: „Begreift, wie wertvoll Wald tatsächlich ist“
Die Zukunft des Waldes liegt in der naturverträglichen Bewirtschaftung. Holz ist ein Rohstoff, der bereits bei der Produktion nützlich ist. Vor 25 Jahren wurde die Buche als Unkraut im Wald bekämpft. Interview mit dem waldpolitischen Sprecher des BUND, Helmut Klein
Auf der ganzen Welt werden Wälder durch Bewirtschaftung zu Forsten. In Deutschland gibt es Urwälder allenfalls noch in verwinkelten Ecken des Bayerischen Waldes. Natürliche Mischungen von Baumarten unterschiedlichen Alters – der Plänterwald – machen etwa zwei Prozent des Waldes in der Bundesrepublik aus. Hinsichtlich einer Bewirtschaft der Wälder spaltet sich die Fachwelt in zwei Lager: Die einen, Waldbesitzer und deren Lobby, wollen eine möglichst hohe Holzproduktion nebst Umsatz. Die anderen plädieren zum Schutz der Ressource Wald für eine naturnahe Waldwirtschaft. Die taz sprach mit dem waldpolitischen Sprecher des BUND, Helmut Klein.
taz: Der Waldzustandsbericht belegt jährlich die Schäden an den Wäldern durch Umwelteinflüsse. Lassen sich auch Schäden durch die Bewirtschaftung belegen?
Helmut Klein: Ganz massiv. Das beginnt damit, daß zum Beispiel die Fichte – ein Baum des Hochlandes – bis auf Meereshöhe gebracht wurde. Dort ist sie wenig stabil, stürzt bei Sturm leicht um und ist anfällig für Schadinsekten wie den Borkenkäfer. Auch führt ein reiner Fichtenbestand zur Versauerung und Degenerierung des Bodens, vor allem in Tieflagen, wo die Fichte – weil sie dort nicht hingehört – sehr schnell wächst. Die Stabilität eines Ökosystems rührt daher, daß es ein Netz von Lebewesen in wechselseitiger Abhängigkeit darstellt – von der Bakterie bis zur deutschen Eiche. Wenn man in einem solchen Netz Maschen aufschneidet, verliert das Ganze an Stabilität. In einem Urwaldbestand gibt es vielleicht 10.000 Arten, in einer Fichtenmonokultur noch 2.000. Baumschädlinge haben dort übermäßig Vermehrungschancen.
Was passiert bei der Bewirtschaftung von Laubwäldern?
Laubwälder pflegte man nur ausnahmsweise als Monokulturen – wie Eichen-Niederwälder zur Brennholznutzung –, die man alle 10 bis 30 Jahre abgeholzt hat. In solchen Eichenmonokulturen fühlen sich Schwammspinner wohl, deren Raupen großflächig Schäden verursachen. Laubwälder waren fast 200 Jahre lang verpönt, weil sich im Streit der Forstwirte die kurzsichtigen Betriebswirte mit Fichten- und Kiefernkulturen weitgehend durchgesetzt haben. Bis vor 25 Jahren bekämpften manche sogar noch die Buchen als „Unkraut“ im Wald.
Läßt sich diese Monokulturwirtschaft rückgängig machen?
Vorausgesetzt, man bekommt die Emissionen in den Griff. Dann kann man auch Nadelholzforste wieder umwandeln in Laub- und Mischwälder. Ein gravierendes Problem ist allerdings das Schalenwild. Dessen Dichte ist vielerorts so groß, daß junge Eichen und Buchen nicht überall wachsen können, sondern abgefressen werden.
Sie selbst haben ja sogar dazu aufgerufen, Rehe und Gemsen abzuschießen. Es ist doch grotesk, wenn Naturschützer drängen, Natur zu eliminieren.
Normalerweise ist Schalenwild auch in dieses Netz der 10.000 Arten des Ökosystems eingebunden. Doch die natürlichen Regulationsmechanismen wie Winter, Futtermangel und Raubtiere sind weitgehend ausgeschaltet. Ein russisches Sprichwort sagt: „Wo der Wolf seine Fährte zieht, wächst der Wald.“ Aber Wölfe gibt es bei uns ebensowenig wie Luchse oder Bären – andernfalls wäre das Schalenwild kein Problem. Zusätzlich vermehren sich Rehe bei Fütterung um nahezu 40 Prozent stärker. Zumindest die Rehe profitieren wohl auch schon vom Treibhauseffekt: Eine natürliche Reduzierung durch schwere Winter gibt es kaum. Somit haben wir schon jetzt riesige Flächen, auf denen keine jungen Laubbäume mehr wachsen. Kiefern und Fichten werden erst dann abgefressen werden, wenn Laubbäumchen knapp werden. Es entstehen also auch Monokulturen durch jagdliche „Hege“.
Einer Fallstudie im Südharz zufolge sind Waldfreunde zwecks Erholung zur Zahlung eines Entgeltes bereit. Der Wert eines Waldbesuchstages wird mit 4,56 bis 8,77 Mark veranschlagt. Ist das der erste Schritt, uns mit Wald im Museum vertraut zu machen?
Solche Ansätze sind schwachsinnig. Wir müssen uns darüber klar werden, daß der Wald auch als Erholungsraum einen riesigen volkswirtschaftlichen Wert hat, der weit über die Wertschöpfung durch Holzernte hinausgeht. Wir müssen etwas gegen Emissionen tun, dagegen, daß immer mehr Straßen durch die letzten Wälder getrieben werden und nicht einen Zaun ziehen, Häusle rein und Eintritt kassieren. Da hört der gesunde Menschenverstand auf.
Die Waldbesitzerlobby brüstet sich damit, daß Privatwald im Jahr 1993 bis zu 222 Mark pro Hektar erwirtschaftete, während Wald in öffentlichem Besitz bis zu 386 Mark Betriebsverluste auf Kosten der Steuerzahler eingefahren habe. Geht die Rechnung auf?
Die ist sogar in mehrfacher Hinsicht hanebüchen: Erstens wird hierbei nur der Holzerlös berechnet, während die volkswirtschaftliche Leistung der Wälder wesentlich größer ist. Eine Bilanz des Waldes in öffentlicher Hand könnte so aussehen: 500 Kilometer Wanderwege gebaut, 24.000 Bürgerstunden Erholung angeboten – das spart mindestens 20 Patienten- Jahre Psychiatrie. Wenn man auf dieser Ebene weitermacht, läßt sich der tatsächliche Wert des Waldes ermitteln.
Zweitens sollten die privaten Waldbesitzer froh sein, daß sich die öffentlichen Waldbesitzer immer dann, wenn es am Holzmarkt prekär wird, mit Holzverkäufen zurückhalten – also stillschweigend die private Waldwirtschaft subventionieren. Wenn ausgerechnet die Subventionsnehmer behaupten, die anderen seien hinsichtlich ihrer Betriebswirtschaft die Nieten, dann ist das eine Unverschämtheit; auch gegenüber der Bevölkerung, denn die bezahlt schließlich die verkappten Subventionen.
Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, Freiherr von Schorlemer, sagte, die flächendeckende Wiederverwendung von Altpapier in der Papierindustrie sei „umweltpolitisch kontraproduktiv“. Haben sich da Recycling-Fetischisten blenden lassen und sind nun für die Waldzerstörung verantwortlich?
Sie bekommen durch diese Quelle immer nur die Bilanz der Waldholzproduktion. Außen vor bleiben dabei beispielsweise Energieverbrauch oder Chemieeinsatz. Die bisherige Forstwirtschaft arbeitet auf nahezu der gesamten Fläche mit Altersklassenholz, also mit Bäumen desselben Pflanzjahres und folglich einheitlichem Alter bei der Ernte.
Seit über einem Jahrhundert ist aber klar, daß der gemischte Wald ökologisch und ökonomisch der bessere ist. In einem Plänterwald läßt sich bis zu 90 Prozent dickstämmiges Starkholz ernten, im Altersklassenwald hingegen nur 40 Prozent Starkholz, aber 60 Prozent Schwachholz, also Papierholz.
Deshalb bangen die Waldbesitzer um den Absatz ihres Schwachholzes?
Genau. Eine Folge der bisherigen Waldwirtschaft ist ein hoher Anteil Schwachholz, den sie ernten müssen – und natürlich auch verkaufen.
Nun bindet Wald CO2 über seine natürliche Lebensdauer hinaus auch in Holzprodukten und Papier. Sollte man also kranke Bäume abschneiden und dafür junge Bäume mit neuer Speicherfähigkeit pflanzen?
In Deutschland produzieren wir knapp eine Milliarde Tonnen CO2 pro Jahr. Bei maximaler Aufforstung könnte man den Wald um 30 Prozent vergrößern. Wenn dann wirklich alle Bäume wachsen, können sie auf diese Weise aber nur 0,5 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes abfangen. Vorausgesetzt, man fände die Anbaufläche, um den Wald um ein Drittel zu vermehren; vorausgesetzt auch, die Bäumchen würden nicht abgefressen und man fände eine Lage mit so geringen Emissionen, daß sie auch wachsen. Ein kleiner Baum in Bleistiftgröße bindet pro Jahr nur wenige Gramm Kohlendioxid. Sie bekommen aber die bei weitem größte CO2-Einbindung in alten Plänterwäldern mit 100 bis 200 Jahre alten Bäumen. Wenn Sie jetzt beginnen, am jungem Bestand herumzuschneiden, um noch jüngere Bäume zu pflanzen, ist das kontraproduktiv, weil damit die Speicherkapazität der alten Bäume gar nicht zu ersetzen ist.
Bei welcher Art der Verwertung ist denn Holz tatsächlich das nützlichere Material?
Wir plädieren seit vielen Jahren dafür, Holz statt beispielsweise Plastik oder Aluminium zu verwenden. Das Argument der Co2- Speicherung ist mit Zahlen wenig seriös belegbar. Aber Holz ist der einzige Rohstoff, der bereits bei seiner Produktion nutzbringend ist: grüner Wald mit Erholungswert, Wasserspeicher, Abflußregelung. Und wenn Sie ihn nicht mit Holzschutzmitteln vergiften, haben Sie einen Werkstoff, der umwelt- und gesundheitsfreundlich ist. Hat das Holz ausgedient, haben Sie auch vom Abfall noch Nutzen und wenn Sie damit nur Kaffeewasser kochen. Zum Vergleich Aluminium: Der Bauxit-Abbau zerstört Land, die Produktion braucht riesige Energiemengen, Wasser wird vergiftet, die Isolationswirkung ist schlecht, die Akustik miserabel, abfalltechnisch können Sie es nur einschmelzen oder deponieren. Doch sind im Holzpreis nicht die Vorzüge bei dessen Erzeugung, im Aluminium nicht die Kosten der Umweltschäden enthalten. Holzsubstitute sind hochsubventioniert, zum Beispiel Aluminium mit 5.000 Mark pro Tonne, Holz nur mit 50 Mark. Ich plädiere für Holzgebrauch aus
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
vernünftigem Waldbau und mit möglichst hohem Nutzungsalter. Dann sind die Stämme wertvoll, auch ökonomisch: Vom ersten bis zum zehnten Jahr liegt zwar der Wertzuwachs nahezu bei null, danach kommt vielleicht die Nutzung als Christbaum in Frage. Aber anschließend steigt der ökonomische Wert von Jahr zu Jahr – bei Eichen 300, 400 Jahre lang.
Seit 1950 gibt es die Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft, ANW: Statt ernten, roden und pflanzen mit Säge, Axt und Spaten sollen die Förster wachsen lassen, beobachten, registrieren und beschreiben. Ist das inzwischen bis zu jedem Forstwirtschaftler durchgedrungen?
Im Prinzip kennt diese Grundsätze wohl jeder. Vielleicht vier Prozent der Forstwirtschaftler bekennen sich zumindest verbal dazu. Waldwirtschaft, wie sie die ANW meint, ist ein wesentlicher Schritt von der reinen Forstwirtschaft mit Altersklassenwald zu dem, was wir als Wald sehen wollen. Das ist auch der ökonomisch interessantere Weg – allerdings erfordert der etwas mehr Kopf und manchmal – vor allem anfangs – auch mehr Nerven. Doch überall, wo in den letzten 100, 200 Jahren die Plänterwaldwirtschaft entstand, geschah dies aus ökonomischen Gründen: Wenn es den Forstwirten schlecht ging, haben sie begriffen, daß es unsinnig ist, Geld für Ackern, Pflanzen und Anzucht zu investieren. Sie hielten das Wild unter Kontrolle und die jungen Bäume wuchsen ganz von selbst. Aufwand der Waldwirtschaft reduziert sich weitgehend auf die Ernte. Mit den Prinzipien der ANW gehen wir nahezu konform, weil es ökologisch und ökonomisch die bessere Lösung ist.
Inwiefern „weitgehend“?
Im Unterschied zu unserer Auffassung läßt die ANW auch Exoten wie Douglasien oder Roteichen als Nutzholz zu. Das hat ökologische Nachteile, weil diese Bäume in unser Ökosystem nicht integriert werden können. Zum Beispiel können von diesen Pflanzen viel weniger Insekten leben als von heimischen Bäumen, sie stehen als Inseln im ökologischen Netz.
Nun unterstehen Wälder nicht den Ministerien für Umweltschutz, sondern denen für Landwirtschaft und Forsten. Forstämter sind aber zunächst keine Waldschutz-, sondern Waldwirtschaftsämter. Sollte man die Zuständigkeiten ändern?
Mir ist es egal, in wessen Zuständigkeit der Wald liegt, wenn nur die zuständigen Leute begreifen, wie wertvoll ein Wald tatsächlich ist. Genausogut könnten Sie den Naturschutz in Waldressorts ansiedeln, weil 80 Prozent der in Deutschland vorkommenden Tier- und Pflanzenarten primär zum Ökosystem Wald gehören. Die Entscheidungen hängen vom Ausbildungsstand, vom guten Willen und von der Kompetenz der Personen ab.
Der Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium hält Bestrebungen, den Wald durch Verzicht auf Holznutzung zu schützen, für „widersinnig“.
Kein nennenswerter Verband will, wie er immer wieder unterstellt, die Waldwirtschaft abschaffen – und das weiß er seit vielen Jahren. Was er sagt, hören aber die Waldbesitzer gern. Denn die haben seit 100 Jahren Angst und denken immer noch, daß da linke Ideologen kommen und ihnen den schönen Wald wegnehmen wollen – es wird Zeit, daß auch die dazulernen. Der Staatssekretär will ja sogar Waldwirtschaft in schlimmster Exploitation: Er schlug vor, den Bayerischen Wald – also die größte europäische Forstverwaltung –, in eine GmbH umzuwandeln. Doch in deren Bilanz käme weder Hochwasser in Köln noch Erdrutsche wegen Waldrodungen vor, sondern nur die Menge der angebauten und verkauften Festmeter Holz. Da ist es noch ein langer Weg bis zur Annäherung, und dazwischen steht eine Menge Demagogie.
Der Einsatz von Holz wird durch das Stromeinspeisegesetz und auch durch ein neues „Marktanreizprogramm“ der Bundesregierung gefördert. Macht es denn Sinn, Holz nur zur Verbrennung anzubauen?
Grundsätzlich stehen wir momentan der Holzheizung positiv gegenüber, denn es gibt folgendes Problem: Wir haben Tausende von Hektar Wald, die eine Durchforstung brauchen, weil sie in diesen unseligen Strukturen der Altersklassen herangewachsen sind. Die Bäume stehen sehr dicht und schießen in die Höhe. Wenn man nichts tut, werden die langen, dünnen Baumstengel von Naßschnee oder Stürmen umgeschmissen.
Das wäre doch die Chance für einen neuen Wald: Man läßt die Bäume einfach fallen.
So was öffentlich vorzuschlagen wäre für die Besitzer brutal. Aber natürlich würde ohne Aufforstung ökologisch Sinnvolleres nachwachsen. Wir haben Bestände, die gezielt umgewandelt werden müssen. Das Schwachholz muß heraus, um die restlichen Bäume zu stabilisieren. Dieses Schwachholz fällt in den nächsten 30, 40 Jahren an. Wenn das Holz gut getrocknet in einer modernen Holzheizung verbrannt wird, ist es außerordentlich emissionsarm; ein Brennmaterial, das nicht Tausende von Kilometern über den Globus gepumpt wurde, sondern im Radius einiger Kilometer gewachsen ist – vielleicht sogar demjenigen gehört, der heute mit seiner Ölheizung den Treibhauseffekt fördert und seinem Wald den Garaus macht. Interview: Andreas Lohse
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen