Video statt Blümchentapete

■ Von der zähen Liebe zum Kitsch in der Computerkunst: Ein Gespräch mit Wulf Herzogenrath, dem neuen HfK-Honorarprofessor für „Neue Medien“

Endlich hat auch Bremen die „Neuen Medien“ entdeckt: Ab nächster Woche stehen sie auf dem Lehrplan der Kunsthochschule. Wulf Herzogenrath, Direktor der Kunsthalle und einer der besten deutschen Kenner der Videokunst, wird am Mittwoch seine Antrittsvorlesung als Honorarprofessor für „Neue Medien“ halten. Seine These: „Medienkunst“ ist kein isoliertes Phänomen, sondern gehört in den großen Kontext kunstgeschichtlicher Entwicklung. Damit steht er gegen jene Betonfraktion der Medientheoretiker, die behaupten, es gebe einen radikalen Bruch zwischen „alten“ und „neuen“ Künsten. Im Gespräch mit der taz erläuterte Herzogenrath, warum die „neuen Medien“ gar nicht so neu sind.

taz: Die „neuen Medien“ existieren nur in der Abgrenzung zu den „alten“ wie Malerei und Plastik. Wieso macht man diese begriffliche Trennung überhaupt noch, nach 25 Jahren Video- und Computerkunst?

Wulf Herzogenrath: Mich hat primär nie das Medium an sich interessiert, sondern immer der künstlerische Impetus – die existenzielle Wut, die Vision, wie immer man den Ausgangspunkt künstlerischen Tuns definieren will. Ob dies dann gezeichnet wird oder ob es mit einer Videoinstallation realisiert wird, das war für mich immer zweitrangig. Das gilt auch für die ganz aktuellen Versuche, Kunstprojekte im Internet zu initiieren. Internet-Surfen als eine neue, demokratischen Freiheit – das sehe ich als rosarote gesellschaftspolitische Idee, aber die Auswirkungen für künstlerisches Tun sehe ich kaum. Das kann man vergleichen mit den Computerkünsten in den 60er Jahren. Da gab es auch eine Riesenwelle. Plötzlich sprach man von einer neuen Künstlervision – und was ist daraus geworden? Es war oft ein banaler Konstruktivismus mittels Computer, der bloß etwas schneller zeichnen konnte als der klassische Künstler ...

... und auch etwas dekorativer.

Ja, dekorativer und auch kitschiger. Als in den 70er Jahren der Bildsynthesizer entwickelt wurde, konnte jeder mit ein bißchen Knöpfchendrehen schöne, farbige Bilder zu Pink Floyds Musik erzeugen. Das hielt man auch für eine neue, demokratische Kunst. Aber im Grunde war das nur Kitsch, mal abgesehen von Nam June Paik – siehe das neue Objekt in der Kunsthalle – und wenigen anderen. Ich vergleiche das immer mit dem Aquarellieren im 18. Jahrhundert. Jeder britische Italienreisende aquarellierte fleißig, aber deswegen gab es nicht automatisch mehr Künstler. Es ist ein Handwerk gefördert, eine Technik zugänglich gemacht worden. Ob es nun Aquarell heißt oder Computer, der Effekt war der gleiche. Mehr künstlerisch Bewegendes ist damit nicht unbedingt entstanden.

Jedenfalls nicht mehr als mit den sogenannten „alten“ Medien.

So ist es.

Was bleibt dann als besondere Qualität der „neuen“ Medien? Eine Zeitlang gab es unter Künstern und Theoretikern die Behauptung, daß das „interaktive“ Moment von Computerinstallationen deren herausragende Eigenschaft sei – also die Fähigkeit, die Betrachter oder User handfest am Bildprozeß zu beteiligen.

Spannend fand ich den interaktiven Ansatz in seiner ersten Form, in den 70er Jahren, als wir das Wort dafür noch gar nicht hatten. Ich meine die „closed-circuit“-Videoinstallationen von Künstlern wie Bruce Nauman, Peter Campus und Dan Graham. Die haben den Betrachter zum ersten Mal als aktiv teilnehmenden, nicht als interaktiven Betrachter einbezogen. Das sah dann so aus: Eine Kamera nimmt mich als einzelnen Betrachter auf, projeziert mein Bild in einer bestimmten, vom Künstler vorgebenen Verdopplungssituation oder Schattenprojektion. Ich selbst muß mich dabei mit dem Kommen und Vergehen meines Bildes, mit meiner realen Existenz in dieser Situation auseinandersetzen. Das fand ich einen der spannendsten Schritte der Kunst der letzten Jahrzehnte, daß der Betrachter aktiv zum Vollender eines Werkes wird. Aber gewisse Probleme habe ich mit den neueren interaktiven Skulpturen, wo man auf Knopfdruck das Kunstwerk selbst verändern kann. Letztlich ist dabei doch alles vorgeprägt, eine wirkliche Freiheit habe ich nicht. Es gibt nur eine gewisse Erweiterung technischer Möglichkeiten. Aber außer dem Spieltrieb, so wichtig der für die Kunst ist, hat das selten zu einer tieferen Dimension geführt.

Dennoch wird das Besondere an den „neuen“ Medien, und damit auch die Differenz zwischen alt und neu, durch die Gründung der „Medienkunsthochschulen“ weiterhin betont. Die Projekte in Köln und Karlsruhe werden dabei viel stärker beachtet als die Versuche anderer Kunsthochschulen, das Neue in den traditionellen Lehrbetrieb einzubauen.

Also, ich kämpfe seit Jahrzehnten dafür, daß die klassischen Kunsthochschulen sich normal erweitern. Genauso, wie ich dafür arbeite, daß sich die klassischen Museen den Medien öffnen, mit denen die aktuellen Künstler nun mal arbeiten. Ich sehe die Neugründungen in Köln und Karlsruhe eher als eine Art Verzweiflungstat. Weil einfach die alten Strukturen der großen Hochschulen so sind, wie sie sind. Bei denen herrscht noc eine Grundangst vor, daß viele der jungen Künstler nur noch mit diesen Dingen arbeiten und experimentieren. Aber das Interesse daran bedeutet doch nicht, daß sie deshalb alle Videokünstler werden.

Ist nicht der „Medienkünstler“ eher eine Erfindung der Medienkunsthochschulen und der Computerindustrie? Es gibt doch inzwischen eine Generation von Künstlern, die sich sehr selbstbewußt das jeweils passende Gerät für ihre Ideen suchen und denen es egal ist, ob sie einen Bleistift oder eine Mouse benutzen.

Ja, und ich denke, daß dieses der Idealkünstler ist. Man sieht es ja doch auch in Karlsruhe, daß dort die klassischen Künste wie Malerei und Zeichnung ebenso gelehrt werden wie neue Techniken. Man bezieht quasi von der anderen Ecke her die klassische Kunsthochschule ein.

Bremen ist allerdings noch ein weißer Fleck auf dieser Landkarte. Womit fangen Sie an, wenn Sie hier jetzt theoretische Grundlagen der „neuen Medien“ lehren wollen? Was wollen Sie den Studenten vermitteln?

Richtig klassische, kunsthistorische Information, auch über aktuelle Entwicklungen. Ich würde gerne anfangen mit einer Übersicht über das Bauhaus, wo Kunst und Technik eine Einheit bildeten. Daraus kann man vielleicht einen Analogieschluß für heute ziehen, für die elektronischen Medien. Zum anderen werde ich natürlich gerne aus meinem Fundus aus Videobändern einfach Informationen zur jüngeren Kunstgeschichte und besonders zur Videokunst geben. Außerdem versuche ich einige Künstler, die mit den neuen Medien arbeiten, für Workshops an die Hochschule zu holen.

Das bedeutet erstmal: Sie geben in diesem Semester einige Blockseminare. Um eine umfassendere Ausbildung zu leisten, müßte die Hochschule aber mehr tun.

Ich versuche, bei der Besetzung neuer Lehrstellen entsprechend auf die Findungskommission einzuwirken. Im Augenblick muß ja die Professur für Experimentalfilm neu besetzt werden. Vielleicht kann Jürgen Waller, der hierbei sehr offen ist, der Wissenschaftssenatorin noch ein, zwei Stellen mehr abtrotzen. Daraus ließe sich eine kleine Zelle machen, um den Studenten künftig neben Experimentalfilm auch Video anzubieten. Darin sehe ich die einzige Möglichkeit, um die Studenten wenigstens auf einem gewissen Informationsniveau zu halten. Denn andernfalls kann man diese Hochschule für die Zukunft auch so ziemlich abschreiben. Positiv ist allerdings zu bemerken, daß im Grafikdesign-Bereich der Computer schon als selbstverständliches Werkzeug akzeptiert wird. Aber für die freien Künstler sind diese Dinge noch nicht so zugänglich. Zum Dritten gibt es hier die große Chance, daß Musik- und Kunsthochschule in Bremen unter einem Dach sind. Und Frau Pagh-Paan setzt sich ja sehr stark für die Neue Musik ein. Da liegt es ziemlich nahe, die elektronische Musik mit einzubeziehen, denn natürlich bedeutet Video und Film auch immer: Bild und Ton. Hier hätte man die Chance, beides in einer relativ kleinen Einheit zusammenzubinden. Ich hoffe, daß der Senat das sieht und den hier möglichen Anschluß nicht einfach verschenkt.

Fragen: Thomas Wolff

Öffentliche Antrittsvorlesung am Mittwoch, 11.10., um 16 Uhr im Konzertsaal der Kunsthochschule (Dechanatstr. 13-15)