteren Teil gibt es einen Raum voller Bücher und davor Regale mit Haushaltsgeräten zum Einheitspreis. Die Möbel sind nicht geeignet, hier als solche angepriesen zu werden, aber man könnte bestimmt einiges dazu verwenden, die Einrichtungsvorschläge einiger Zeitschriften umzusetzen. Motto: „Ein gemütlicher Eßtisch, das Nähmaschinengestell dafür vom Trödler.“ Herr Blum selbst macht einen eher verbissenen Eindruck, er muß nicht freundlich sein, denn was macht schon so ein bißchen Unfreundlichkeit – da draußen hält gerade wieder ein Bus voller Japaner.

Direkt gegenüber, in der Husemannstraße 14, befindet sich die „Schatzinsel“. Dort begegnet einem Michael Legl, dem man den Hessen deutlich anhört. Im März dieses Jahres stieg er in den Mietvertrag des vorher dort angesiedelten Spielzeugladens – daher auch der Name – ein. Bei ihm gibt es klobige und überteuerte 30er-Jahre- Möbel, aber auch Uhren, Schmuck oder mal ein Tischfußballspiel. Allzu stabil gebaut darf man nicht sein, wenn man sich zwischen den dunklen Ungetümen durchzwängen will. Seine Möbel bezieht er aus Wohnungsauflösungen, es kommt auch schon mal jemand vorbei und bietet das Büffet der Erbtante an. Viel verbreiteter ist allerdings der Handel der Trödler untereinander. Was billig eingekauft wurde, wird untereinander weiterverkauft und steht dann zum doppelten Preis im Laden. Legl findet die Gegend „ganz o.k.“, sie stelle für ihn allerdings kein Bekenntnis dar. KundInnen, die Ware runterhandeln wollen, werden mit dem alten Trick vom Freund, für den er nur mal eben hier aushilft, abgewimmelt. Das hilft immer.

Also weiter Richtung Dimitroffstraße: In dem Teil, der von der Sanierungswut der 80er und 90er bisher kaum etwas abbekommen hat, findet sich in der Nummer 28 der Laden von Jochen Grüner in drei hintereinanderliegenden Räumen. Im ersten trifft man auf sorgfältig aufgearbeitete Versuchungen in Holz und ein Monstrum von Schreibtisch, hinter dem Grüner oder seine MitarbeiterInnen – alle zwischen Mitte 20 und Ende 30 – sitzen. In den beiden dahinterliegenden Zimmern gibt es erschwingliche Möbel der Jahrhundertwende. Diese Möbel werden zu einem nicht unerheblichen Teil aus Skandinavien importiert, wohin Grüner einmal im Monat fährt. Ansonsten floriert auch hier der Handel der einzelnen Trödler untereinander.

Grüner zog es in diese Gegend, ihm gefällt die Kiezstruktur. Er selbst kommt aus dem Wedding. Dort, bei der Drogeninfo in der Freienwalder Straße, fingen die Leute an zu malern, um Geld zu verdienen. Und weil ihnen dabei so viele alte Sachen in die Quere kamen, fingen sie an, die Altertümer hauptberuflich zu verscherbeln.

Jochen Grüner weiß, daß man von den die Gegend überschwemmenden TouristInnen nicht leben kann, den PrenzlbergerInnen das Geld aber wiederum nicht so locker sitzt. So kommt es hin und wieder vor, daß er Zeuge „absoluter Überschlagshandlungen“ wird, zum Beispiel, wenn KundInnen beschließen, daß der Urlaub warten kann und es jetzt dieses Sofa sein muß. Dann kann auch schon mal abgestottert werden. Aber auch Grüner muß von seinem Job leben, schließlich zahlt er für 150 Quadratmeter 1.150 Mark Miete monatlich. Nicht zu vergessen die Mietrechtsschutzversicherung mit 1.600 Mark im Jahr, denn natürlich hat sich auch für dieses Haus ein Neueigentümer gefunden, der in den beiden unteren Etagen die obligatorische Anwaltskanzlei unterbringen will. Ein bißchen mehr Konkurrenz im Kiez würde er sich wünschen, denn die belebe das Geschäft. Auch, daß die Ladenschlußzeiten ausgeweitet werden, hofft der Händler.

Bis vor kurzem hatte Grüner noch einen Teilhaber, der seit Juli 1995 eine Dependance zweihundert Meter weiter in der Sredzkistraße 52 eröffnet hat. Gönne Redmann wurde die Sache mit dem Neueigentümer in der Husemannstraße zu heiß, und so mietete er vorsichtshalber eigene Räume an. Sein Geschäft läuft zur Zeit nicht so rosig, denn die Konzentration der anderen Trödler in der Husemannstraße läßt weniger Leute zu ihm finden. Dennoch ist er zuversichtlich, denn wenn man wie er zivile Preise für hervorragend aufgearbeitete oder auch unbearbeitete Möbel nimmt, wirkt erfahrungsgemäß ziemlich schnell das Prinzip der Mundpropaganda. Seine Möbel bezieht er vor allem von den anderen Händlern und restauriert dann die schönsten oder auch gefragtesten.

Von Wohnungsauflösungen hält er nicht viel, weil da die Konkurrenz ziemlich hart ist. Irreführende Anzeigen, die kostenlose Räumungen anbieten, werden geschaltet. Stellt der Trödler dann fest, daß er vor allem eine Menge Schutt wegräumen soll, will er das bezahlt haben. Bestehen die Kunden dann auf der kostenlosen Räumung, gibt er ihnen einen Termin in frühestens einem halben Jahr. Da winkt dann auch der Hartgesottenste ab. Redmann hat keine Lust, sich auf dieses unlautere Spiel einzulassen und bietet lieber kleine, aber feine Möbel, und zwar nur Möbel, an. Er könnte sich vorstellen, daß sein Gewerbe bald auch hier, ähnlich wie in der Bergmannstraße in Kreuzberg, Fuß faßt.

Und das wäre ja auch endlich mal was anderes für die Zugezogenen, die suchenden Blicks durch die Gegend rennen, in Kneipen lungern und ein urbanes Stück Osten zu orten versuchen.