Durchmarsch der Pharmaindustrie

■ Nach mehreren Gerichtsentscheidungen muß die Berliner Ärztekammer ihre Positivliste zurückziehen

Berlin (taz) – Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, wird die von ihm herausgegebene Berliner Positivliste mit empfehlenswerten Arzneimitteln nicht weiterverbreiten. „Ich kapituliere vor der wirtschaftlichen Übermacht der Pharmakonzerne“, erklärte Huber gestern in Berlin. Derzeit versuchen vierzehn Pharmahersteller, einstweilige Verfügungen gegen den Vertrieb der Liste zu erwirken.

Die Landgerichte Düsseldorf, Köln und Hamburg haben bereits zugunsten einzelner Pharmahersteller entschieden. Nach Ansicht der Gerichte dürfen aus wettbewerbs- und kartellrechtlichen Gründen weder die Ärztekammern noch die Krankenkassen eine Positivliste herausgeben.

Da der Streitwert auf ein Million festgelegt wurde, hätte Huber mit sechsstelligen Prozeßkosten rechnen müssen. Selbst nach dem Verzicht, Widerspruch gegen die einstweiligen Verfügungen einzulegen, kommen auf Huber Kosten von 50.000 bis 100.000 Mark zu. Der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK), der die Positivliste unterstützt, will dagegen einen Musterprozeß führen.

Da die 20.000 Exemplare der Positivliste bis auf 68 Restexemplare bereits versandt sind, gehen die einstweiligen Verfügungen faktisch allerdings ins Leere.

Mit der Berliner Postivliste soll die Qualität der Arzneimitteltherapie erhöht werden. Sie soll den Ärzten angesichts einer unüberschaubaren Menge von gleichen Wirkstoffen unter verschiedenen Handelsnamen eine Orientierungshilfe bieten, indem sie diese auf 600 Präparate reduziert. Sie soll den Ärzten auch helfen, kostengünstig zu verordnen. Neben den Originalpräparat werden nur preisgünstige Nachahmerprodukte (Generika) aufgeführt.

„Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert“, stellte Huber fest. In der nächsten Woche debattiert der Gesundheitsausschuß des Bundestags über die Positivliste. Huber forderte die Abgeordneten auf, für die Ärztekammern eine rechtliche Grundlage zur Herausgabe von Positivlisten zu schaffen. Er kritisierte, daß Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) von einer geplanten Positivliste Abstand genommen habe. Seehofers Staatssekretär Wagner habe die durch den Reißwolf gedrehte Positivliste des Arzneimittelinstituts dem Geschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittelherrsteller zum 60. Geburtstag in einer Plastikhülle überreicht, merkte Huber an.

Huber kündigte weiter an, daß die Berliner Positivliste von einem Gremium von Ärzten und Apothekern überarbeitet wird. Es seien rund 100 Hinweise von Ärzten eingegangen, die gesichtet werden sollen. Nach Prüfung der juristischen Lage soll die Liste von einer privaten Institution herausgegeben werden. Huber mußte allerdings einräumen, daß eine privatverlegte Liste dann nicht mehr den gleichen hohen Stellenwert einer von der Ärztekammer veröffentlichten Liste hat. Dorothee Winden