: Nachdenken über die Zukunft Bosniens
Serbische Politiker sind vom Erfolg des jüngsten Waffenstillstandsabkommens überzeugt – wie aber in Zukunft ein bosnischer Staat aussehen soll, daran scheiden sich die Geister ■ Aus Belgrad Jürgen Gottschlich
„Die Amerikaner werden es nicht zulassen, daß eine der bosnischen Fraktionen ihren Verhandlungserfolg wieder zerstört. Dieser Waffenstillstand wird sich grundsätzlich von den vorangegangenen unterscheiden: Die führende Supermacht garantiert mit ihrem Prestige für die Einhaltung. Das ist der entscheidende Schritt zum Frieden.“ Vuk Drašković, Präsident der größten serbischen Oppositionspartei, ist überzeugt, daß jetzt alles gut wird. Zwar gibt es zwischen Serben, Muslimen und Kroaten in Bosnien noch viele „schmerzhafte Fragen“, doch die werden ab jetzt „am Verhandlungstisch“ geklärt.
Ganz so euphorisch wie bei Drašković, ist die Stimmung in Belgrad nicht. Erst einmal abwarten, was wirklich passiert. „Jetzt schießen sie ja erst recht“, meint eine Redakteurin des Oppositionsradios B 92 etwas enttäuscht , „wer weiß, ob dann wirklich alle Truppenkommandeure mit ihrer Position zufrieden sind.“
Die Desorientierung ist bei vielen in Apathie umgeschlagen. Etliche Leute hören kaum noch Nachrichten und den meisten saß bei Ankündigung des Waffenstillstands noch der Schreck über das Attentat auf Makedoniens Präsident Gligorov in den Knochen.
Demgegenüber ist das politische Establishment im Moment überzeugt, daß der Krieg in Bosnien zu Ende geht. Außer Serbiens Präsident Milošević haben neben Regierungsvertretern auch alle Oppositionspolitiker die Vereinbarung begrüßt. So gegensätzliche Köpfe wie der nationalliberale Zoran Djindjić, Chef der Demokratischen Partei, und Mihailo Marković, der Chefideologe der regierenden Sozialisten, gehen davon aus, daß der Waffenstillstand diesmal erst einmal halten wird.
Völlig unterschiedliche Prognosen hört man dagegen, wenn es um den zukünftigen bosnischen Staat geht. Während Drašković auch hier überschäumenden Optimismus verbreitet – „wir werden die ethnischen Säuberungen rückgängig machen, Bosnien wird wieder zusammenwachsen“ –, ist Marković überzeugt, daß die Vereinbarungen und die Abmachungen über die Rückkehrmöglichkeiten für Flüchtlinge nur dazu dienen, daß die „führenden Leute der westlichen Welt ihr Gesicht wahren können“. „Sie wollen nicht zugeben, daß sie Fehler gemacht haben. Man kann die drei Nationen nicht mehr in einen Staat zwingen.“ Und so sieht Marković bereits Anzeichen dafür, daß es zwischen Muslimen und Kroaten zu einem neuen Konflikt kommen könnte.
Das zu verhindern, ist eben die Aufgabe der Nato-Friedenstruppe, meint Vuk Drašković. „Wenn von den 50.000 Soldaten 35.000 Amerikaner sind, wird es klappen.“ Unter der Voraussetzung, daß sie internationale Garantien bekommen, ist Drašković überzeugt, daß die meisten Flüchtlinge zurückkehren werden. „Alle serbischen Flüchtlinge, die ich kenne, wollen zurück. Alle träumen von ihrer Heimat.“ Die gibt es doch häufig gar nicht mehr, sagt Mihailo Marković. „Entweder sind die Häuser zerstört, oder es wohnen jetzt Leute der anderen Nationen darin. Sollen wir die alle wieder vertreiben?“ Er hält eine Rückkehr der Flüchtlinge sowieso nicht für wünschenswert, weil die jetzige Situation es ja geradezu erlaubt, daß die Serben nach Serbien gehen können, Kroaten nach Kroatien und Muslime ihren eigenen Staat aufmachen können. Mit Zenica, Sarajevo und Tuzla würden sie ja die wichtigsten Zentren Mittelbosniens behalten.
Wenn der Westen das verhindern will, darin sind sich die drei Politiker einig, muß er viel Geld locker machen. „Wenn ein großer Marshallplan für Bosnien aufgelegt wird, werden wahrscheinlich alle solange dableiben, wie es was zu holen gibt“, sagt Marković. Auch Djindjić sieht als Kitt für Bosnien nur den Fall, daß das Land ökonomisch viel attraktiver wird als Kroatien oder Serbien. Die Hoffnungen auf den Westen beziehen sich aber nicht nur auf Bosnien. Die meisten Serben wollen endlich auch zurück nach Europa. Er habe von vielen europäischen Regierungsvertretern Versprechungen bekommen, behauptet Drašković, daß Serbien Mitglied der Europäischen Union werden kann. „Dafür werden wir radikale wirtschaftliche und politische Reformen durchführen.“
Daß die Frage der Kriegsschuld ein Hindernis auf diesem Weg sein könnte, halten in Serbien die allermeisten für völlig abwegig. „Ich bin für das Tribunal in Den Haag“, beteuert Drašković, „aber wenn man Karadžić und Mladić anklagt, muß man auch Tudjman und Izetbegović anklagen.“ Schon bei Milošević ist sich Drašković nicht mehr so sicher. „Ich habe einmal alle Äußerungen Milošević' seit Beginn des Krieges zusammenstellen lassen, da findet sich kein einziger Aufruf zum Töten.“
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