Stinkender Honig als Abendmahl

■ BASF-Werk in Ludwigshafen bläst zwei Tonnen Chemie in die Luft. Werksarzt: Eßt kein Obst mehr

Ludwigshafen (taz) – Über dem Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim regnete es am Sonntag abend um 19.22 Uhr honigfarbene Tröpfchen. Doch der ölige Nebel schmeckte nicht süß, im Gegenteil: Er „stank wie die Pest“, so ein Feuerwehrmann. „Wie die Reiher“ hätten etwa die beiden städtischen Kollegen „gekotzt“, die mit dem Lautsprecherwagen durch Friesenheim fuhren und die Bevölkerung warnten – drei Stunden nach dem Störfall.

„Wir bedauern zutiefst die Unannehmlichkeiten, denen die Bevölkerung von Friesenheim am Sonntag abend ausgesetzt gewesen ist“, sagte BASF-Werksdirektor Rolf Dieter Acker gestern. Zwei Tonnen der Substanz, die im Produktionsprozeß der BASF zum Aufheizen verwendet wird, waren nach zwei kurz aufeinanderfolgenden Pannen aus dem Schornstein des Produktionsgebäudes für den Kunststoff Polystyrol entwichen. Davon sind laut BASF rund 90 Prozent auf dem Werksgelände niedergegangen. Die Friesenheimer hätten demnach „nur“ noch etwa 200 Kilogramm Diphyl abbekommen, sagte Acker. Wie es zu dem chemischen Regen kam, ist laut Werksleitung noch nicht endgültig geklärt. Der Chef der Polystyrol-Produktion brachte auch menschliches Versagen ins Spiel. Der Panne ging am Sonntag abend eine extrem langsame Reaktion der Bedienungsmannschaft in der von insgesamt zwei Störfällen betroffenen Anlage voraus. Bereits gegen 17 Uhr kam es zu einem Druckabfall, auf den das Notsystem planmäßig reagierte. Das heiße Öl wurde in einem Sicherheitstank aufgefangen. Doch die Produktion wurde nicht angehalten. Im Gegenteil: Kurz nach diesem ersten „Ereignis“ wurde die Anlage wieder voll angefahren. Als es dann gegen 19.30 Uhr zum zweiten Störfall kam, war der Notfalltank voll, das laut Gefahrenschutzverordnung „gesundheitsschädliche“ Diphyl wurde über einen Kamin in die Umwelt geblasen.

Die Bevölkerung wurde erst Stunden nach dem „Ereignis“ (BASF) aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten und auf den Verzehr von Gemüse und Salat aus dem heimischen Garten zu verzichten. Das Zögern erklärte der Konzernsprecher damit, daß man bei BASF zunächst nicht gewußt habe, daß von der Schadstoffemission auch der Stadtteil Friesenheim betroffen sei. Erst nachdem sich Einwohner des Viertels telefonisch über den Gestank beschwert hätten, sei dem rasch eingerichteten Krisenstab klar geworden, daß sich das Diphyl über die Werksgrenzen hinaus ausgebreitet habe.

In rund einer Woche, so ein Experte von BASF, werde der Ölfilm auf den Salatbeeten der Friesenheimer „verschwunden“ sein, allerdings nur, wenn es regnet. Der leitende Werksarzt riet hingegen, Obst und Gemüse nicht zu essen: „Das Öl ist schlecht wasserlöslich und läßt sich nur schlecht abwaschen.“ AnwohnerInnen werden solange mit einem Infozelt am Tor 11 und einem Bürgertelefon beruhigt.

Immerhin erklärte sich der Konzern bereit, den Sand von Kinderspielplätzen und Kindergärten auszutauschen. AutofahrerInnen dürfen ihre Fahrzeuge in der konzerneigenen Waschanlage kostenlos reinigen lassen, bis gestern mittag registrierte BASF schon 150 wieder blanke Karossen. Die FriesenheimerInnen, die fast alle bei BASF in Lohn und Brot stehen, nahmen die Panne gelassen: „Wenn's net so stinken tät, hätten wir's Öl gleich aufm Salat gehabt“, sagte ein Kleingärtner.

Klaus-Peter Klingelschmitt Seite 6